Die Jugend von Blueberry: Das Geheimnis des Mike S. Donovan (Die Blueberry Chroniken Bd. 1)
 
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Die Jugend von Blueberry: Das Geheimnis des Mike S. Donovan

Die Blueberry Chroniken Bd. 1

Rezension von Christian Endres

 

Die Welt der Comic-Unterhaltung lebt, gerade was die Hintergründe der unzähligen Geschichten angeht, oftmals von der Fiktion. Egal ob Gotham City oder Entenhausen – viele Comic-Universen bestehen zwar zu einem Großteil aus Anleihen oder Parallelen zu unserer Welt, sind aber meistens dennoch entfremdet genug oder vom Kontext her zumindest so weit entrückt, dass man als Leser ihre Städte, Länder oder Geschichtsbücher als Fiktion hinnimmt. Dennoch gibt es auch in der neunten Kunst Geschichten und Serien, die sorgfältig und stimmig in den geschichtlichen Kontext »unserer Welt« eingebettet sind – eines der besten Beispiele hierfür – und nebenbei auch eines der besten Beispiele für die Qualität und Möglichkeiten des Mediums Comic an sich – ist dabei immer noch der frankobelgische Western-Klassiker Blueberry, der vor allem durch die Skripts von Charlier und die Zeichnungen von Moebius, die den gleichnamigen Titelhelden über weite Strecken der Reihe begleitet haben, heute bereits Legende ist ...

 

Um all denen, die bis dato nichts mit Blueberry oder dem Western-Comic zu tun hatten, einen kleinen Vorgeschmack auf den Inhalt und die Bedeutung dieser Comic-Reihe, die sich durch den Klappentextes des Bandes eigentlich recht gut veranschaulichen lässt: »1963 betrat ein neuer Held die Bühne der frankobelgischen Comic-Kunst, der das Western-Genre revolutionieren sollte: Mike S. Donovan alias Blueberry. Der von den Comic-Granden Jean-Michel Charlier und Jean Giraud entworfene Edel-Western "Blueberry" gehört seitdem zu dem populärsten Serien auf dem Comic-Markt. Die »Blueberry Chroniken» verstehen sich als exklusive »Blueberry»-Werkausgabe, in der die Abenteuer des Helden erstmals streng chronologisch und in einer sorgfältig editierten Fassung erscheinen – ergänzt um informative, die Hintergründe des Epos beleuchtende Beiträge zu den Autoren, der Entstehungsgeschichte der Reihe und den historischen Hintergründen.«

 

Es folgt: Die Sache mit der Chronologie – oder der alte Kampf Erstveröffentlichungschronologie vs. inhaltliche Chronologie ...

 

Der erste Band der jüngst bei Ehapa gestarteten Blueberry Chroniken, welche sich vornehmlich mit den von Moebius gezeichneten Kern-Ausgaben des langwierigen Western-Epos beschäftigen wird, widmet sich ganz der Jugend von Titelheld Mike Blueberry. Sprich: Die »Chronologie der Chroniken« (ob ich auf diese Phrase wohl ein Patent anmelden kann?) richtet sich hierbei nach dem Leben des Westernhelden – und nicht nach dem Original-Erscheinungsdatum der einzelnen Stories bzw. den entsprechenden Alben. So kommt es dann auch, dass der erste Band folgende Titel enthält, obwohl diese von der Veröffentlichung her erst später dem Blueberry-Universum hinzugefügt worden sind:

 

Blueberrys Geheimnis

Die Brücke von Chattanooga

3000 Mustangs

Ritt in den Tod

Menschenjagd

Soldat M. S. Blueberry

Jagd auf Leben und Tod

Doppeltes Spiel

 

