Der Unsichtbare von Auguste Groner
Rezension von Ramona Schroller
Auguste Groner ist die erste Frau, die in der Reihe „Bibliotheca
Arcana" verlegt wird. Was dann natürlich einige Männer stutzen lassen
dürfte. Ja, eine Frau, die Phantastik schreibt. Es gab auch noch
andere außer Mary W. Shelley.
Dabei ist Auguste Groner keine Unbekannte. Tatsächlich sogar war sie
zu ihrer Zeit recht bekannt, vor allem für ihre Kriminalgeschichten
und Rätselgedichte. Phantastisches aus ihrer Feder ging dagegen leider
meist unter. Aber da ist sie beileibe nicht die einzige. Auch Arthur
Conan Doyle hat phantastische Geschichten geschrieben, doch
letztendlich bekannt wurde er für seine Sherlock Holmes-Geschichten
sowie die (teils doch phantastischen) Geschichten um Professor
Challenger.
Das Schicksal allerdings teilt Groner mit Conan Doyle nicht. Keine
ihrer Figuren blieb so lange im steten Interesse wie dessen Klassiker.
Woran das wohl liegt? Böse Zungen mögen nun wieder ihr Geschlecht
anführen, ich dagegen bin mir nicht so sicher. Vielleicht ist es auch
einfach nur so, daß sie zur falschen Zeit kam. Ihr Detektiv Joseph
Müller konnte kurze Zeit neben Sherlock Holmes bestehen, doch auf
lange Sicht war das leider anders. Ein Umstand, den zu ändern es sich
lohnen würde.
Doch zurück zu dem vorliegenden Band. Sämtliche Erzählungen Groners
sind Abdrucke aus der Zeitschrift „Das interessante Blatt", dessen
Herausgeber ihr Ehemann war. Dies allerdings hat nichts mit der
Wertung des ganzen zu tun, an die wir uns nun im einzelnen wagen:
Die erste Geschichte ist zugleich die titelgebende: „Der Unsichtbare".
Merkwürdige Dinge gehen in der Wohnung des alten Uhrmachers Tönning
vor. Schritte sind zu hören, obgleich der einzige Bewohner unterwegs
ist, zudem hält der verschrobene Alte sich einen eigenartigen Affen
und einen Papagei, der scheinbar nur wüste Beschimpfungen ausstoßen
kann. Tönnings Neffe, ein Seemann, kommt auf Besuch und erfährt dabei
das Geheimnis seines Onkels. Eine interessante Geschichte um Rache in
ihrer schlimmsten Form.
„Die kalte Hand" ist es, die Heinrich Dölling, seines Zeichens
erfolgloser Arbeiter und unzufrieden mit seinem Leben, fürchtet. Die
Not will den Ehemann und Vater vom rechten Weg abbringen, doch die
kalte Hand ... Döllings Frau jedoch glaubt an die Schuld ihres Mannes,
woran die Ehe fast zerbricht. Ein geringes phantastisches Element,
doch die Geschichte ist unsagbar fesselnd. Deutlich merkt man, worin
der Unterschied zwischen einem männlichen und einem weiblichen Autoren
zu suchen sind. Groner findet immer das rechte Wort an der richtigen
Stelle.
„Das ewige Licht" gibt es in jeder Kirche. Doch diese hier hat eine
besondere Geschichte - und einen ruhelosen Geist, wie der Kapitän a.D.
herausfindet. Klassische Gespenstergeschichte mit viel Flair und einer
tragischen Auflösung. Eines der Highlights.
„Der Hampelmann" ist es, was sich Claas wünscht. Doch der geizige
Müller, sein Vater, hat anderes zu tun, als seinen Kindern ihre
geringen Wünsche zu erfüllen. Und dieses Versäumnis rächt sich bitter.
Meiner Ansicht nach die beste Geschichte des ganzen Bandes.
Meisterhaft erzählt die Autorin sie, und das in einem so leichten Ton,
daß einem erst recht die Gänsehaut den Rücken überzieht. Besondere
Beachtung hier sollte auf dem Wind liegen.
„Die rätselvolle Statue" liegt halb vergessen auf dem Dachboden der
Kirche - und so hat es nach dem Küster auch ruhig weiter bleiben
sollen. Doch der Sommergast sieht das anders und versucht
herauszufinden, was es genau mit dieser Statue auf sich hat. Ein
Geheimnis, das die ganze Gemeinde erschüttert. Eine etwas
ungewöhnlichere Gespenstergeschichte, aber nichts desto trotz eine
Liga für sich.
„Die tickende Uhr" an sich ist nicht ungewöhnlich. Doch diese Uhr, die
Raimann als Ersatz für seine reperaturbedürftige Taschenuhr erhält,
hat es wirklich in sich, den sie gibt Nachrichten von sich. Und
Raimann stürzt sich in ein Abenteuer, das unheimlicher nicht sein
könnte. Wieder ein klassisches Geister-Thema, und wieder meisterhaft
gelöst. Ungewöhnlich: Die Uhr als Nachrichtenschreiber.
„Die unheimliche Schenke" sucht der Erzähler auf, um sich zu einer
gruseligen Geschichte inspirieren zu lassen, denn sonst bestehen keine
Chancen, die Wette mit seinen Kollegen zu gewinnen. Und der graue
Herr, der regelmäßig in der Schenke einkehrt, scheint die unheimliche
Atmosphäre ebenfalls zu schätzen - oder verursacht er sie? Am Ende
jedenfalls traut der Erzähler seinen Ohren nicht, denn der graue Herr
gibt seinen Namen preis. Kurz, prägnant und mit einem deutlichen
Schmunzler zu lesen. Highlight Nummer vier.
Herausgehen möchte ich an dieser Stelle auch noch die begleitenden
Grafiken. Leider nicht zu allen Geschichten, aber doch zu einigen. Vor
allem die zu den ersten beiden sind einfach nur wundervoll - und
stammen aus der Hand eines Schwagers von Auguste Groner. Ein wahrer
Augenschmauß.
Alles in allem bleibt am Ende nur ein sehr befriedigtes Leseerlebnis,
ein Hochgenuß und die Frage, wie wäre ein Mann an alle diese
Geschichten herangegangen? Anders auf jeden Fall als Auguste Groner,
eine Autoren, die vollkommen zu unrecht in Vergessenheit geraten ist.