Die konzentrischen Tode (Autor: Jack London; Die Bibliothek von Babel Bd. 14)
 
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Die konzentrischen Tode von Jack London

Reihe: Die Bibliothek von Babel Bd. 14

Rezension von Oliver Kotowski

 

Rezension:

Mit dem vierzehnten Band der Bibliothek von Babel, einer Reihe zur Phantastik, wendet sich Herausgeber J. L. Borges dem US-Amerikaner Jack London zu. Die konzentrischen Tode ist eine Anthologie mit fünf kurzen Erzählungen, die in den Jahren zwischen 1900 und 1908 entstanden sind; die Geschichten setzen sich auf unterschiedliche Art mit niederen menschlichen Neigungen, vor allem der Gier, auseinander.

 

Die Geschichten im Einzelnen:

Das Haus Mapuhis (40 S.): Mapuhi hat eine große Perle gefunden. Sie ist wunderschön, ganz ohne Makel und massiv. Man sieht sie im Wasser kaum. Mapuhi und seine Familie haben sich ein Haus erträumt, das sie für die Perle haben wollen. Als erster kommt Alexandre Raoul nach Hikuera, aber er wird nicht mit Mapuhi handelseinig. Als Nächster kommt Toriki zu Mapuhi; er steckt die Perle ein und erlässt dem Perlentaucher dafür seine Schulden. Mapuhis Familie schimpft ihn aus. Unterdessen fällt das Barometer ins Bodenlose und gewaltige Brecher erschüttern das Atoll. Raoul wundert sich, wo der Wind bleibt, doch der alte Seebär Kapitän Lynch warnt ihn – der Sturm wird schon noch kommen.

Dieses kleine Drama gehört zu Londons Südseegeschichten; es sei darauf hingewiesen, dass die Südsee in der Phantastik nur selten als Schauplatz verwendet wird – Jeff VanderMeers Der Gott der Haie gegen den Gott der Kraken (in: Ein Herz für Lukretia) wäre da zu nennen. In ihm wird auf verwickelte Art vom Schicksal der Familie von Mapuhi erzählt, denn die Perle und der gewaltige Sturm wirbeln einiges durcheinander. Damit erinnert die Geschichte an Joe R. Lansdales Sturmwarnung (oder umgekehrt, da Londons Geschichte 91 Jahre älter ist), in der ebenfalls detailliert die Wirkung eines Orkans geschildert wird. Am Ende wird dann noch eine gewaltige, bewundernswerte Leistung geschildert, die an Tall Tales erinnert.

Das Gesetz des Lebens (13 S.): Der ehemalige Häuptling Koskoosh ist alt geworden und die Zeiten sind hart: Die Lasten sind schwer und die Leiber mager. Außerdem schneit es. Unter solchen Umständen lässt der Stamm die Alten, die ihre Lebensaufgabe erfüllt haben, mit einem Bündel Reisig zurück. Der Alte findet das richtig, er selbst hatte einst genauso gehandelt. Aber ein wenig bedauert er doch nun sterben zu müssen. Hätte seine Enkelin doch etwas mehr Reisig gesammelt! Da erinnert er sich an einen alten Elch, der von Wölfen niedergerissen worden und wieder aufgestanden war.

Ein phantastisches Element scheint es hier nicht zu geben (ich kenne mich allerdings nicht besonders gut mit Elchen aus); der Punkt dieser kleinen conte philosophique ist die Frage nach dem Sinn des Lebens: Der alte Native American glaubt, dass die Alten sterben müssen, da sie ihre Lebensaufgabe erfüllt haben – der Elch scheint zu sagen: Das Leben selbst ist der Sinn des Lebens!

Das Verlorene Gesicht (22 S.): Der Pole Subienkow ist ein harter Hund. Einstmals war er ein einfühlsamer Mann, gebildet, weltgewandt, der von der Unabhängigkeit Polens träumte – das Schicksal verschlug ihn allerdings nach Sibirien, nach Kamtschatka, nach Alaska. Zusammen mit einer Bande von gierigen Abenteurern und anderen Lumpengesindel zieht er als Pelzdieb ins Land des Nulato-Stammes. Mit brutaler Rohheit zwingen sie den Stamm ihnen zu Diensten zu sein – allerdings werden sie überrumpelt. Die Pelzdiebe sind allesamt zu Tode gefoltert worden, nur Subienkow lebt noch – und der große Iwan, wenn man dem kreischenden Fleischbündel Leben zusprechen möchte.

Auch hier gibt es kein phantastisches Element; es ist eine grausame Geschichte im Stile der Tall Tales, deren Spannungsmoment im Staunen ob des dreisten Subienkows und seines Fluchtplans liegt.

Die konzentrischen Tode (24 S.): Wade Atsheler war nicht nur ein gut aussehender junger Mann, er hatte auch eine gute Stellung inne: Er war die rechte Hand des Straßenbahnkönigs Eben Hale. Dennoch zeichneten tiefe Sorgenfalten sein Gesicht. Er litt unter plötzlichen Stimmungsschwankungen – den einen Moment konnte er fröhlich feiern, den nächsten in tiefe Depressionen verfallen. Er entfremdete sich von seinen Freunden und beging schließlich Selbstmord, obschon er das gewaltige Vermögen seines kurz zuvor verstorbenen Chefs überraschend geerbt hatte. Die Sorgen begannen mit einem zunächst als schlechten Scherz verlachten Brief einer Organisation mit dem Namen "Die Lieblinge des Midas." Die skrupellosen, gerissenen Proletarier forderten 20 Millionen Dollar, sonst würden sie einen unbeteiligten Menschen töten. Natürlich ging man darauf nicht ein.