Die in »Die Jugend von Blueberry: Das Geheimnis des Mike S. Donovan« versammelten Stories aus Mikes Jugend sind ein in mehrerlei Hinsicht gelungener Einstieg in die Welt von Blueberry. Sie sind wie ein hervorragender Prolog zu all dem, was in den folgenden Bänden noch kommen wird, und erfreuen durch hohe Einsteigerfreundlichkeit, aber eben auch durch einen sympathischen Helden mit Ecken und Kanten – wie es sich für einen Western-Helden eben gehört. Schon die erste Geschichte über den halsstarren Heißsporn weist dabei den Weg für künftige Abenteuer: Mike S. Donovan wird Opfer einer Intrige und muss sogar als Trompeter zur Armee des Nordens überlaufen, um der Rache des Südens, seiner Heimat, zu entgehen. In der Folge schlägt sich Mike, der sich fortan Blueberry nennt, also als Teil der Nordstaatenarmee durchs Leben, sprengt Brücken in die Luft, nimmt sich Pferdeherden der Südstaatenarmee an (3000 Mustangs, in meinen Augen mit die beste Geschichte des Bandes!) und fürchtet sich auch nicht vor anderen gefahrvollen Aufträgen oder Situationen – weiß er doch, dass sein freches Mundwerk, seine Cleverness und seine Schießkünste die Waagschale in jeder noch so aussichtslosen Situation schnell zu seinen Gunsten ausschlagen lassen können ...

 

Der viel zu früh verstorbene Jean-Michel Charlier hat den Western-Comic mit Blueberry nicht neu erfunden – allerdings hat er seine Stories so geschickt gescriptet, seine Helden und Schurken so geschickt in Szene gesetzt, dass man ohne zu Übertreiben von einer Revolution und Runderneuerung des Genres sprechen kann. Und es dürfte für einen Comicautoren wohl kaum ein größeres Kompliment geben als die Bestätigung dessen, dass es ihm gelungen ist, mit altbekannten und -bewährten Mitteln stets das Gefühl von Vertrautheit geschafft, seine Leser zeitgleich aber auch immer wieder mit guten oder gar innovativen Einfällen und Ideen überrascht und mitgerissen zu haben. Natürlich bediente Charlier auch eine ganze Reihe der gängigen Western-Klischees, doch erwartet man das von einem Comic, der sich mit dem Wilden Westen, hartgesottenen Cowboys und dergleichen beschäftigt, ja auch irgendwo und wäre wohl sogar enttäuscht, wenn dem nicht so wäre. Wie immer macht es auch hier eben die Mischung, und gemeinsam mit den stimmigen, lebendigen Dialogen und – natürlich! – Moebius’ Artwork (dazu gleich mehr) ergibt sich dadurch ein sehr, sehr atmosphärisches Gesamtbild der wohl konfusesten, aber zugleich auch abenteuerlichsten Zeit des noch recht jungen Amerikas ...

 

Was für eine Wohltat ist es doch, in acht Geschichten mit den großartigen Zeichnungen von Jean »Moebius« Girauds verwöhnt zu werden! Da waren Gesichter noch markant, Panels noch abwechslungsreich und Hintergründe mit der nordamerikanischen Wüste, den Wäldern oder der Prärie noch angemessen archaisch und frei. Man merkt den Zeichnungen ebenso wenig wie den Geschichten oder Dialogen ihr Alter an und staunt einfach nur über die zu Recht hochgelobte Kunst des Moebius. Schade ist hierbei nur, dass man durch die an den Inhalt angelehnte chronologische Sortierung nicht die Entwicklung dieses Ausnahme-Künstlers der frankobelgischen Szene beobachten kann, doch nehme ich diesen Wermutstropfen gerne in Kauf, genauso wie ich mit der Neukolorierung kaum Probleme habe (was wohl auch daran liegen mag, dass ich als »halber, zugegebenermaßen leicht euphorisierter und ohnehin schlichtweg begeisterter Blueberry-Querseinsteiger« nicht gar so nostalgische Gefühle gegenüber einer wie auch immer gearteten »alten Farbgebung« hege und mich nicht großartig umstellen muss – und wir Comicleser sind ja bekanntermaßen Gewohnheitstiere par Excellenze, sodass man den Altlesern da eben ein gewisses Maß an Verständnis entgegen bringen, sich gleichzeitig aber nicht dieses zeitlose Western-Comic-Erlebnis kaputt-reden lassen sollte ...). Nein, hier stimmt einfach alles, und nach einer Hand voll Dollar – pardon, Seiten – stört man sich auch nicht mehr an der »Eigenart«, dass die meisten Sätze in den Sprechblasen mit einem Ausrufezeichen enden!

