Die Legende von Sleepy Hollow – Im Bann des Kopflosen Reiters (Autorin: Christina Henry)
 
Zurück zur Startseite


  Platzhalter

Die Legende von Sleepy Hollow – Im Bann des Kopflosen Reiters von Christina Henry

Rezension von Matthias Hofmann

 

Nach Alice im Wunderland, Peter Pan, der Kleinen Meerjungfrau und Rotkäppchen kümmerte sich Christina Henry um einen weiteren klassischen Stoff, der zwischen Märchen und Kinderbuch angesiedelt ist: Die Legende von Sleepy Hollow. Anders als die vorangegangenen Neuinterpretationen, dürfte diese Geschichte in Deutschland die am wenigsten bekannte sein. Zwar handelt es sich bei The Legend of Sleepy Hollow von Washington Irving aus dem Jahr 1820 um nichts geringeres als eine der erste Kurzgeschichten der amerikanischen Literatur – Rip Van Winkle von 1819, ebenfalls von Washington Irving, war übrigens die Erste –, doch ist die Handlung in deutschen Landen nahezu unbekannt. Filmfans kennen sie vielleicht von der Tim-Burton-Verfilmung aus dem Jahr 1999 mit Johnny Depp und Christina Ricci in den Hauptrollen, deren Drehbuch sich allerdings einige Freiheiten erlaubt hat.

 

Freiheiten hat sich auch Christina Henry erwartungsgemäß herausgenommen. Wie bei Washington Irving gibt es das verschlafene, als verwunschen geltende Neuengland-Nest Sleepy Hollow und seine vorwiegend aus den Niederlanden immigrierten Einwohner. Und von Washington Irvings Hauptpersonenensemble haben es Abraham van Brunt (alias »Brom Bones«), seine Frau Katharina van Tassel sowie der geisterhafte Kopflose Reiter in Henrys Roman mit dem Titel Die Legende von Sleepy Hollow: Im Bann des kopflosen Reiters geschafft. Aber darüber hinaus kann man Henrys Roman als eine Art Fortschreibung der Geschichte betrachten.

 

Die Handlung spielt rund 30 Jahre nach den Geschehnissen von Washington Irvings Kurzgeschichte. Der Schulmeister Ichabod Crane blieb verschwunden. Brom und Katharina bekamen einen Sohn namens Bendix und dieser wiederum eine Tochter. Aus der Sicht des Kindes wird die Handlung erzählt. Sie ist 14 Jahre alt, lebt bei ihren Großeltern, da ihre Eltern unter mysteriösen Umständen ums Leben gekommen sind. Die Tochter heißt eigentlich Bente van Brunt und ist biologisch ein Mädchen, doch benimmt sie sich wie ein Junge und will auch Ben genannt werden. Sie ist körperlich größer und kräftiger gewachsen als ihre Altersgenossinnen und wie typische Jungs jener Zeit, sagt sie zu einer guten Schlägerei, die gerne auch im Straßendreck enden darf, nicht nein.

 

Während Ben in eher reichen und wohl behüteten Kreisen aufgewachsen ist, kommt es immer wieder zu Konflikten, da sie sich nicht an die Regeln hält und regelmäßig mit Absicht aus ihrer von Großmutter Katharina aufgezwungenen Mädchenrolle ausbricht. Das allein sorgt natürlich nicht für Spannung und so bietet Christina Henry zusätzlich den von Irving bekannten Kopflosen Reiter, eine mysteriöse Mordserie, bei der die Opfer – auch ein Schaf muss dran glauben – ohne Kopf und Hände aufgefunden werden, die Rätsel um den Tod von Bens Vater sowie ein im Dunkeln lauerndes Schattenwesen, das Sleepy Hollow bedroht, auf.

 

Das klingt nach ganz schön viel. Und ist es auch. Aber eine Kurzgeschichte neu zu interpretieren oder fortzusetzen und das Ergebnis auf Romanlänge aufzublasen, erfordert eine gewisse Menge an zusätzlichem Handlungsfutter. Während es Henry gelingt, die unheimliche Atmosphäre im Neuengland des frühen 19. Jahrhunderts, durch ihre Beschreibungen spürbar zu machen, wirken ihre Charaktere recht schablonenhaft. So ist Großvater Brom der heldenhafte Mann, der schlagkräftig alles im Griff hat, erfolgreich und beliebt ist. Er wird von Ben angehimmelt und idolisiert. Und Großmutter Katharina ist die ungeliebte Oma, die mit ihren verbissenen Ansichten mehr eine Art »Fräulein Rottenmeier aus Heidi … für Arme« abgibt. Die Figur Ben scheint die Verbeugung an die LGBT+-Bewegung zu sein, die mit ihrer Geschlechterrolle und ihrem Platz im Leben kämpft. Leider wird sie dadurch selbst zum Klischee.

 

Liest man den Roman als reine Jugendliteratur, so gibt es jedoch nichts groß auszusetzen. Manche Beschreibungen sind durchaus drastisch und brutal, aber das liegt in der Natur der Morde: Leichen ohne Köpfe und Hände sind nun mal eher etwas Bestialisches. Mitunter wirkt die Handlung künstlich gedehnt. Vor allem wenn Ben, Personen, die mehr wissen als sie, gezielt Fragen stellt, diese aber ausweichen oder auf später vertrösten. Das passiert gleich mehrfach und so mäandriert die Handlung langsam vor sich hin, ohne dass sie sich wirklich entscheidend entwickelt. Eine Straffung um 100 Seiten hätte dem Roman durchaus gut getan.

 

Die Aufmachung ist, wie schon bei den vorigen Romanen, von Christina Henry bei Penhaligon, sehr schön geraten. Diese Hardcovergestaltung mit Spotlack-Elementen und den bedruckten Beschnitt ist wirklich besonders schick. Insgesamt zählt dieser Titel innerhalb der Reihe von Henrys Neuinterpretationen klassischer Stoffe der Fantastik zum guten Mittelfeld. Ein gut lesbares, unterhaltsames und für einige sicher etwas gruseliges Stück fantastischer Belletristik.

 

Nach oben

Platzhalter

Buch:

Die Legende von Sleepy Hollow – Im Bann des Kopflosen Reiters

Original: Horseman, 2021

Autorin: Christina Henry

gebundene Ausgabe, 400 Seiten

Penhaligon, 28. September 2022

Übersetzung: Sigrun Zühlke

Titelillustration: Isabelle Hirtz

 

ISBN-10: 3764532750

ISBN-13: 978-3764532758

 

Erhältlich bei: Amazon

 

Kindle-ASIN: B09VL7VXN9

 

Erhältlich bei: Amazon Kindle-Edition


Platzhalter
Platzhalter
Erstellt: 01.11.2022, zuletzt aktualisiert: 04.05.2024 18:53, 21246