Das himmlische Kind (Autor: Steve Cockayne; Die Glückssucher Bd.3)
 
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Das himmlische Kind von Steve Cockayne

Reihe: Die Glückssucher Band 3

Rezension von Oliver Kotowski

 

Rezension:

Die Situation im Königreich ist prekär. Nachdem König Matthew festgestellt hatte, dass Öl für die nationale Energieversorgung von größter Bedeutung ist und knapp wird, begann er einen Krieg um die Ölfelder mit dem südlichen Nachbarn zu führen. Aber dann verschwand er – er wurde 'unpässlich', heißt es. Tatsächlich hält ihn der Hochmeister Fang heimlich gefangen. Seitdem wurden das Land und das Netzwerk der Signalmaschinen immer unsicherer. Da erwacht Blaise. Zunächst ist er desorientiert, doch schnell findet er zu sich – und macht den Widerling Lee als Ursache der Probleme im Netzwerk aus. Unterstützung erhält er vom Magier Leonardo, der von höchster Stelle beauftragt wurde die Störungen zu beseitigen. In diesem Konflikt epischen Ausmaßes werden auch Ashleigh, die Tochter von Rusty, und Charles und Sally, die Erben der Bannister Automobilwerke und Verwandte des Königs, verstrickt.

 

Das Königreich bleibt namenlos, es wird bloß das "Land" genannt; ebenso die Hauptstadt, die Dörfer und der südliche Nachbar. Benannt werden nur echte Konkreta: das Wirtshaus heißt "Pflug." Dieses trägt zur Unschärfe bei, die das Setting auszeichnet. Auch der Entwicklungsgrad ist nicht leicht zu fassen: Es scheint, als sei das Land, besonders außerhalb der Stadt, noch deutlich vorindustriell; dann ist Elektrizität weit verbreitet, Musikapparate, Kühltruhen und Inlineskates mit sieben Rollen werden vom Versandhandel in die Dörfer geliefert, während Benzin betriebene LKWs mit Pferdefuhrwerken konkurrieren.

Ein wichtiger Teil des Geschehens trägt sich im Netzwerk der Signalmaschinen zu. Das Netzwerk ist vielleicht am besten als fortschrittliches Internet zu beschreiben: Der Nutzer setzt sich an die Signalmaschine, schaut in die Okulare und bedient die Tasten – so kann er im Netz umherlaufen, Freunde treffen und Botschaften überbringen. Doch es gibt auch Wesen, die zur Gänze im Netz leben – Blaise, Lee und Victor Lazarus waren einst Teil der 'realen' Welt und sind jetzt Teil des Netzwerks. Das legt zumindest der erste Teil: Die magische Münze nahe.

Damit sind wir auch schon bei den phantastischen Elementen angelangt: Sie verschmelzen SF und Übernatürliches zu Hybriden. Gerade das Netzwerk erinnert an den Cyberpunk, vor allem den Tron Film, in dem eine Person aus der 'realen' Welt in die virtuelle Realität gesogen wird. Der Kobold Lee ist ein Schattenwesen – der Widerling. Im Laufe der Geschichte wird noch klar werden, wie übernatürlich er und sein Gegenspieler Blaise sind; um die Spannung nicht zu verderben nur so viel: Sie entstammen den Archetypen der Mythologie.

 

