Dying Light 2 – Stay Human (PC; USK 18)
 
Zurück zur Startseite


  Platzhalter

Dying Light 2 – Stay Human

Rezension von Cronn

 

Im Laufen strecke ich die Arme aus, setze die Hände auf die Backsteinumrandung und springe mit unter den Körper gezogenen Beinen über den Kamin hinweg. Ich lande auf den Füßen, rolle mich ab und komme sofort wieder aus der Bewegung nach oben und renne weiter.

Vor mir endet die mit Gras bewachsene Fläche des Flachdaches, das sich auf der Mietskaserne erstreckt wie ein Tennisplatz. Ich sehe voraus den Rand des gegenüberliegenden Hauses und lege alle Kraft in einen Spurt, um noch mehr Geschwindigkeit zu bekommen. Noch den Meter des Erkers mitnehmen und dann – ein gewaltiger Satz hinüber auf die andere Seite. Ich fliege einen Moment scheinbar schwerelos, ehe die Schwerkraft mich mit eisernen Klauen packt und nach unten reißt. Ich krache gegen ein Fenster, kralle mich an dessen oberen Rahmen fest und ziehe mich nach oben.

Schwer atmend stehe ich oben und schaue nach unten.

Dort taumeln sie umher wie sinnlos Betrunkene: die Untoten von Villedor. Zerfranste Kleider, Haut in den unterschiedlichsten Stadien des Zerfalls. Einige mit Umhängen, andere nahezu nackt. Ich entdecke auch einige in grüner OP-Kluft. Also hat das Zombievirus auch die Typen vom GRE erwischt.

Das erinnert mich an etwas. Ich wende mich nach rechts. Dort erhebt sich das mit einer türkisblauen Plane bedeckte Gebäude des GRE-Labors. Da will ich hinein, denn es gibt dort die von mir benötigten Hemmstoffe gegen das Virus in meinem Blut.

Aber ich sollte mit dem Eindringen in das Gebäude bis zur Nacht warten. Dann sind die meisten Infizierten draußen und die restlichen in den Innenräumen schlafen.

Also springe ich hinüber zum Kran und beginne mit dem Aufstieg. Während ich nach oben klettere, denke ich an meine Schwester Mia. Ob ich sie jemals wiederfinde? Zuviel steht zwischen mir und ihr: die Peacekeeper, die Menschen vom Basar, die Banditen und vor allem die Zombies!

Schließlich bin ich oben angelangt. Doch da höre ich das Grummeln eines erwachenden Untoten. Zwischen den Schornsteinen wankt er auf mich zu. Ich ziehe meinen mit Nägelbändern umwickelten Baseballschläger und ziehe dem Typen eine über. Er kracht zu Boden. Ich setze nach und somit ist der Kerl erledigt. Hoffentlich war es nur einer. Im Dutzend sind sie wesentlich schwieriger zu bekämpfen.

Ich wende mich dem Eingang in das GRE-Labor zu und stecke den halbelektronischen Schlüssel ins Schloss, das sich knarrend öffnet. Nun bin ich gleich auf gefährlichem Terrain. Wer weiß, was mich dort erwartet …!

 

Dying Light 2 – Stay Human ist der neueste Streich der polnischen Traditionsentwickler Techland. Das Studio hat bereits etliche Hits auf dem Konto, u. a. die ersten beiden Call of Juarez-Spiele und selbstverständlich auch den Vorgänger des neuesten Games.

Seit 2016 warten die Fans auf einen Nachfolger. Ob sich das Warten gelohnt hat?

 

Hintergrund:

Die Story von »Dying Light 2 – Stay Human« dreht sich um Aiden, einem Mann, der zwischen den letzten Bastionen der Menschheit unterwegs ist, was man einen Pilger nennt. Die Spieler·innen verkörpern diesen Aiden, der unterwegs ist, um seine Schwester Mia zu finden. Dabei verbindet beide eine Kindheit in einem Krankenhaus der GRE, in dem ein Dr. Waltz mit ihnen experimentiert hat. Im Laufe der Kampagne begegnen Aiden sehr viele weitere Charaktere, die ihre eigene Agenda mitbringen und so die Spielerfahrung vertiefen.

