Ecce Machina (Autor: Neil Sharpson)
 
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Ecce Machina von Neil Sharpson

Die Seele der Maschine

 

Rezension von Matthias Hofmann

 

Science Fiction wird heutzutage gleichgesetzt mit Raumschiffen und Aliens. Die breite Masse kennt Star Wars, Star Trek und alles, was so ähnlich daher kommt. Was zwischen Buchdeckeln als SF verkauft wird, besteht seit Jahren – wenn nicht Dekaden – aus einem gewissen Einheitsbrei.

 

Beherrscht wird der Markt der 2020er-Jahre von Serien, Dystopien und Outer-Space-Weltraumopern. Gähn.

 

Es war einmal … eine Zeit, als SF noch auf der guten alten Erde spielte, herrlich extrapolierte, den »Inner Space« bespielte. Da faszinierten SF-Romane bereits alleine durch ihre Ideen und Konzepte.

 

Nun ja. Ganz so schlimm, wie ich es eingangs darstelle, meine ich es nicht. Aber weil, Jahr ein, Jahr aus, viele SF-Romane veröffentlicht wurden, die ich nach beendeter Lektüre ziemlich »unterwältigend« fand, freut es mich umso mehr, wenn ich von einem Buch mal so richtig positiv überrascht werde.

 

Ecce Machina von Neil Sharpson ist so ein Werk. Dabei lag es einige Monate herum, weil ich dem Klappentext nicht so richtig traute. In fetten Lettern wird die Frage gestellt: »Wo hört ein Computerprogramm auf – und fängt das Menschsein an?«

 

Nichts wirklich Neues, möchte man meinen. Auch das Zitat der britischen Zeitung The Guardian klingt ein bisschen zu reißerisch: »Ein fesselnder SF-Thriller, der ein interessantes Spannungsfeld zwischen einer düsteren, rückwärtsgewandten Gesellschaft und den Möglichkeiten einer utopischen Gesellschaft zeigt.«

 

Während das Heyne-SF-Programm meiner Meinung nach etwas schwächelt, bringt der Piper Verlag mit schöner Regelmäßigkeit tolle Titel heraus. Dies ist so einer. »Ecce Machina« hat man gar die hochwertigere Hardcover-mit-Schutzumschlag-Behandlung gegönnt. Zu Recht, wie ich meine.

 

Das Thema des Romans von 2021 ist aktuell wie nie. Künstliche Intelligenz hat die Welt und damit den Alltag der Menschen erobert und ist, wie das Internet selbst, nicht mehr wegzudenken. Vereinfacht gesprochen kann man sich selbst digitalisieren (im Roman: »contranen«) und als KI Dinge erleben, von denen man davor nur träumen konnte. Auch kann man das Bewusstsein von Unfalltoten mit dieser Digitalisierungsmethode »sicher hochladen« und ihnen auf einem künstlichen Server oder mit einem artifiziellen Körper ein Weiterleben ermöglichen.

 

Die Handlung spielt rund 200 Jahre in der Zukunft. Ein Triumvirat von drei Super-KIs lenkt die Geschicke der Menschheit. Als erstes schuf China Konfuzius. Die KI sollte die globalen Trends und die Weltwirtschaft einschätzen und Empfehlungen aussprechen, wie die Lebensbedingungen der größtmöglichen Anzahl von Chinesen zu verbessern wären. Diese Entwicklung zeigt der Roman wie folgt auf: »Die Skepsis der übrigen Länder verkehrte sich rasch in Panik, als China fast augenblicklich anfing, dem Rest der Welt auf allen denkbaren Gebieten der Wirtschaft, Wissenschaft und Gesellschaft davonzulaufen.«

 

Also schmiss man im Westen sämtliche Bedenken und moralische Einwände über Bord, denn am Ende des Tages zählten nur Ergebnisse. Und die Amerikaner erschufen die Super-KI George. Ein paar Jahre später folgten die Europäer mit Athene.

 

Doch ein Land widersetzte sich dem Einfluss der Digitalisierung und der KIs: die Kaspische Republik. Hier geht es zu wie in einem technologisch abgehängten, analogen, kommunistischen Ostblockland. Oder Nordkorea. Und hier setzt die eigentliche Handlung um den Agenten Nikolai South, der für die Staatliche Sicherheit arbeitet, ein. Eines Tages wird der KI-feindliche Extrem-Propagandist Paulo Xirau tot aufgefunden. Seine Autopsie ergibt, dass er kein Mensch war, sondern eine KI.

 

Nikolai South wird auf den krassen Fall angesetzt und muss die Witwe von Xirau begleiten, die in die Kaspische Republik reist, um die Überreste ihres Mannes zu identifizieren. Als South sie zum ersten Mal erblickt, muss er feststellen, dass Lily Xirau genau so aussieht wie seine verstorbene Ex-Frau. Die Verwirrung des Protagonisten und der Leserschaft ist somit herrlich perfekt.

 

Sharpson rollt mit »Ecce Machina« in der Tat ein spannendes Lesegarn aus, das nicht nur zum Nachdenken anregt, sondern höchst unterhaltsam und mit einer Prise lakonischer Ironie ausgestattet ist, die quasi nebenbei für Amüsement sorgt. Manche Dialoge sind schlicht köstlich zu lesen. Das hatte ich zuletzt bei Jasper Ffordes Eiswelt. Dieses Buch hatte mich damals auch total positiv in jeder Hinsicht überrascht.

 

Durch das Kalte-Krieg-Setting mit Geheimagenten sowie staatlichen und politischen Organisationen wurde der Roman in Großbritannien auch mit Werken von John Le Carré, dem Meister das Spionageromans, verglichen. Für mich ist es weitaus mehr als das. Hier wird das Konzept Künstliche Intelligenz von mehr Seiten als nur einer, in der Regel der bedrohlichen, betrachtet. Hier werden utopische Ideen entwickelt und Richtungen aufgezeigt, in die es laufen könnte.

 

Insgesamt ist »Ecce Machina« für mich sogar der beste SF-Roman, der in der ersten Jahreshälfte 2023 auf Deutsch erschienen ist. Und einer der besten der letzten fünf Jahre sowieso. Der in Dublin lebende Ire Neil Sharpson hat bislang Kurgeschichten und Theaterstücke geschrieben. Dies ist sein erster Roman. Ich hoffe, dass da noch mehr folgt.

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Buch:

Ecce Machina

Die Seele der Maschine

Original: When the Sparrow Falls, 2021

Autor: Neil Sharpson

Gebundene Ausgabe, 414 Seiten

Piper, 27.04.2023

Übersetzung: Simon Weinert

 

ISBN-10: 3492705952

ISBN-13: 978-3492705950

 

Erhältlich bei: Amazon

 

Kindle-ASIN: B0BKL9YRRG

 

Erhältlich bei: Amazon Kindle-Edition


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Erstellt: 17.08.2023, zuletzt aktualisiert: 17.08.2023 14:07, 22125