Der Junge und der Reiher (Kino)
 
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Der Junge und der Reiher

Filmkritik von Ingo Gatzer

 

Nach dem Tod seiner Mutter während eines Luftangriffs im Pazifikkrieg zieht der junge Mahito mit seinem Vater von Tokio aufs Land. Dort hat er zunächst Probleme sich an seine neue Stiefmutter, die jüngere Schwester seiner verstorbenen Mama, zu gewöhnen. Zudem ereignen sich merkwürdige Geschehnisse. So erklärt ihm ein seltsamer Graureiher, dass seine Mutter noch lebe. Schließlich wird Mahito einem geheimnisvollen Turm gelockt und taucht in eine neue Welt ein.

 

Rund sieben Jahre hat es gedauert, bis die japanische Regie-Legende Hayao Miyazaki Der Junge und der Reiher fertiggestellt hat. Das liegt auch daran, dass hier praktisch alles – von A wie Animationen bis Z wie Zeichnungen – Handarbeit ist. Das Ergebnis sieht hervorragend aus. Die Bilder sind herrlich detailreich gestaltet und schaffen vor allem bei der Gestaltung von Natur und Architektur eine dichte Atmosphäre. Die Animationen sind – etwa bei den Flammenszenen nach dem Luftangriff – dynamisch und mitreißend. Aber auch die Bewegungen des Reihers sind perfekt geraten. Bei der Gestaltung von Menschen und anderen Lebewesen liegt dabei der Fokus nicht unbedingt auf Realismus. Vielmehr ist der typische Stil von Studio Ghibli unverkennbar.

 

Für Fans der Filme von Studio Ghibli im Allgemeinen und der Werke des 83-Jährigen Hayao Miyazaki ist der Film ohnehin wie ein Nachhausekommen oder das Hineinschlüpfen in ein besonders bequemes Paar lieb gewonnener Schuhe. So finden sich zahlreiche Verweise auf frühe Filme. Das reicht vom Weg in eine Anderswelt wie bei Mein Nachbar Totor“ über die Gestaltung der Hauspersonals, das optisch teilweise an die Hexe Yubaba aus Chihiros Reise ins Zauberland erinnert, bis zur Hauptfigur die ein Bruder von Prinz Ashitaka aus Prinzessin Mononoke sein könnte.

 

Trotzdem muss man mit dem Ghibli-Universum nicht vertraut sein, um »Der Junge und der Reiher« genießen zu können. Denn der Film behandelt – übrigens nach der Vorlage eines Jugendromans von Genzaburo Yoshino – mit leichter Hand einerseits philosophische Fragen von Leben, Tod und Moral. Dazu gibt es zahlreiche Verweise zu entdecken, die sich längst nicht auf die japanische oder asiatische Kultur und Mythologie beschränken. Andererseits bietet er eine spannende Handlung und zieht Betrachter bereits zu Anfang mit einer temporeichen Sequenz in den Bann. Die eher ernsthafte Tonalität wird immer wieder von wohldosierter Komik durchbrochen – wobei vor allem eine zunächst als bedrohliche empfundene Figur für Comic Relief sorgt. Für Teile eines jungen TikTok-Publikums könnte das Pacing des mehr als zwei Stunden langen Films in einigen Teilen möglicherweise etwas zu langsam sein.

 

Lobend zu erwähnen ist auch der Soundtrack von Joe Hisaishi, mit dem Miyazaki bereits seit rund vier Jahrzehnten zusammenarbeitet. Hisashi verstärkt geschickt die durch die visuelle Gestaltung hervorgerufenen Emotionen. Dabei gibt sich die Musik wandelbar. Das beginnt beim für Hisahsi oft verwendeten minimalistischen Klavierspiel mit Ohrwurmqualität, in das an einigen Stellen dramatische Streicher einfallen. Dann sorgen Bläser für eine mysteriöse Stimmung. Aber auch Instrumente, die typisch japanisch bzw. asiatisch klingen sind vereinzelt genauso zu hören wie ein Chor. Das alles fügt Hisaishi zu einem harmonischen und auf die Optik des Films genau abgestimmtes Bild zusammen.

 

Zum Glück ist auch die deutsche Fassung gelungen. Gut, dass diese in den erfahrenen Händen von FFS Film- & Fernseh-Synchron lag, die nicht nur beispielsweise »Chihiros Reise ins Zauberland«, sondern auch für Highlights wie Herr der Ringe, Oben oder Inception verantwortlich waren.

Fazit

»Der Junge und der Reiher« ist für den Oscar 2024 in der Kategorie Animationsfilme nominiert und hat mit dem Blockbuster Spider-Man: Across the Spider-Verse und dem Überraschungshit Nimona starke Konkurrenz. Allerdings wäre es keine Überraschung, wenn Hayao Miyazakis vielleicht letzter Langfilm bei der 96. Oscarverleihung triumphieren könnte. Das wären 21 Jahre nach dem Academy Award für sein Werk Chihiros Reise ins Zauberland, mit dem sich der aktuelle Film messen lassen muss – und kann.

 

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Kino:

Der Junge und der Reiher

Original: Kimitachi wa Dō Ikiru ka, 2023

Regie: Hayao Miyazaki

Drehbuch: Hayao Miyazaki

Produktion: Toshio Suzuki

Musik: Joe Hisaishi

Sprache: Deutsch

Studio: Studio Ghibli

Spieldauer: 124 Minuten

 


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Erstellt: 31.01.2024, zuletzt aktualisiert: 08.03.2024 09:25, 22729