 

Die Hauptstory ist ein großes Spielelement in »Dying Light 2 – Stay Human«, was auf den ersten Blick nicht zu erwarten gewesen war. Dabei bleiben die Charaktere und die Aufgaben sehr häufig gut in Erinnerung durch unerwartete Wendungen, tragische Geschehnisse und Verschwörungen. Zudem sind die Charaktere mit glaubhaften Motivationen ausgestattet und wirken in ihren jeweiligen Gruppierungen überzeugend. Da gibt es die Menschen des Basars, die eine friedliche Welt aufbauen wollen. Daneben existieren die Peacekeeper, die Ruhe und Sicherheit mit militärischer Strenge garantieren wollen. Die Banditen dagegen sind allein auf ihren Vorteil aus und richten Chaos an. Die Spieler·innen sind im Lauf der Hauptquest immer wieder mit den unterschiedlichen Fraktionen in Kontakt, können sich neutral verhalten oder sich auch einer Gruppierung zuwenden. Die Gespräche haben dabei stets mindestens zwei Optionen, die diverse Pfade eröffnen. Damit ist »Dying Light 2 – Stay Human« in die Nähe des Rollenspiels gerückt. Dazu passen weitere Gameplay-Elemente, doch dazu später mehr.

 

Auch die Nebenquests sind keine banalen »Hol dieses und bringe es her«-Missionen, sondern stets eingebettet in die Welt und ihre Bewohner. Auch hier erfährt man erinnerungswürdige Situationen. Beispielsweise hilft man einem kleinen Jungen bei der Essensbeschaffung für seine Eltern und stellt dann beim Abliefern fest, dass sich die Situation gänzlich anders darstellt. Oder man kümmert sich um den vom Wind entrissenen Schal einer Opernsängerin, den man für sie wieder einfängt und schlussendlich von einer Gesangseinlage »belohnt« wird.

 

Darüber hinaus existieren noch zufällige Begegnungen. Das sind kleinere Mini-Geschichten rund um von Banditen oder Zombies belagerte Menschen oder Gefangene, die man befreien soll. Das ist recht nett, wirkt aber schnell ziemlich generisch.

 

Zusammengefasst ist festzustellen, dass die Storys von »Dying Light 2 – Stay Human« hervorragend gelungen sind. Man merkt ihnen an, dass hier Chris Avellone mitgearbeitet hat, der Schöpfer von storygetriebenen und wegweisenden Games wie Knights of the Old Republic oder Planescape: Torment. Das ist einer der Gründe, warum »Dying Light 2 – Stay Human« in Sachen Storytelling so grandios geworden

 

Gameplay:

Die Spieler·innen steuern die Spielfigur in Ego-Perspektive durch die Stadt Villedor, die von Zombies überrannt wurde. Wer den Vorgänger gespielt hat, weiß, was das bedeutet: Die meiste Zeit ist man damit beschäftigt, den Zombies auf der Straße aus dem Weg zu gehen und das einfachste Mittel ist, über die Dächer zu laufen.

 

Hierbei kommen Elemente der Sportart Parcour zum Einsatz. Man hüpft und hechtet also über die grasbewachsenen Dächer, erklimmt Fensterstürze, klettert Dachrinnen empor und so fort. Das ist prinzipiell gut umgesetzt, aber gerade anfangs kommt es dazu, dass man am Dachrand steht und sich erstmal nach einem Weg orientieren muss, weil die Straßen oft zu breit für einen Sprung sind. Das wird im Lauf des Spiels besser, wenn man sich gut auskennt und neue Parkour-Fähigkeiten freigeschalten hat.

 

Und somit kommen wir zum Skill-System.

Durchs Parkouren und Kämpfen erhält man Punkte, wodurch man im Rang aufsteigt und neue Perks freischaltet, die auf zwei Skill-Bäumen verteilt sind. Dadurch entscheidet man sich dafür, weiter zu springen oder Spezialmanöver im Kampf einzusetzen. Das System ist klar aufgebaut und bringt den Spieler·innen immer wieder im Lauf der Hauptquest neue Fähigkeiten, die sie sinnvoll einsetzen können. Auf diese Weise wird das Gameplay progressiv befriedigender.

 

Das Kämpfen findet vor allem mit Nahkampfwaffen statt. Fernkampf ist die Ausnahme, wofür auch im Spiel eine gute Erklärung gegeben wird, da Schusswaffen fehlen. Mit Bögen und Armbrüsten kann man sich dennoch ausrüsten. Der Nahkampf fühlt sich wuchtig an und das Trefferfeedback befriedigt. Die vielen unterschiedlichen Nahkampfprügler unterscheiden sich rollenspieltypisch in mehreren Faktoren, u. a. im Schaden. Es gibt aber noch weitere Faktoren, wie Elektrifizierung oder Vergiftungsschaden. Die Waffen kann man zusätzlich modifizieren und damit deren Eigenschaften verändern. Die Gerätschaften nutzen sich ab, so dass stets eine oder mehrere Waffen sich im Rucksack befinden sollten.