Die Figuren sind rund, aber ob der großen Zahl nur selten mehr als skizzenhaft ausgeführt. Sie neigen zur Exzentrik. Die Hauptfiguren sind Leonardo und Ashleigh. Ashleigh Brown ist die etwa 16 jährige Tochter von Robert – von Freunden 'Rusty' wegen der roten Haare genannt – und seiner Jugendfreundin und Ehefrau Eileen. Doch nach der Pechsträhne, die in Die eiserne Kette geschildert wird, haben sich Ashs Eltern auseinander gelebt. Schließlich ist Eileen mit Ashs kleinem Bruder Maxie zurück zu ihrem Vater gezogen. Ash hatte während dessen eine eigentümliche Phase durchgemacht: Einerseits wollte sie der Autorität und Spießbürgerlichkeit ihres Elternhauses entkommen, andererseits schloss sie sich den Katzenmädchen an, einer Organisation der Regierung, die die öffentliche Ordnung in der Stadt aufrechterhalten soll. Wie sie in sich das Blut der Inselbewohner und Fahrenden vereinigt, so kämpfen in ihrer Brust die konservativen Ansichten des Mittelstands und die antiautoritäre Experimentierfreudigkeit der Jugend. Meister Leonardo dagegen war einst Hofmagier, wurde aber wegen des großen Reformprogramms Matthews entlassen und später zurückgerufen, da er eine besondere Affinität zum Netzwerk der Signalmaschinen hat – er hatte es schließlich erfunden. Mittlerweile ist er über 60, hat seine ehemalige Studentin Ruth geheiratet, die den Gasthof "Pflug" übernommen hat, und wurde damit beauftragt, die Störungen im Netzwerk zu beseitigen. Leonardo ist schroff und sehr stark seiner Arbeit zugewandt – und ebenso von deren Wichtigkeit überzeugt. Neben den erwähnten Figuren spielen Alice, Charles und Sally Bannister, Laurel und viele weitere, die schon in den vorigen Bänden erwähnt wurden wieder mit; selbst Tom Slater, obschon tot, ist nicht ohne Bedeutung. Die Gegenspieler bleiben allerdings – wenn man den Vorlauf nicht präsent hat – sehr blass: Lee, Hochmeister Fang und die Miliz der Wolfsjungen werden kaum beschrieben.

 

Die Geschichte verknüpft grob gesagt vier Plots, die unterschiedlich große Rollen spielen. Zentral sind die Entwicklungsgeschichte Ashs und der Kampf gegen die Störungen im Netzwerk. Der Kampf lässt sich als umgedrehte Queste beschreiben: Leonardo erkundet an seiner Signalmaschine sitzend das Netz und sucht Hilfe um es kontrollieren zu können. Diese aber sucht er nicht durch Reisen auf, sondern das Schicksal fügt es, dass ihm die Mittel zur Verfügung gestellt werden. Sehr wichtig, wenn auch nur beiläufig erzählt, wird die Verschwörung der Bannisters, die Fang stürzen und Matthew wieder einsetzen wollen. Als letzten Strang gibt es noch Alices Entwicklungsgeschichte. Diese vier Plots werden nun z. T. in unterschiedlichen Erzähl- und Handlungssträngen erzählt und verknüpft. Die Spannung bezieht die Geschichte in erster Linie aus den seltsamen Verknüpfungen und Rätseln, die aufgeworfen werden: Wer ist Blaise wirklich? Wer ist Lee? Dann auch aus dem eigenwilligen Setting und der variantenreichen Erzähltechnik. Wer sich diese Spannungsquellen erschließen kann, den wird es nicht stören, dass die Plots jeweils nur sehr langsam vorankommen.

 