"Geld allein macht nicht glücklich", heißt es; in der Sage um König Midas erweist es sich sogar als Fluch – und die Lieblinge des Midas haben ihren Namen nicht zufällig erhalten. Die zentrale Spannungsquelle ist wiederum das sense-of-wonder, das den Leser ob der Perfidität des Erpresserplans ergreift. Auch diese conte cruel kommt ohne phantastisches Element aus.

Der Schatten und das Funkeln (28 S.): Lloyd Inwood und Paul Tichlorne haben eine seltsame Beziehung: Einerseits sind sie Freunde, andererseits die schärfsten Konkurrenten. Dabei sind sie einander sehr ähnlich, beinahe wie ein Wassertropfen dem anderen. Beide sind schlank und sportlich, gut aussehend mit scharf geschnittenem Gesicht, beide sind smart, clever und unglaublich ehrgeizig – Lloyd jedoch ist ein dunkler Typ, während Paul ein heller ist. Der harte Wettkampf hatte die beiden sogar schon an den Rand des Todes geführt: Sie hatten gewettet, wer länger tauchen könne, und waren beide beinahe ertrunken. Als Lloyd und Paul sich dann der Unsichtbarkeit zuwenden, eskaliert die Situation.

Dieses Miniaturdrama um einen bizarren Konkurrenzkampf verbindet Wunder mit bissigem, pikareskem Humor.

 

Das Setting wird in den Geschichten so weit wie nötig, so knapp wie möglich entwickelt. Das lässt natürlich einigen Spielraum: In Die konzentrischen Tode spielt der Schauplatz nahezu keine Rolle, in Das Haus Mapuhis wird ihm einiger Raum gewährt – die Auswirkungen eines mächtigen Orkans lassen sich nun mal nicht ohne Schauplatz beschreiben. Charakterisieren lässt es sich am besten als Milieu. Die Figuren werden ebenfalls auf das nötigste reduziert, sowohl was die Anzahl, als auch was die Vielschichtigkeit angeht; da sich die Geschichten aber stets um die negativen Seiten des Menschen drehen, sind die Figuren nie eindimensional. Die beiden zuvor genannten Geschichten können wieder als Extreme gelten; während die Tode eigentlich mit nur einer Figur auskommt, treten im Haus fünf greifbare Figuren auf.

 

Die Plots lassen sich dem Horror im weitesten Sinne zuordnen: In Das Haus Mapuhis tobt eine vernichtende Naturkraft über die Insel und anschließend werden Gebete an den Haigott wegen der vielen Leichen notwendig; in Das Gesetz des Lebens wird die Umwelt als menschenfeindlich dargestellt – hierin erinnert sie ein wenig an H. P. Lovecrafts menschenfeindliches Universum; in Das Verlorene Gesicht geht es um verrohte Abenteurer, die einen Stamm unzivilisierter Wilder gegen sich aufbrachten und nun grausame Rache erleiden; in Die konzentrischen Tode um einen perfiden, die Seele zermürbenden Erpresserplan (hier ist die Nähe zum üblichen Horror am größten) und in Der Schatten und das Funkeln um einen erbarmungslosen Konkurrenzkampf zwischen zwei 'Freunden'. Ungewöhnlich dabei ist, dass nur die letzte Geschichte ein phantastisches Element verwendet (dieses entstammt der Alchemie, von je her der Schnittpunkt von Magie und Wissenschaft), dieses aber nicht direkt zum Grauen beiträgt.

Die Geschichten thematisieren oftmals Härte und Rohheit, die einerseits durch niedere Instinkte hervorgerufen werden, andererseits durch die verhohlene Bewunderung von Macht und Stärke indirekt gerechtfertigt werden; diesen Zwiespalt findet man noch deutlicher in seinem bekannten Roman Der Seewolf, in dem der kultivierte Humphrey van Weyden den kraftvollen Rohling Wolf Larsen verachtet und zugleich verehrt.

 

Erzähltechnisch sind die Geschichten konventionell, doch der nüchterne, präzise Stil fängt die harsche, seelenlose Welt gut ein.

 

Fazit:

Ob in der Wildnis Alaskas oder den Großstädten Amerikas, der Mensch muss sich beweisen, entweder gegen die Mächte der Natur oder seine Mitmenschen, denn es gilt: homo hominis lupus est. Die Rohheit steckt im Menschen selbst, er ist nur an der Oberfläche zivilisiert. Mit London lassen sich die Aspekte menschlicher Härte und Stärke erforschen – auch wenn nur wenige seiner Geschichten zur Phantastik gehören.

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Oje, das hat nicht geklappt, Elfenwerk! 20240502044838983dba0d
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Titel: Die konzentrischen Tode

Reihe: Die Bibliothek von Babel Bd. 14

Original: Ohne Angabe

Autor: Jack London

Übersetzer: Eduard Thorsch

Verlag: Edition Büchergilde (September 2007)

Seiten: 140-Gebunden

Titelbild: Bernhard Jäger

ISBN-13: 978-3940111142

Erhältlich bei: Amazon


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Erstellt: 12.04.2008, zuletzt aktualisiert: 18.04.2024 09:19, 6276