 

Dort sind auch weitere Gegenstände, die wichtig sind. Unter anderem findet man Dietriche, womit man die überall verstreuten Kisten aufsperren kann, was mit einem Mini-Game geschieht (das von vielen anderen Games her bekannt ist und etwas unbefriedigend wirkt). Auch die Dietriche kann man übrigens noch upgraden. Darüber hinaus gibt es eine Vielzahl an nützlichen Dingen, wie Arzneien, Pilze zum zeitlich befristeten Erhöhen der Immunität in der Nacht, Wurfwaffen und Geldmünzen zum Ablenken von Gegnern, die man übrigens auch in Stealth-Manier von hinten mit einem Griff ausknocken kann.

 

Eine Vielzahl an Subsystemen greift hier ineinander über. Ständig kann man Dinge beim Händler kaufen oder upgraden oder mit Hilfe von bei Spezial-Untoten gefundenen Token aufrüsten. Das Game bietet hier für sehr viele Stunden Spielzeit genügend Inhalte.

 

Das Spiel breitet sein Panorama mittels eines fließenden Tag-Nacht-Rhythmus aus, der auch spielerisch unterschiedlich ausfällt. Während man am Tag relativ einfach durch die Straßen navigieren kann, da die Untoten lethargischer agieren, sollte man während dieser Zeit nicht in die Innenräume von Läden oder anderen Häusern gehen, da diese als Dark Zones ausgezeichnet werden und sich dort viele Zombies zurückgezogen haben.

 

Diese sind wiederum in der Nacht vermehrt draußen zu finden. Zudem sind die Untoten dann aktiver und es kommen auch Spezial-Zombies zum Einsatz. Die Heuler können beispielsweise eine Jagd auslösen. Dann rennen alle Zombies im Gebiet auf uns zu, was zu hektischen Verfolgungsjagden führt. Außerdem ist man aufgrund einer Virusinfektion nachts in Gefahr, sich zu verwandeln, wogegen nur UV-Licht hilft. Somit ergeben sich hektische Situationen, brenzlige Rennen über Dächer ins rettende UV-Licht, was das Spiel sehr spannend macht. Aber dafür kann man nachts die Innenräume gefahrloser betreten und vor allem GRE-Labore auf der Suche nach Hemmstoffen durchstreifen.

 

Diese Hemmstoffe sind wichtig. Mit diesen speziellen Laborstoffen kann man entweder seine grundlegende Ausdauer steigern (wodurch man länger kämpfen kann – ein Ausdauerbalken erinnert dabei an Soulslike-Games – oder höher klettern kann) oder seine prinzipielle Lebensenergie steigern kann. Automatisch erhöht sich beim Stufenaufstieg die Immunität, also die Zeit, in der man sich im Dunkeln aufhalten kann, oder dass man sich verwandelt.

 

Ein weiteres Element ist die Open-World an sich. Villedor ist in verschiedene Stadtbezirke aufgeteilt. Überall stehen inaktive Windmühlen, die die Spieler·innen in einer Kletteraktion aktivieren müssen, was an Far Cry 3 erinnert. Das ist etwas mühselig und wirkt aus der Zeit gefallen. Freigeschaltet, dienen die Mühlen als UV-Licht-Basen in der Nacht, Standort für Händler und Questgeber. Besser unterhalten kann hingegen das Absuchen der Gegend nach Hotspots, wie Nachschublieferungen oder verlassene Läden, indem man sein Fernglas benutzt. Hier hilft ein sich verkleinernder Fokusbereich bei der Suche. Das macht Spaß und wirkt als Spielelement recht unverbraucht und sitzt organisch in der Spielwelt.

 

Mittels eines Supersinns kann man sich den Standort von Feinden und Loot anzeigen lassen, auch durch Wände hindurch. Was sich anfangs nach einem gelungenen Feature anhört, entpuppt sich nach einiger Zeit allerdings als mit einigen Schiefheiten befangen: Zum einen verführt es dazu, nicht die Räume mit den Augen abzusuchen, sondern lediglich den Spürsinn anzuwerfen und wie ein Lemming planlos draufloszulooten. Zum anderen verblassen die Anzeigen recht schnell wieder, sodass man ständig die Taste drücken muss, um die Anzeige wieder auf den Bildschirm zu bringen, was nervig sein kann. Gerade, dass der Standort von Gegnern nicht permanent angezeigt wird, ist zwar in sich logisch, aber nicht angenehm für den Spielfluss gelöst.

