Im Herzen der See (BR)
 
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Im Herzen der See

Filmkritik von Torsten Scheib

 

»Nennt mich Ishmael.«

Herman Melville, Moby Dick (1851)

 

Rezension:

Es wäre müßig, diese Rezension mit ellenlangen Analysen, Betrachtungen und ähnlichen trockenen Subjekten anzureichern, Melvilles berühmt-legendäres Epos betreffend. Nur so viel: selbst wer das über 900 Seiten gewichtige Mammutwerk nicht gelesen hat, der kennt es zumindest vom Hörensagen. Oder eins der Hörspiele. Vielleicht auch eine der zahlreichen Verfilmungen, wenngleich John Hustons geniale Adaption aus dem Jahre 1956 mit einem als wahre Naturkraft auftrumpfenden Gregory Peck nach wie vor die beste und sicherlich bekannteste sein dürfte.

 

Aber – wer wusste, dass Melvilles Meisterstück auf tatsächlichen Begebenheiten beruht?

Etwa auf einem tatsächlich existierenden, weißen Wal, welcher vor der chilenischen Küste sein Unwesen trieb und sich regelmäßig mit den Walfängern bekriegte, die ihm salopp den Namen ›Dick‹ gaben, letztlich vervollständigt durch jene Insel, an der das Tier zumeist anzutreffen war: Mocha. So wurde aus ›Mocha Dick‹ letztlich ›Moby Dick‹.

 

Doch die eigentliche Inspiration erhielt Melville durch das Schicksal des Walfängerschiffs Nantucket respektive deren Besatzung, nachdem es in der Tat von einem Pottwal gerammt wurde und letztlich in den Tiefen des Meeres versank. Trotz der tiefen Bande zu Melvilles zeitlosem Roman wurden die realen Geschehnisse von einst vom Sand der Zeit überzogen, gerieten in Vergessenheit. Bis der amerikanische Autor und Historiker Nathaniel Philbrick auf die Niederschriften eines Essex-Besatzungsmitglieds stieß und daraus das Sachbuch Im Herzen der See. Die letzte Fahrt des Walfängers Essex verfasste, dass das Fundament für Ron Howards Film bildet.

 

Nantucket, im Jahre 1820: die relativ überschaubare Insel vor der Küste Massachusetts ist zu jener Zeit DAS Öl-Mekka weltweit; vergleichbar heutzutage mit Dubai oder Houston, wenngleich mit einem gewichtigen Unterschied. Wo gegenwärtig das Öl aus der Erde kommt, wurde es damals samt und sonders dem Pottwall entnommen – seinem Vorderkopf, um ganz genau zu sein. Zu jener Zeit war die klebrige, dickflüssige Substanz zumeist noch kostbarer als Gold; sie war Schmierstoff, befeuerte Lampen, war das Grundmaterial für Kerzen und sogar ein Heilmittel – weltweit. Demzufolge herrschte auf Nantucket eine entsprechende Wirtschaft, war der Handel gnadenlos und die Jagd nach dem wertvollen Gut – welches sich praktisch immer über Jahre auf See erstreckte – hart und nicht selten tödlich.

 

Doch von derlei Hindernissen kann und will sich der der Obermaat der Essex, Owen Chase (Chris Hemsworth) nicht einschüchtern lassen. Obgleich er »nur« einer simplen Farmerfamilie entstammt und demzufolge nicht jene familiären Bande vorzuweisen hat, wie etwa sein Kapitän, George Pollard (Benjamin Walker), gibt der junge Familienvater nicht auf und will sich während der finalen Reise der Essex, die zwei Jahre währen soll, beweisen. Kein einfaches, weniger ob der Crew als vielmehr dank Pollard, der Chase nicht einfach nur als Konkurrenz betrachtet, sondern dem überdeutlich vorgeführt wird, dass sein Obermaat im Grunde der weitaus bessere, erfahrenere Mann für seinen Posten wäre. Spannungen, die dank der dreimonatigen Flaute auf See zusätzlich Nahrung bekommen und auch bei der restlichen Besatzung für sich kontinuierlich steigernden Unmut sorgen. Immerhin: man bedenke, man käme nach Ablauf der zwei Jahre mit leeren oder maximal leidlich gefüllten Stauräumen zurück! Die Schmach wäre unglaublich, die Konsequenzen unfassbar. Bis sie das Schicksal – oder vielmehr die Proviantversorgung an Land – in die Arme eines gedemütigten, geschlagenen Spanier treiben (Jordi Mollà), der ihnen von Fanggründen berichtet, weit draußen auf der See und bewacht von einem außergewöhnlich großen und aggressiven Albino-Pottwal, der bereits sechs seiner Männer in ein nasses Grab gezerrt hat. Seemannsgarn? Eine Warnung, die man ernst nehmen sollte? Pollard entscheidet sich dagegen …

