Der Gefangene (Autor: John Grisham)
 
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Der Gefangene von John Grisham

Rezension von Björn Backes

 

Inhalt:

Am 7.Dezember 1982 wird Debbie Carter in ihrer Wohnung brutal misshandelt, vergewaltigt, ermordet und fürchterlich entstellt. Die Bewohner der Kleinstadt Ada sind schockiert, die Justiz hingegen drängt auf schnelle Erfolge bei den Ermittlungen. Doch erst vier Jahre später kommt es zum Prozess, der jedoch einem mittelschweren Skandal gleicht. Der psychisch labile Ron Williamson sowie der bodenständige Lehrer Dennis Fritz sollen den Mord begangen haben und werden unter fadenscheiniger Beweislage tatsächlich schuldig gesprochen. Während Fritz eine lebenslange Haftstrafe aufgebrummt bekommt, entscheiden die Geschworenen im Falle Williamsons auf die Todesstrafe.

Jahrelang sitzt der unschuldige Ronnie im grausam geführten Todestrakt ein, erleidet psychischer Erkrankungen besonderen Grades und wird immer wieder mit seinem bevorstehenden Tod konfrontiert. Dennoch wehrt er sich bis zuletzt gegen den Schuldspruch und findet nach elf langen Jahren doch noch Gehör. Körperlich und seelisch völlig zerstört erreicht er infolge eines Revisionsantrags einen neuen Prozess, an dem endlich die Wahrheit über seine Person und die fürchterlichen Versäumnisse der einstigen Ermittlungen zutage kommen sollen.

 

 

Rezension:

In seinem aktuellen Roman wagt sich John Grisham erstmals an die Aufarbeitung einer tatsächlich geschehenen Begebenheit und beleuchtet in aller Ausführlichkeit das Schicksal des dereinst unschuldig zum Tode Verurteilten Ron Williamson. In einer Mischung aus Dokumentation, Drama und Psycho-Thriller greift er die Tragödie um den ehemaligen Sunny Boy auf, beschreibt sein Talent für Baseball und Sport in allen Formen und endet mit einem erschreckenden Überblick über seinen heftigen Absturz, der in der Frustration seiner gescheiterten Karriere als Profi-Baseballer begründet ist. Seine Biografie ist abschreckend und interessant zugleich, und dies bereits vor dem eigentlichen Hauptthema, seinem erbitterten Kampf gegen die Todesstrafe. Williamson hangelt sich von einer Therapie zur nächsten, steht wegen seiner manischen Depressionen unter Dauerbehandlung, entwickelt derweil schizophrene Züge und entfremdet seine Persönlichkeit immer stärker von seiner Familie, die ihn trotz aller Verschmähungen weiterhin unterstützt.

Wegen einiger mitunter harmloser Delikte gerät Ron schließlich häufiger in Konflikt mit dem Gesetz, sitzt einige kürzere Haftstrafen ab und wird nach der Aussage eines zwielichtigen Bekannten auf einmal zum Hauptverdächtigen eines Mordkomplotts, das die gesamte Justiz der Kleinstadt in Oklahoma massiv überfordert. Mit allen Mitteln bearbeiten die Cops ihr neues Feindbild, setzen ihm mit Psychotricks zu und verführen ihn schließlich zu einem erzwungenen Geständnis, welches gemeinsam mit einer lächerlichen Haaranalyse zur Verurteilung führt. Williamson kann gar nicht fassen, wie ihm geschieht, und wehrt sich mit allen Mitteln gegen das Urteil, bleibt jedoch erfolglos.

Die eigentliche Tragödie beginnt im Anschluss: In der Todeszelle beharrt er auf seine Unschuld, muss die bitteren Schandmäuler auf den Wärterpositionen ertragen, sich immer stärker gegen seine wachsende psychische Labilität behaupten und dennoch den Mut bewahren, für die Gerechtigkeit und seinen etwaigen Freispruch zu kämpfen. Jahrelang sitzt er ein, wird mehrere Male bereits mit einem Vollstreckungstermin in die Enge gedrängt, schafft es aber dank tatkräftiger Unterstützung seiner beiden Schwestern, die sich rührselig um das Justizopfer kümmern, dennoch bis zur zu diesem Zeitpunkt überraschenden Revision durchzuhalten.

