Macht (Autorin: Karen Duve)
 
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Macht von Karen Duve

Rezension von Ralf Steinberg

 

Verlagsinfo:

Frauen haben die Regierung an sich gerissen, Pillen geben ewige Jugend, religiöse Endzeitsekten schießen wie Pilze aus dem Boden und ein genervter Mann kettet seine Frau kurzerhand im Keller an …

Wir schreiben das Jahr 2031: Staatsfeminismus, Hitzewellen, Wirbelstürme, Endzeitstimmung und ein 50-jähriges Klassentreffen in der Hamburger Vorortkneipe ›Ehrlich‹. Dank der Verjüngungspille Ephebo, der auch Sebastian Bürger sein gutes Aussehen verdankt, sehen die Schulkameraden im besten Rentenalter alle wieder aus wie Zwanzig- bis Dreißigjährige, und als Sebastian seine heimliche Jugendliebe Elli trifft, ist es um ihn geschehen. Wen interessiert es da noch, dass die Krebsrate von Ephebo bei 60 % innerhalb der nächsten zehn Jahre liegt?

 

Alles könnte so schön sein, wäre da nicht Sebastians Frau, die ehemalige Ministerin für Umwelt, Naturschutz, Kraftwerkstilllegung und Atommüllentsorgung, die er seit zwei Jahren in seinem Keller gefangen hält. Dort muss sie ihm seine Lieblingskekse backen und auch sonst in jeder Hinsicht zu Diensten sein. Seiner neuen Liebe steht sie jetzt allerdings im Weg. Bei dem Versuch, sich seine Frau vom Hals zu schaffen, löst Sebastian eine Katastrophe nach der anderen aus …

 

Rezension:

Der Blick fünfzehn Jahre in die Zukunft sieht bei Karen Duve wenig erfreuliches. Maximal fünf oder sechs Jahre bleiben der Menschheit bis zum Kollaps. Die Untergangsstimmung führte weltweit zu weiblichen Regierungen. Doch selbst rigide Maßnahmen verzögern das Ende nur.

Sebastian Bürger zog daraus seine eigenen Schlüsse. Nach jahrelangem Fleischverzicht und Beteiligung an der Öko-Bewegung traut er sich endlich, so zu leben, wie er es will.

Er versetzt sein Elternhaus zurück in den Stand der sechziger Jahre, als er noch ein glückliches Kind war. Fleisch steht wieder auf dem Speiseplan und seine Frau will er zu einem braven Heimchen erziehen. Dafür muss er die Ministerin aber in seinem Keller gefangen halten.

Mithilfe der Verjüngungsdroge Ephebo ist er nun ein Endreißiger, kräftig, potent und endlich an der Macht. Zumindest im Keller. Das Ausleben dieser Macht stärkt sein Selbstbewusstsein derart, dass er sich nenmehr traut, bei einem Klassentreffen seine Jugendliebe Elli anzusprechen. Doch für ein normales Leben ist es längst zu spät …

 

Macht ist Titel und zentrales Thema des Romans. Sebastian Bürger hat sich sein ganzes Leben lang der Macht anderer untergeordnet. Karen Duve erklärt die zugrundeliegende Motivation ihres Protagonisten nicht weiter. Man kann sich einiges zusammenreimen, aber es blitzt aus all jenen Möglichkeiten stets hervor, dass Sebastian Bürger dieses Monster schon immer war und nur nie die Gelegenheiten hatte, es rauszulassen.

Aus ihren Recherchen und Quellen, die sie nach eigenen Angaben schon lange Jahre sammelt, erstellt Duve so das Profil eines psychisch gestörten Mannes, der sich seiner Taten durchaus bewusst ist, sie aber stets zu rechtfertigen versteht. Es sind gängige Parolen, mit denen Männer Frauen zu beherrschen trachten. In Monologen oder dem Kneipengespräch beim Klassentreffen serviert Duve den geballten Katalog an Machosprüchen und Patriarchatsdünkel. Teilweise so überspitzt, dass es wie Moralpredigten auf die LeserInnen einschlägt.