 

Im Grunde beginnt Im Herzen der See erst ab dieser einen Begegnung; ist dies bzw. die anschließende Begegnung mit jenem weißen Wal der Katalysator für jene Ereignisse, welche das Schicksal der Essex so gleichermaßen fesselnd wie entsetzlich machen. Doch wo Regisseur Ron Howard zuvor mit sehr viel Leerlauf aufwartet, wird der Überlebenskampf der verbliebenen Besatzungsmitglieder viel zu reißbrett-artig runtergespielt; so ein bisschen als habe er es eilig gehabt und müsse nun zügig die verbliebenen Unterpunkte abhandeln. Was nicht nur einfach bedauerlich sondern gegenüber der Vorlage und den stattgefundenen Geschehnissen auch etwas respektlos anmutet, garniert mit einer viel zu schwachen Prise Konsequenz. Mag Howard, neben Spielberg, auch thematisch der letzte Regie-Tausendsassa sein, sehr oft sind seine Werke schlicht viel zu glattpoliert, zu kommerziell ausgerichtet, zu beliebig.

Leider ist »Im Herzen der See« ebensolch ein Fall, der schon mit seinen handelnden Personen einen Kardinalsfehler begeht. Irgendwie gehen einem nämlich samt und sonders alle Protagonisten am Allerwertesten vorbei, völlig gleich, ob es sich dabei um den entschlossenen Chase handelt, um den zweiten Maat, gespielt von Cillian Murphy, den alten, dem Alkohol zugetanen Seemann (Brendan Gleeson) … man könnte die Liste problemlos um einige weitere Personen ergänzen. Gewiss, man muss eingestehen, dass sich Howard gegen Ende des zweiten Drittels noch beachtlich steigern kann, doch das Herausreißen aus der (guten) Mittelprächtigkeit? Das kriegt er dann doch nicht mehr hin.

Nicht nur ob des Stoffes eine mittelschwere Schmach. Denn handwerklich muss man definitiv das Schildchen mit der ›1‹ drauf zücken. Nahezu exemplarisch melangiert Howard Effekte aus dem Computer mit Aufnahmen aus dem Studio (einem gewaltigen Wassertank) und real existierenden Schauplätzen (u. a. Lanzarote). Gemeinsam entstanden so harmonische, überwiegend beeindruckende Momente und Sequenzen, die tricktechnisch zum Besten gehören, was man in letzter Zeit begutachten durfte. Doch wie bereits erwähnt: auch die besten Volte verpuffen schnell, wenn die Story lediglich ein laues Lüftchen darstellt. Es sind viele, zu viele Schräubchen, die man da hätte nachziehen müssen, um dem Streifen Saft und Kraft zu verleihen. Erstaunlicherweise – da bewusst und richtigerweise der Posten eines neutralen Beobachters gewählt wurde – besitzt »Im Herzen der See« seinen wohl stärksten Moment in der sehr kurzen, aber hervorragend symbolisierten Arbeit eines Walfängers; seinem blutigen Werk an einem Geschöpf der Natur. Ein Anriss fürwahr, aber tiefer und langanhaltender als das Gros des übrigen Films.

 

Fazit:

Tolle, bisweilen überwältigende Bilder – doch das reicht nicht. Regisseur Ron Howard legt vollkommen zu Recht einen mittelschweren Bauchklatscher hin. Zu austauschbar und unbedeutend sind seine Hauptpersonen, zu nüchtern und abgesichert die Story. Maximal guter Durchschnitt, aber dennoch eine herbe Enttäuschung; nicht nur für alle, die mit der Buchvorlage vertraut sind.

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Blu Ray:

Im Herzen der See

USA, 2015

Originaltitel: In the Heart of the Sea

Regie: Ron Howard

Drehbuch: Charles Leavitt

Musik: Roque Baños

Format: Blu-ray

Bildseitenformat: 16:9 - 1.77:1

Umfang: 1 BR

FSK: 12

Spieldauer: 117 Minuten

Warner Home Video, 07. April 2016

 

ASIN (Blu Ray): B0187J7IA0

 

Erhältlich bei: Amazon

 

ASIN (DVD): B0187J7J04

 

Erhältlich bei: Amazon

 

Darsteller:

Chris Hemsworth

Benjamin Walker

Cillian Murphy

Brendan Gleeson

Ben Whishaw

Tom Holland

Michelle Fairley

Charlotte Riley

Jordi Mollà

Joseph Mawle

Paul Anderson

Oje, das hat nicht geklappt, Elfenwerk! 202405100348046e03a650
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Erstellt: 12.04.2016, zuletzt aktualisiert: 12.09.2023 16:21, 14427