Die Chroniken der Meerjungfrau – Der Fluch der Wellen (Autorin: Christina Henry; Die Dunklen Chroniken 5)
 
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Die Chroniken der Meerjungfrau – Der Fluch der Wellen von Christina Henry

Reihe: Die Dunklen Chroniken Band 5

 

Rezension von Matthias Hofmann

 

Inzwischen liegt der fünfte Roman aus der Reihe Die Dunklen Chroniken vor. Nach Dark-Fantasy-Interpretationen von Alice im Wunderland (3 Bände) und Peter Pan ist Die Chroniken der Meerjungfrau – Der Fluch der Wellen erschienen. Bis auf die Alice-Romane haben die Geschichten inhaltlich nichts miteinander zu tun, außer, dass es ebenso düster, gewalttätig und phasenweise blutig zu geht.

 

Der neuste Streich von Christina Henry stützt sich außerdem nicht auf Disneys Meerjungfrau Arielle, wie man vielleicht denken könnte, sondern eher auf deren Inspiration: Die kleine Meerjungfrau von Hans Christian Andersen. Der Däne hat sein Kunstmärchen bereits 1837 geschrieben. Er wiederum soll es auf einer Sage um die Wassernixe Undine basiert haben. Christina Henry hat nur Elemente daraus entlehnt und eine eigenständige Geschichte verfasst.

 

Das Buch beginnt wie alle guten Märchen: »Es war einmal …«. Und der Anfang strotzt so richtig vor Romantik und Sehnsucht. Denn der Fischer namens Jack war »ein einsamer Mann, der an einer kalten, rauen Küste lebte, und keine Frau davon überzeugen konnte, ihre Heimat zu verlassen, um mit ihm an diesem unwirtlichen Ort zu leben. Er liebte das Meer mehr als jeden Menschen, und so gelang es ihm nicht, eine Frau zu finden, denn Frauen sehen klarer ins Herz eines Mannes, als Männer sich das vielleicht wünschen.«

 

Der erste Teil erzählt von Jack, dem eine Meerjungfrau ins Netz geht. Er lässt sie frei. Doch sie kehrte zurück, verwandelte vom Menschenfisch zu Frau, denn die Einsamkeit in Jacks Augen hatten sie stärker festgehalten als jedes Netz es könnte. Sie nimmt den Namen Amelia an und sie leben verliebt in seinem Haus bis er eines Tages ins Meer hinausrudert und nicht mehr wiederkommt. Ob es damit zusammenhängt, dass Jack im Gegensatz zu Amelia alterte, sie aber nicht, wird nicht geklärt. Gerüchte über eine rätselhafte und ungewöhnliche Frau, die nicht älter wurde und möglicherweise eine Meerjungfrau war, wanderten über die Ostküstendörfer von Neuengland. Eines Tages trafen sie auf die Ohren eines Mannes, dessen Geschäft es war, das Seltsame und Außergewöhnliche zu verkaufen. Sein Name: P.T. Barnum.

 

Damit beginnt die Haupthandlung. Barnum ist eine Persönlichkeit aus dem echten Leben, die Christina Henry geschickt in ihre fiktive Handlung aufnimmt. Barnum, der hier die Rolle des Antagonisten und Bösewichts spielt, wird als reißerischer Geschäftemacher, der es mit der Wahrheit nicht so genau nimmt, dargestellt. Ein veritables Monster in Menschengestalt.

 

Im echten Leben (1810 – 1891) war Barnum ein Wanderzirkuspionier, der 1942 in New York City »Barnums American Museum« eröffnete. Dieses bot eine kuriose Mischung aus Museum, Wachsfigurenkabinett, Theater und Zoo. Außerdem gab es eine Art Freak Show, mit Exponaten wie einer mumifizierten Meerjungfrau von den Fidschis (die nichts anderes als ein großer Fisch mit einem Affenkopf war), lebenden Kuriositäten wie ein Zwerg, eine bärtige Frau oder erwachsene siamesische Zwillinge.

 

Im Roman gelingt es Barnum, Amelia für sein Museum zu gewinnen. Denn sie ist neugierig auf die Zivilisation der Menschen und glaubt, dass sie jederzeit diese andersartige Welt wieder verlassen kann. Also wird sie zur Hauptattraktion des Museums, zieht Massen von Besuchern an, muss sich mehrmals am Tag in eine Meerjungfrau verwandeln. Ein Zustand der gnadenlosen Ausbeutung, dem sie doch nicht mehr so leicht entfliehen kann wie gedacht, denn sie hat einen Vertrag unterschrieben …

 

»Die Chroniken der Meerjungfrau – Der Fluch der Wellen« ist ein äußerst gelungener Roman über das Wesen der Menschen, über Ausbeutung und dem Wunsch, sich selbst treu zu sein. Die Geschichte kommt ohne große Action aus, etwas, das der Durchschnittsleser negativ ankreiden könnte, aber ich finde den langsamen Fluss der Geschichte in sich stimmig.

 

Der Roman ist voller trauriger Momente, besonders wenn Menschlichkeit auf Gier und Fanatismus trifft. Nachdenklich stimmen auch die Passagen, in denen es darum geht, ob Amelia ein Mensch oder eine Meerjungfrau ist, ob letztere eher ein Tier ist oder gar Besitz wie ein Gegenstand. So wie die Orang-Utan-Dame im Zirkus, die keinerlei Rechte hat und immer auf Knopfdruck oder eher Peitschenhieb mitspielen muss.

 

Unterm Strich ist es ein Buch über die Liebe und welche Hindernisse sie überwinden kann. Die Zuneigung zwischen Fischer Jack und Meerjungfrau Amelia wird beschrieben mit diesen Worten: »Sie liebte ihn beinahe so sehr, wie sie das Meer liebte, und so passten sie wunderbar zusammen, denn er liebte das Meer beinahe so sehr, wie er sie liebte. Er hätte nie gedacht, dass irgendjemand ihn mal stärker anziehen könnte als der Ozean, aber er sah die donnernden Wellen in ihren Augen und schmeckte das Salz der Gischt auf ihrer Haut, und dazu fand er in ihr noch etwas, das die See ihm niemals geben konnte: Der Ozean liebte ihn nicht zurück. Amelia schon.«

 

In »Die Chroniken der Meerjungfrau – Der Fluch der Wellen« steckt wesentlich mehr drin als nur eine düstere Interpretation des Märchens von der Meerjungfrau. Der Roman wirkt auf mindestens zwei Ebenen: der reinen Unterhaltung und der psychologischen Deutung. Damit zählt er für mich neben dem ersten Band zu den stärksten Büchern der »Dunklen Chroniken« von Christina Henry.

 

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Buch:

Die Chroniken der Meerjungfrau – Der Fluch der Wellen

Reihe: Die Dunklen Chroniken Band 5

Original: The Mermaid, 2018

Autorin: Christina Henry

gebundene Ausgabe, 368 Seiten

Penhaligon, 18. Oktober 2021

Übersetzung: Sigrun Zühlke

Titelillustration: Melanie Korte

 

ISBN-10: 3764532378

ISBN-13: 978-3764532376

 

Erhältlich bei: Amazon

 

Kindle-ASIN: B0869L4PHZ

 

Erhältlich bei: Amazon Kindle-Edition


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Erstellt: 01.01.2022, zuletzt aktualisiert: 04.05.2024 18:53, 20473