Interview: Marcel Feige
 
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Interview mit Marcel Feige

Dieses Interview mit Marcel Feige führte Christine Schlicht im September 2008 per Email

Redakteurin: Christine Schlicht

 

 

Mit seinen beiden, bei Goldmann erschienenen Romanen „Wut“ und „Gier“ hat der Berliner Marcel Feige eine neue Qualität in die deutsche Krimilandschaft gebracht. Die Fälle, mit denen sich die Hauptfigur Kommissar Kalkbrenner beschäftigen muss, gehen unter die Haut und zeigen die Bundeshauptstadt von einer ganz anderen Seite, als sie sich gern präsentiert.

 

Da musste man dann mal einen genauen Blick auf die Person hinter den Büchern werfen, denn die hat es auch ganz schön in sich. Wer sich gern noch mehr mit Marcel Feige auseinandersetzen möchte, dem sei ein Blick auf die Homepage des Autors empfohlen. Unter www.marcel-feige.de gibt’s eine Menge zu lesen und zu sehen.

 

 

 

Fantasyguide: Du hast Sachbücher über Techno verfasst, ein Lexikon der Prostitution und über die Kunst des Tätowierens. Dazu kommen Biografien über Nina Hagen und Sido sowie über eine Rotlichtgröße. Nebenbei bist Du Herausgeber eines Buches über Comics und Comiczeichner. Das nenne ich Vielseitigkeit, allerdings ist das auch sehr spezieller Lesestoff, der nicht gerade für die breite Masse interessant sein dürfte. Wie kommt man auf solche Themen oder wird man dazu „angeheuert“? Welcher Titel war die größte Herausforderung?

 

Marcel Feige : Vorab – jedes meiner Bücher ist eine Herausforderung. Insofern fällt es mir schwer, dieses oder jenes besonders hervorzuheben. Jedes der in meinen Büchern behandelten Themen steht außerdem in einer Beziehung zu mir. Für die meisten meiner Buchthemen – Tattoos, Piercings, Erotik, SM, Krimi, Thriller – habe ich ein Faible. Im Prinzip sind sie zugleich Hobby von mir, meine Neigung, meine Leidenschaft. Deshalb fällt es mir leicht, darüber auch Bücher zu schreiben, unabhängig davon ob es Romane oder Sachbücher sind. Themen, die ich für meine Sachbücher recherchiere, finden sich zwangsläufig in meinen Thrillern wie "Wut", "Gier" oder (im nächsten Jahr) "Trieb" wieder.

Bücher wie Nina Hagen und Sido waren zwar "Auftragsarbeiten", aber diese Aufträge wurden an mich gerichtet, eben weil ich mich sehr gerne mit Subkulturen, Jugendkulturen & Szenen auseinandersetze, die sich abseits des – ich sage mal – Mainstream bewegen: Techno, HipHop, Punk.

Natürlich unterscheiden sich die Bücher in ihrem Arbeitsumfang. In diesem Zusammenhang lässt sich dann von "Herausforderung" sprechen. An der Nina Hagen-Biografie habe ich beispielsweise 14 Monate gearbeitet, an dem Buch über die Prostitution sechs Monate, an meinem demnächst über die deutsche Pornobranche erscheinenden Sachbuch vier Monate.

 

Fantasyguide: Bei einem so vielschichtigen Roman wie „Gier“, mit seinen üppigen Handlungssträngen und dem ausufernden Cast – wie plant man so einen Roman? Einfach drauf losschreiben und dann hoffen, dass man am Ende alle Handlungsstränge zu einem verflechten kann und dann auch alles schön folgerichtig zusammenhängt und keine Sinn- und Sachpannen passieren, das wird wohl nicht funktionieren.

 

Marcel Feige : Nein, ich kann keinesfalls einfach drauf los schreiben. Diese Ungewissheit – wohin entwickeln sich die gesamte Geschichte und vielen Handlungsstränge im einzelne? – würde ich beim Schreiben nicht ertragen.