Die immer monströseren Verbrechen Bürgers werden umso unerträglicher, je durchsichtiger die Begründungen dafür werden. Dabei verliert Bürger zunehmend die Kontrolle über das, was er als Macht auszuüben glaubt. Der Schläger aus Schultagen requiriert ihn für Nazi-Events, sein religiöser Bruder dringt rücksichtslos in seinen Alltag ein, seine Kinder fordern Aufmerksamkeit und Liebe, die er nicht geben will – all das hindert ihn, sich selbst ins Zentrum der Welt zu stellen. Selbst seiner geliebten Elli muss er etwas von sich geben. Bürgers Leben ist aber von Anfang an kaputt, die LeserInnen dürften sich über die kommende Katastrophe im Klaren sein, es gibt nach der Entscheidung, seine Frau im Keller zu fesseln, zu schlagen, zu vergewaltigen, zu demütigen, zu foltern, keine Möglichkeit auf ein Happy End.

Dieser zentrale Plot lastet so schwer, dass Duves weitere Themen doch etwas verblassen. Der gesellschaftliche Umgang mit der Verjüngungsdroge wird zwar kontinuierlich in die Handlung eingebaut, entfaltet sich aber nur in einem sehr begrenzten Spektrum. Wirklich ausloten kann die Autorin das Thema nicht. Ebensowenig gelingt ihr das mit der feministischen Gesellschaftsform. In einem eingeschobenen Kapitel lässt sie die Verfassung des neuen Staates von einer Dozentin und plakativen Fragen abhandeln. Vielleicht wollte sie die Hohlheit solcher Veranstaltungen aufzeigen, den Background des Romans beleuchtet dies jedoch nicht ausreichend.

 

Dafür entwickelt Karen Duve aber einige interessante Visionen für die Zukunft. Dass man sich Umweltsünden mit CO2-Punkten kaufen kann, also etwa für Fleisch und Benzin neben Geld auch noch eine weitere Währung benötigt, ist eine denkbare Extrapolation heutiger Praktiken für Firmen. Auch das »Shammen« als Weiterentwicklung des Surfen und Wischens im Internet ist ebenso vorstellbar wie ein neuer Begriff für smarte Fernseher: »Compunikator«.

Gedanken hat sich die Autorin auch über Briefe oder Überweisungsvordrucke gemacht, heute noch analoge Möglichkeiten, sich einer Vollüberwachung zu entziehen. Viele Details, die Duves Dystopie lebendig werden lassen.

 

Schwierig wird die Betrachtung des Romans, wenn man sich den Geschlechterrollen zuwendet. Es gibt keine positiven Männerfiguren in »Macht«. Auch wenn Karen Duve betonte, dass Sebastian Bürger in seinem Umfeld ein Unikat ist, so sind die anderen Männer Schläger, religiöse Fanatiker oder einfach typisch schwanzgesteuerte Machos. Und eine Figur »Bürger« zu benennen, impliziert schon eine gewisse Verallgemeinerung.

 

Die Frauenseite kommt da schon etwas besser weg. Christine Semmelrogge ist zwar das geschundene Opfer, bleibt aber intelligent und kämpferisch bis zum Schluss. Elli ist das zarte Mauerblümchen, das ihr Recht auf Liebe einfordert und nebenbei politisch aktiv ist. Die Integrität dieser beiden Frauenfiguren verstärkt die Monsterhaftigkeit von Sebastian Bürger noch.

Karen Duve schlägt mit ihrer Figurenkonstellation in dieselbe Richtung wie Joanna Russ. Die Machtmechanismen männlicher Herrschaft werden aggressiv ans Tageslicht gezerrt und ohne jegliche Beschönigung dargestellt. Aber Russ entwickelte auch starke Konzepte feministischer Gesellschaften, Karen Duves Frauenherrschaft bleibt hingegen undeutlich und ist von vornherein nur die Verwaltung des unausweichlichen Endes.

 

Fazit:

»Macht« von Karen Duve ist eine bitterböse Dystopie. Auf den Weg in den Weltuntergang konfrontiert sie uns mit dem Monster Mann und einer Zivilisation, die sich selbst verdaut.

Teilweise unerträglich grausam, entblößt die Autorin, was Macht hervorzubringen imstande ist.

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Buch:

Macht

Autorin: Karen Duve

Gebundene Ausgabe, 416 Seiten

Galiani, 18. Februar 2016

Cover: Manja Hellpap und Lisa Neuhalfen

 

ISBN-10: 386971008X

ISBN-13: 978-3869710082

 

Erhältlich bei: Amazon

 

Kindle-ASIN: B01886KXTK

 

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Erstellt: 22.06.2016, zuletzt aktualisiert: 17.01.2024 18:43, 14633