 

Die Lebensgeschichte, die Grisham in diesem Buch ins Bewusstsein ruft, bewegt bis zur letzten Seite, selbst wenn gerade die detaillierte Aufarbeitung der Jugend des Hauptdarstellers sowie die faktische Darstellung aller Krankenhaus- und Therapieaufenthalte im ersten Drittel ein wenig langatmig geraten sind. Für die Komplettierung des Schicksals sind sie allerdings unverzichtbar und von enormer Bedeutung. Die Brisanz entwickelt sich erst, nachdem der vorangestellte Mord in die Biografie des Protagonisten eingefügt wird. Jener unvergessene Dezembertag, an dem die Leiche Debbie Carters’ entdeckt wird und die Brutalität des Mordes für Schlagzeilen sorgt, ist schließlich der Startschuss für eine Reihe von Unglaublichkeiten, in der Grisham gleich mehrfach aus der Seele der Vertreter der Political Correctness spricht. Nicht nur wegen der historischen, sondern auch wegen der symbolischen Bedeutung klagt er mit nie vermutetem Zynismus Missstände im amerikanischen Justiz- und Polizeisystem an und statuiert an diesem Fall ein Exempel an die Unfähigkeit des dortigen Rechtssystems. Von Foltermethoden bei den Ermittlungen bis hin zu Scheingeständnissen und völlig haltlosen Beweismitteln bemüht der Autor hier so ziemlich alles, was die Emotionen des Lesers noch weiter auf die Spitze treibt und mit der Zeit einen regelrechten Hass auf all diejenigen Personen schürt, die Williamsons Leben zerstört bzw. seine Existenz mit missachtetem Respekt vernichtet haben. Zwar mag so manches Zitat gleichsam effektreich inszeniert sein, also quasi darauf bedacht, das Konzept an den Erwartungen des Lesers auszurichten, jedoch scheint hier nichts erzwungen, da sich der Roman nun mal ausnahmslos an der Realität orientiert und daher sogar noch eine weitaus erschreckendere Wirkung hat.

 

Dennoch: „Der Gefangene“ ist beileibe kein typischer Grisham-Plot, da der Autor hier aus einer ganz anderen Perspektive schreibt; die Rollenverteilung ist klar bestimmt, der Vorlauf vorgezeichnet, ja selbst das Ende absehbar. Das Besondere an der Story ist daher auch in erster Linie der Aufbau der Figuren, ihre Eigenarten sowie ihr meist schwer nachzuvollziehendes Handeln, welches letztendlich auch der oberste Spannungsgarant ist. Allerdings wird es dennoch eine Weile dauern, bis man sich an die stilistischen und inhaltlichen Neuerungen gewöhnt hat und die Struktur, so einmalig und fantastisch die Aufarbeitung der Geschichte auch sein mag, akzeptiert. Aber an der Tatsache, dass es sich bei „Der Gefangene“ auch trotz dieser kleinen Hürde um einen würdigen Grisham, und damit auch um ein Meisterwerk, handelt, gibt es dennoch nichts zu rütteln.

 

 

Fazit:

Grisham rechnet knallhart ab, mit der amerikanischen Justiz, mit eklatanten Fehlern im System, letztendlich aber vor allem mit dem Mangel an Courage, der den Kontrollstaat Amerika umgibt und besonders im Falle einer Revision bei der Todesstrafe so dringend angebracht wäre. Das Beispiel Ron Williamson, welches der Autor hier stellvertretend für Dutzende Unschuldige, die in den Staaten einem falschen Opfer zum Urteil fallen, heranzieht mag zynisch und sarkastisch sein, verfehlt seine Wirkung aber nicht und weiß vor allem wegen der bewegenden Darstellung der gesamten Lebensgeschichte des Hauptdarstellers von Beginn an zu begeistern. „Der Gefangene“ ist ein ungewöhnlicher Roman, aber gerade in Grishams jüngster Biografie einer der besten.

 

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Oje, das hat nicht geklappt, Elfenwerk! 20240505184107a056ccfb
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Der Gefangene

Autor: John Grisham

Broschiert: 464 Seiten

Verlag: Heyne TB (1. Februar 2008)

Sprache: Deutsch

ISBN-10: 3453811747

ISBN-13: 978-3453811744

Erhältlich bei: Amazon


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Erstellt: 18.02.2008, zuletzt aktualisiert: 04.05.2024 18:53, 5849