Am Anfang ist bei mir immer eine Idee. Aus dieser Idee entstehen viele kleine Handlungsbausteine, die sich in der Regel über einen Zeitraum von zwei oder drei Monaten zu einer kompletten, komplexen Geschichte wie "Gier" verdichten. Danach arbeite ich in einem Monat das Konzept aus. Will heißen: Ich lege für jede Handlungsebene fest, wann was wo wie genau passiert, an welcher Stelle sie sich kreuzen, wieder auseinanderbewegen, erneut zueinander finden, bis zum Finale. Das passiert in einer großen (sehr großen!) Tabelle am Mac, die ich anschließend ausdrucke und auf den Schreibtisch neben meinem Rechner lege.

Dann erst beginne ich die eigentlichen Geschichten zu schreiben, und zwar nacheinander. Ich schreibe erst alle Kapitel der Handlungsebene meines Protagonisten 1, anschließend die des Protagonisten 2, danach die des Protagonisten 3 und so weiter. Erst wenn ich damit fertig bin, setze ich die Kapitel (gemäß meines ursprünglich ausgeklügelten Konzepts) zum endgültigen Roman zusammen. Jetzt beginnt das eigentliche Feilen. Wo passt etwas nicht? Wo gibt es Unstimmigkeiten? Meist finde ich kaum noch Fehler, weil ich bereits beim Schreiben der einzelnen Handlungsebenen auch die anderen Handlungsebenen immer im Hinterkopf habe und mir dabei Ungenauigkeiten, Logikfehler oder Zeitpatzer auffallen.

 

Fantasyguide: Wie tief wird recherchiert? Psychologisch und Kriminaltechnisch hast Du auf Fachleute zurückgegriffen, wie man aus den Danksagungen ersehen kann.

 

Marcel Feige : Recherche ist unablässig. Denn am Ende soll alles Hand und Fuß haben. Wäre doch blöd, wenn der Leser am Ende sagt: "Liest sich ja ganz nett, aber realistisch war das nicht."

 

Fantasyguide: Bei den doch sehr lebendig beschriebenen Rotlichtmilieu-Szenen wird der theoretische Kontakt mit „Fachleuten“ dann doch eher schwierig? Wie recherchiert man in solchen Bereichen?

 

Marcel Feige : Bei der Arbeit an "Gier war mir die mehrjährige Arbeit an vier Büchern zum Thema Prostitution eine große Hilfe. Insofern konnte ich jederzeit auf ein bereits vorhandenes, umfangreiches Recherchearchiv zurückgreifen.

Durch die Arbeit an den Sachbüchern hatte ich außerdem einen intensiven Einblick ins Milieu erhalten. Ich hatte Prostituierte, Bordellbetreiber, Zuhälter und Sozialarbeiter kennen gelernt – was dazu beigetragen hat, dass das Rotlicht in "Gier" nicht nur lebendig, sondern auch realistisch beschrieben wird.

 

Fantasyguide: Je nach Lesart kann sowohl „Wut“ als auch „Gier“ als reine Unterhaltungslektüre genommen werden. Aber wenn man geneigt ist, hinter jedem Text einen tieferen Sinn zu vermuten, und einen Roman entsprechend liest, findet man Tief- und Abgründiges. Man kann beide Romane auch als Gesellschaftskritik verstehen. Eine ziemlich happige sogar. Dem Lehrer der Neuköllner Schule hast Du eine entsprechende Botschaft in den Mund gelegt: Wenn die Aufmerksamkeit nachlässt, dann geht alles so weiter wie bisher. Und das es für komplexe Probleme nie eine einfache Lösung gibt, wie es uns die Sicherheitspolitiker immer weismachen wollen.

War es als Kritik gedacht? Wenn ja, wen soll es erreichen? Und was würdest Du ändern wollen? Vielleicht hast Du auch einen konkreten Vorschlag, wie das gehen soll?

 

Marcel Feige : Richtig, zu allererst sind "Wut" und "Gier" Unterhaltungsromane. Krimis und Thriller eben. Aber auch noch ein bisschen mehr, dadurch dass ich aktuelle politisch, soziale, kulturelle Themen und Probleme aufgreife, sie in meine Handlung einbette – ohne dabei den Zeigefinger zu erheben. Aber ein Krimi und Thriller, der den Anspruch erhebt, realistisch sein, sollte auch die Themen und (Mord)Motive der Gegenwart abbilden. Sind Krimis nicht sowieso die besten Gesellschaftsromane?

