Filmkritik von Ralf Steinberg
Rezension:
Regisseurin Almut Getto bat ihr Publikum in Berlin bei der Vorpremiere zu Ganz nah bei Dir, so vielen wie möglich von dem Film zu erzählen, damit er wenigstens eine Woche lang gezeigt wird. Vielleicht könne man dann noch eine Veranstaltung machen, zu der auch die Hauptdarstellerin Katharina Schüttler kommen könne, zurzeit weile sie in Canada für Dreharbeiten.
Wenigstens eine Woche für einen Film, der fast alle Filme des Multiplexkinos in die Tasche steckt, die da gerade laufen. Manche von ihnen im zweiten Monat vor ein, zwei Zuschauern pro Vorstellung, einfach weil der Verleih das so vorsieht.
Dabei zeigt es sich immer wieder, dass das deutsche Publikum durchaus Spaß an den einheimischen Produktionen hat und warum nicht auch an "Ganz nah bei Dir"?
Der Film ist in erster Linie eine Komödie. Es geht um Liebe und das Selbstbild einer Generation deren Anti-Sein in einer Art neuen Spießigkeit zu bestehen scheint, um sich ja von den flippigen und selbstverwirklichten Eltern abzugrenzen.
Phillip Baader (Bastian Trost) lebt in einer sterilen Großstadtwelt, deren Glück in Ordnung, Alltag und Zielbestimmtheit besteht. Die hart erarbeitete Existenz ist die Summe der eigenen Fähigkeiten und voller Effektivität. Dabei ist das Grau durchaus lebendig - Paul lebt mit einer Schildkröte zusammen. Doch darüber hinaus nimmt er die Umwelt eher als Kulisse wahr. Ein Gruß ist unnötiges Beiwerk der Kommunikation, es reicht die wesentlichen Dinge zu sagen, etwa der Hinweis auf eine defekte Hausflurbeleuchtung.
Doch Philips Welt enthält auch einen Traum. In diesen sieht er sich als Pantomime Spaß verbreiten. Freude und Spaß nämlich sind Dinge, die in Philips Alltag nicht stattfinden.
Nicht ganz unerwartet für den Zuschauer bricht eine Frau in sein Leben ein. Lina spielt Cello und ist blind. Obwohl er diese Störung seines Lebens durchaus als befremdlich wahrnimmt, fesselt ihn die schlagfertige und doch so verletzlich wirkende junge Frau sofort.
"Ganz nah bei Dir" fängt den Zuschauer mit den ersten Bildern ein. Der skurrile und doch so ernste Alltag Phillips ist auf eine tragische Weise witzig, die Sympathien einfordert, vielleicht sogar Mitleid - nicht ganz zufällig sieht Phillip abends Buster Keaton im Fernsehen. Der traurige Clown ohne Lachen trifft auf das lebensfrohe Mädchen ohne Sehen. Diese magische Konstellation fängt die Kamera in einer grandiosen Szene ein, wenn Philip seine Pantomime-Nummer vor Lina aufführt.
Zwei unvollkommene und daher ganz normale Menschen verfangen sich ineinander und Regisseurin Almut Getto gelingt damit nach ihrem ersten Film Fickende Fische aus dem Jahre 2002 ein Liebesfilm der weder still noch kitschig, sondern einfach groß ist. Groß im Spiel der Darsteller, groß im peinlichkeitsfreien Hin- und Her der Gefühle, dem Selbstnäherkommen - und großartig im Verstreuen starker Bilder, die wie Rosenblüten Blatt für Blatt den Weg des Paares mit visuellen Düften einkleiden.
„Naja, wenn’s zu gut geht, ist die Gefahr, dass es bald wieder schlechter geht, größer. Deshalb ist zu gut nicht gut.“ - erklärt Philip seinem Therapeuten über seine Beziehungsskepsis und erklärt damit eine ganze Generation. Material aus dem Kult entsteht.
Dass dabei immer wieder Platz für ein Lachen ist, welches nicht aus Schadenfreude oder Gehässigkeit geboren wird, sondern aus der bezaubernd schrägen Atmosphäre des Films, zeigt die besondere Eleganz, mit der Almut Getto und ihr hervorragendes Ensemble arbeitete. Vielleicht hat die wiedervereinte BRD endlich ihr Paul und Paula gefunden. Trotz Happy End.
Fazit:
Ein Film wie ein Geschenk. Er berauscht alle Sinne und ist dabei Zeitgeist, Romanze und Augenzwinkern in einem.
Ein Kultfilm, der sich hoffentlich in die Herzen der Kinogänger zaubern wird.
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