 

Koop-Game:

Es ist möglich, das Spiel im 2 bis 4-Spieler·innen-Koop zu bestreiten. Dabei ist zu beachten, dass der Host ausschließlich den Storyfortschritt behält. Aber den Loot können die anderen Mitspieler·innen mitnehmen.

 

Grafik und Sound:

Aus all den genannten Aspekten ergibt sich bereits der Eindruck, dass »Dying Light 2 – Stay Human« ein großes Paket schnürt. Doch das wäre nicht komplett, ohne einen Blick auf die Grafik und den Sound zu werfen.

 

Das Grafikgerüst von Techland ist sehr gut skalierbar und protzt gerade in den höheren Auflösungen mit knackigscharfen Texturen. Besonders die Lichtstimmung ist hervorragend gelungen, wodurch die Tag-Nacht-Wechsel spektakulär aussehen. Die Innenräume sind ebenfalls sehr gelungen ausgeleuchtet, wenn man die Taschenlampe benutzt. Aber dynamische Schatten gibt es hier nicht, was die in sich stimmige Horror-Atmosphäre sehr schmälert.

 

Die Animationen der Zombies und der anderen Spielfiguren sind durchwegs auf hohem Niveau, wenngleich die Bewegungen der Untoten – der Natur der Sache gemäß – meist etwas hölzern wirken. Doch gerade die Spezialzombies zeigen in Punkto Animation, dass Techland hier seine Hausaufgaben gut gemacht und im Vergleich zum Vorgänger sogar einige Schippen draufgelegt hat. Schade, dass es bei dem Variantenreichtum der NPCs etwas hapert. Gelegentlich wird man beispielsweise von Banditen überfallen, die wie aus einem Klon-Labor wirken. Zwillingsbanditen, sozusagen. Doch das ist vermutlich bei der Menge an NPCs nicht immer zu vermeiden.

 

Der Sound bewegt sich auf einem ähnlich hohen Niveau wie die Grafik. Die Treffersounds sind herrlich matschig, das Grummeln der Untoten wunderbar tiefbassig bis hin zu schauerlich kreischig. Die deutsche Synchro ist durchaus gelungen, wobei manche Sprecher·innen ab und an nicht an den Verve der englischen Sprecher·innen herankommen. Dennoch überzeugt die deutsche Synchro, das soll nicht in Abrede gestellt werden.

 

Fazit:

»Dying Light 2 – Stay Human« ist ein großer Wurf. Das Spiel glänzt mit einer durchwegs hochwertigen Hauptstory, die Verzweigungen aufgrund tiefgehender Entscheidungen beinhaltet. Auch die Nebenquests sind bis auf wenige Ausnahmen von erinnerungswürdigen Situationen geprägt und sogar die Zufallsbegegnungen machen (anfangs) Spaß.

 

Die Spielmechaniken greifen beim Gameplay sehr gut ineinander und erzeugen einen fast tadellosen Spielfluss. Nur die fragwürdige Entscheidung bei der Open World auf Ubisoft-Formelaspekte zurückzugreifen, wirkt altbacken und gerade angesichts der Tatsache, dass das Spiel auch zeigt, wie es anders geht, etwas schief und nicht konsequent zu Ende konstruiert.

 

Die Technik ist sauber und birgt nur wenige Details, die man verbessern sollte, wie die dynamischen Schatten. Lobenswert ist zudem, wie gut die Engine nach unten hin skalierbar ist, sodass auch ältere Grafikkarten und Systeme recht gut damit zurechtkommen, ohne zu viele Einbußen bei der Grafik machen zu müssen. Auch der Sound ist gut gelungen und sollte über Kopfhörer genossen werden, um die volle Horrorwirkung zu entfalten.

 

Damit ist insgesamt gesehen »Dying Light 2 – Stay Human« ein echtes Brett geworden, das für viele Dutzend Stunden unterhalten kann. Dem Eintauchen in die Welt steht nichts im Weg. Wer für Endzeit-Szenarios etwas übrig hat und von Zombies nicht genug bekommen kann, sollte zugreifen. Gerade die Storytiefe ist für eine Singleplayer-Erfahrung im Jahr 2022 wegweisend und bislang das Beste, was der Spielemarkt im AAA-Bereich zu bieten hat.

 

Nach oben

Platzhalter

PC-Spiel:

Dying Light 2 – Stay Human

Techland / Square Enix, 4. Februar 2022

USK: 18

 

Erhältlich bei: steam


Platzhalter
Platzhalter
Erstellt: 03.03.2022, zuletzt aktualisiert: 14.04.2024 08:35, 20626