Ich möchte meine Romane nicht unbedingt als Kritik verstanden wissen. Eher als ein Versuch, unsere Gesellschaft mitsamt ihrer Probleme (aber auch Vorzüge) abzubilden. Diese Probleme sind nun mal da. Wir dürfen (und müssen) die Augen nicht davor verschließen. Wie man sie löst? Das weiß ich nicht. Ich glaube, ich bin nicht in der Position, sie lösen zu können. Dafür gibt es von uns beauftragte Funktionsträger. Unglücklicherweise sind die fast nur noch damit beschäftigt, ihre Macht zu sichern ...

 

Fantasyguide: Wie ging der Verlag damit um? War es schwer, einen Verlag zu finden?

 

Marcel Feige : Nein, im Gegenteil. Mit "Wut", meinem Thriller-Erstling, fand ich sehr schnell eine Literaturagentin, die den Roman ebenso zügig an den Goldmann Verlag brachte. Der lobte die angesprochenen Aspekte, die Mixtur aus kritischen Themen, Spannung und Unterhaltung. Auch "Gier" kam aus eben diesen Gründen schnell unter Vertrag. Im Augenblick schreibe ich mit "Trieb" den dritten Kalkbrenner-Thriller. Und jüngst habe ich den Vertrag für den vierten Thriller – Titel: "Macht" – unterschrieben.

 

Fantasyguide: Wenn man davon ausgehen kann, dass jeder Autor eine der Personen in seinen Romanen doch irgendwie nach sich selbst formt, welche der Hauptpersonen entspricht dann Marcel Feige am Meisten und in wie fern? Etwa Kommissar Kalkbrenner Höchstselbst?

 

Marcel Feige : Nein, keine der Personen entspricht mir, dem Autor. Es sind frei erfundene Figuren ... naja ... fast.

 

Fantasyguide: Du sprichst es an. Am Ende des Buches fand sich zwar der obligatorische Hinweis, dass Ähnlichkeiten mit lebenden Personen rein zufällig seien. Das fällt bei Personen wie der Bundeskanzlerin Heynemann doch zeitweise schwer zu glauben. Und so manche Sprüche der Herren Politiker meint man auch schon mal in ähnlicher Form aus dem Munde bekannter Persönlichkeiten gehört zu haben. Zum Beispiel die Phrasen zur Sicherheitspolitik. Gab es da nicht vielleicht schon mal eine Beschwerde? Wird der anmaßende Autor schon vom Verfassungsschutz beobachtet?

 

Marcel Feige : Hm, jetzt wo Du es sagst. Es steht jeden Tag ein weißer Kastenwagen vor der Tür, mit verdunkelten Schreiben, einer gewaltigen Antenne auf dem Dach, aber ... Im Ernst: Wenn ich, wie gesagt, mit meinem Roman die deutsche Realität abbilden möchte – und es sich dabei wie "Gier" um einen ansatzweise politischen Roman handelt -, komme ich nicht umhin, unsere aktuellen Funktionsträger und ihre Aussagen (und Phrasen) zu verwerten. Vielleicht ist die zufällige Ähnlichkeit deshalb manchmal ein bisschen weniger zufällig geworden ...

 

Fantasyguide: Was können die Leser denn in Zukunft erwarten, außer einem dritten Roman um Kommissar Kalkbrenner? Weitere Sachbücher oder Biografien? Oder werden die Leser mit etwas völlig anderem überrascht?

 

Marcel Feige : In Arbeit ist eine Menge. Wie schon erwähnt arbeite ich zur Zeit am dritten Kalkbrenner-Thriller "Trieb", der im Sommer 2009 bei Goldmann erscheinen wird. Der vierte Kalkbrenner-Thriller "Macht", der im Sommer 2010 bei Goldmann erscheinen wird, ist gerade unter Vertrag genommen worden.

Jetzt im Herbst 2008 erscheint bereits ein Sachbuch über die deutsche Pornobranche im Schwarzkopf & Schwarzkopf Verlag. Dort kommt auch im Frühjahr 2009 der erste Band einer sechsteiligen Erotik-Romanreihe. Und für Herbst 2009 ist noch ein erotisches Sachbuch im Knaur Verlag vorgesehen.

 

 

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Oje, das hat nicht geklappt, Elfenwerk! 2024050306123050b21341
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Erstellt: 04.09.2008, zuletzt aktualisiert: 16.10.2023 21:13, 7243