 

Die Aufmachung des ersten Bandes der Chroniken (der übrigens eine europäische Co-Produktion mit anderen Ländern unter Federführung eines norwegischen Verlages ist, falls es jemanden interessiert) wird nicht nur seines Inhalts, sondern auch seines Preises gerecht: Ein ansprechend großes, stabil gebundenes Album mit toller Gestaltung, schönem Papier, gutem Lettering und einem genau richtig bemessenen, den eigentlichen Geschichten voran gestelltem redaktionellen Teil lassen den ersten Band der Ehapa’schen Blueberry-Werkausgabe der Moebius-Geschichten auch aufmachungstechnisch und aus bibliophiler Sicht zu einem echten Leckerbissen werden, den man gerne in die Hand und zum Lesen heran nimmt, aber eben auch gerne ins Regal stellt und es ferner gar nicht erwarten kann, dass sich mehr dieser schön gestalteten Hardcover-Alben zu jenem ersten hinzugesellen. Auch sieht man bei so viel Positivem gerne über kleine Schönheitsfehler (z. B. eine etwas uneinheitliche und nicht gar so optimale Präsentation/Verwendung der Originalcover oder des Kartenmaterials im redaktionellen Teil, das leider etwas klein geworden ist) hinweg – Kleinigkeiten, die »Die Jugend von Blueberry: Das Geheimnis des Mike S. Donovan« die Höchstnote in Sachen Aufmachung und Verarbeitung nicht mehr nehmen können.

 

Vielleicht an dieser Stelle auch noch ein Wort zum Preis des Bandes: Natürlich sind 30,– Euro selbst für ein Hardcover noch ein ordentlicher Betrag, doch sollte man nicht vergessen, dass es nebst einer vorzüglichen Aufmachung und redaktionellen Betreuung auch satte 160 Seiten Comic-Kult, ja Comic-Geschichte zu bestaunen gibt. Dies und der angedachte Erscheinungsrhythmus (drei bis vier Bände pro Jahr) sollten es also auch dem größten Skeptiker des Western-Comics möglich machen, dieses Stück atmosphärischer Historie in die eigene Sammlung integrieren zu können oder wenigstens einmal in den ersten Band reinzuschauen (und sich z. B. nicht von dem nach wie vor kursierenden, unsäglich verkleinerten FAZ-Band davon abhalten zu lassen, in die Welt von Blueberry einzutauchen ...).

 

Fazit: Blueberry ist eine Perle des Western-Comics, ja der gesamten Welt der bunten Bilder. Es ist daher nur recht und billig, dass die einmalige Arbeit von Charlier und Giraud in einer hochwertig aufgemachten Werkausgabe gewürdigt wird. Gleichzeitig erhält damit nämlich auch einer der großen Genre-Klassiker die Chance, von einer neuen, frischen Generation Leser entdeckt zu werden und diese zu begeistern. Der unsterbliche Westernheld in neuem Gewand und so sortiert, dass auch absolute Neueinsteiger ihren Spaß mit ihm und seinen Abenteuern haben werden – kann da noch viel schief gehen?

 

Darauf haben nicht nur hartgesottene, kautabakkauende Fans des Western-Comics lange warten müssen, sondern an sich auch jede Comic-Sammlung, die ihrem Namen alle Ehre bereiten möchte. Tolles Artwork, tolle Westerngeschichten, toller Hauptcharakter, tolle Aufmachung und natürlich ein enorm wichtiger Bestandteil der Entwicklung des gesamtem Mediums – zugreifen, genießen und auf die weiteren Bände warten!

 

Oje, das hat nicht geklappt, Elfenwerk! 202405061835238819b9c3
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Comic:

Die Jugend von Blueberry: Das Geheimnis des Mike S. Donovan

Reihe: Die Blueberry Chroniken Bd. 1

Autor: Jean-Michel Charlier

Zeichner: Jean »Moebius« Giraud

Verlag: Ehapa Comic Collection

Format: Hardcover-Album

Sprache: Deutsch

ISBN-Code: 3770429842

Anzahl Seiten: 160

Erhältlich bei Amazon


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Erstellt: 20.08.2006, zuletzt aktualisiert: 18.02.2021 18:53, 2682