Die Erzähltechnik nutzt viele Mittel und ist vielleicht das Interessanteste am ganzen Roman, daher will ich hierauf etwas detaillierter eingehen. Vier Erzählstränge sind klar zu beschreiben. Jedes Kapitel beginnt mit einem kurzen Sinnieren von Blaise. Episodisch und progressiv tragen die kurzen, vom Ich-Erzähler vorgetragenen Abschnitte zum Kampf gegen die Störungen bei. Jedes Kapitel wird mit einem kurzen Abschnitt aus der "Geschichte des Zeitalters der Könige" beendet. Episodisch und mal progressiv, mal regressiv (technisch allerdings immer regressiv) rekonstruiert ein Historiker als unzuverlässiger Erzähler den Verlauf der Verschwörung der Bannisters. Einige der evidenten Irrtümer laden zum Schmunzeln ein. Hin und wieder findet sich ein Brief, in dem Alice ihre Sorgen und Hoffnungen ihrer Großmutter schreibt. Diese tragen in Berichtsform episodisch und progressiv zu Alices Entwicklungsgeschichte bei. In etwa jedem zweiten Abschnitt berichtet häufig progressiv, selten regressiv die Ich-Erzählerin Ash von Episoden ihres Werdegangs. Zum Teil werden auch die anderen Plots gestreift. Die restlichen Abschnitte werden aus einer Mischung von auktorialer und personaler Perspektive geschildert. Trotz der vielen Zeit- und Handlungssprünge und Einschübe wird hier dramatisch und progressiv der Kampf gegen die Störungen behandelt; allerdings werden hier auch die übrigen Plots verbunden, so dass sie mit hineinspielen.

Ebenso werden Stil, Satzbau und Wortwahl angepasst: Ash erzählt empathisch, nutzt kurze Sätze und eine 'krasse' Sprache, während "Die Geschichte des Zeitalters der Könige" neutral in länglichen, mit Einschüben versehenen Sätzen in 'akademischer' Sprache berichtet.

 

Im Locus Magazin nennt China Miéville den Beginn der Glückssucher Reihe (engl. Legends of the Land) als einen der Romane, die er der Literaturströmung 'New Weird' zuordnet. Dieses ist nun sehr interessant, da seine Bas-Lag Geschichten eine sehr harsche Stimmung durchzieht, während Cockaynes Glückssucher bei den Reisen durch das Land eine gewisse pastorale Stimmung vermitteln – bei Miéville ist das Grimmige und Raue allgegenwärtig, bei Cockayne geht es von der Stadt aus. Dennoch gibt es viele Ähnlichkeiten: Beide verwenden Fantasy/SF-Hybriden, wobei Cockayne sich wesentlich spielerischer der Thematik nähert. Seine Reihe führt als Leitmotiv das Thinning, also das Schwinden der Magie aus dem Land; dieses ist ein sehr häufig verwendetes Motiv, besonders in der epischen Fantasy, doch Cockayne gelingt es, dem eine neue Facette hinzuzufügen. Die Glückssucher lassen sich insgesamt als 'New Weird' begreifen, auch wenn es deutliche Differenzen zu der Bas-Lag Reihe gibt.

 

Fazit:

Während Leonardo und seine Verbündeten für den Hochmeister Fang gegen den Widerling Lee kämpfen und Ashleigh erwachsen wird, planen die Bannisters die Befreiung des Königs und den Sturz des Hochmeisters. Cockayne greift Fäden und Figuren aus den vorhergehenden Bänden auf um mit seiner komplizierten Erzählstruktur einen sehr dichten Abschluss zu knüpfen. Wer die üblichen Spannungsplots erwartet, der sei vorgewarnt – wer allerdings gerade auf eine ungewöhnliche Erzähltechnik und Spiel mit den Traditionen der Fantasy und der SF Wert legt, der ist gut beraten hierauf einen Blick zu werfen; eine Vielzahl der eigentümlichen Verknüpfungen werden allerdings erst dann beachtenswert, wenn man Details aus der ganzen Reihe im Hinterkopf behält.

 

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Oje, das hat nicht geklappt, Elfenwerk! 202405050822539caabd61
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Das himmlische Kind

Autor: Steve Cockayne

Reihe: Die Glückssucher Bd.3

Original: The Seagull Drovers, Legends of the Land: Book three (2004)

Übersetzer: Andreas Heckmann

Blanvalet, 2007

Broschiert, 409 Seiten

ISBN-10: 3442243300

ISBN-13: 978-3-442-24330-3

Erhältlich bei: Amazon


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Erstellt: 02.03.2007, zuletzt aktualisiert: 21.03.2024 17:38, 3534