NYX: Daddys Liebling (100% Marvel Bd. 22)
 
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NYX: Daddys Liebling

Reihe: 100% Marvel Bd. 22

Rezension von Christian Endres

 

I wanna wake up in a city, that doesn't sleep

And find I’m king of the hill – top of the heap

New York, New York ...

 

Was vom Setting und der Grundidee her genauso gut ein weltbekannter Sinatra-Song sein könnte, »verkommt« in Joe Quesadas siebenteiliger Mutanten-Miniserie NYX: Daddys Liebling zu einer traurigen Geschichte über das knallharte Leben als Außenseiter in einer nicht weniger harten Welt voller Schwierigkeiten und Probleme, die selbst für eine Gruppe junger Frauen mit übernatürlichen Kräften viele Gefahren und Rückschläge birgt, insofern diese sich ohne Anleitung durch einen Mentor wie z. B. Professor Charles Xavier von den X-Men durchs Leben schlagen und alleine mit ihren Kräften und Nöten zu Recht kommen müssen ...

 

Das Schicksal führt vier Frauen in New York zusammen, wie sie unterschiedlicher nicht sein könnten: Problemkind Kiden mit einem schwachen sozialen Background, die bei einer Schießerei in der Schule ihre Mutantenkräfte, mit denen sie die Zeit beeinflussen kann, entdeckt; X-23, die man vor allem aus der X-Men Animated Zeichentrickserie kennt und die in NYX ihren ersten Auftritt im Marvel-Universum hat und von den Kräften her ein kleiner Wolverine-Verschnitt ist; Tatiana, die durch das Blut von Tieren selbst zu einem Mischwesen aus Mensch und Tier mutiert; und dann natürlich noch Cameron Palmer, Kidens Lehrerin, die zwar keine Mutantenkräfte besitzt, aber dennoch in die Tragödie mit hineingezogen und schnell ein Teil von ihr wird ...

 

Jeder der vier Frauen ist das Glück nicht gerade Hold, und ehe sie sich versehen, finden sie auf eigentümliche Art und Weise und durch seltsame Umstände bzw. die leitenden Hinweise des Geists von Kidens schon vor Jahren verstorbenen Vater zusammen und müssen sich mit vereinten Kräften in den Straßen New Yorks herumschlagen, wo man selbst mit Mutantenkräften oder Begleiterinnen, die eben solche haben, nicht immer die Sonnenseiten des Lebens genießen kann. Als die Gruppe dann auch noch einem einflussreichen Zuhälter in die Quere kommt und dieser in seiner verkommenen, bestenfalls perversen Vorstellung von Liebe gemeinsam mit seinen schwerbewaffneten Schergen Jagd auf X-23 – und damit auch die anderen Frauen – macht, mündet die ganze von vielen traurigen Schicksalsschlägen gekennzeichnete Geschichte der vier Frauen in einem ziemlich heftigen Showdown mit viel Blut, einem weiteren Mutanten und einer grausamen Enthüllung für Kidens Erinnerungen an den Tod ihres Vaters ...

 

Joe Quesada ist in den letzten Jahren zu einer der wichtigsten Figuren hinter den Marvel-Kulissen aufgestiegen und beeinflusst maßgeblich die kreativen Prozesse im Haus der Ideen. Leider reicht seine Zeit seit dem viel zu selten dazu, den Zeichenstift zu schwingen und mehr zu Papier zu bringen als ein hübsches Cover, und erst recht kommt er nicht mehr allzu häufig dazu, sich als Autor zu betätigen – dass er beides gleich gut kann, hat er in der Vergangenheit bereits bewiesen. Doch wenn Quesada sich dann einmal hervor wagt und eine mehrteilige Geschichte abliefert, dann hat sie doch hoffentlich etwas außergewöhnliches an sich. Oder?

 

Nun, das stimmt leider nur zum Teil, denn in NYX geben sich Klischees und nette Einfälle die Klinke in die Hand und zeichnen somit ein eher ambivalentes Bild, das eine eindeutige Bewertung der Geschichte schwer macht – was wohl auch daran liegen mag, dass man ihr stellenweise anmerkt, dass hinter den kreativen Arbeiten nicht immer alles günstig zusammenlief und manchmal deshalb kein ganzheitliches Ergebnis aus einem Guss erzielt werden konnte. Manchmal stimmt Quesadas Erzähltempo dann auch nicht ganz, und anderswo sind die »Schnitte« und Szenenwechsel zu forsch, während anderen Seiten– gerade ab Mitte des Bandes – dann wieder ein wenig der Drive und das ideale Timing fehlt und ein Dialog hie und da ein wenig arg gekünstelt erscheint.

 

Doch die starken ersten zwei bis drei Kapitel mit ihrem hohen Social-Soap-Charakter sowie ein actionreiches, gutes Ende und einige sehr gelungene Szenen und Momente auf den Weg dahin lassen diese kleineren, oftmals nur marginal störenden Schwächen halbwegs vergessen und bescheinigen Quesadas Autorenleistung (die im Original erheblichen Verzögerungen unterworfen war, doch dazu weiter unten gleich mehr ...) auch diesmal wieder einen positiven Eindruck.

 

Das Artwork des Bandes spaltet mich in meiner Meinung dann nicht weniger als die Story und lässt mich, auch wenn wie schon bei der Story unterm Strich das Positive überwiegt, ein wenig ins Grübeln kommen: Ist das der richtige Stil für eine Miniserie mit solch einem Inhalt, da das schmutzige, harte Leben auf den Straßen New Yorks gezeigt werden soll? Hätte hier vielleicht nicht ein etwas düsterer, schmutzigerer Zeichner besser gepasst als Joshua Middleton (der die ersten vier Ausgaben übernahm, ehe er aufgrund der starken Verzögerungen von Quesada und dessen Skripten das Handtuch warf) bzw. Rob Teranishi (der sich nach der ersten der letzten drei Ausgaben die Hand brach und damit weitere Verzögerungen verursachte)? Die Bilder sind zumeist recht gelungen, keine Frage, und beide verstehen ihr Fach. Aber ob der Strich letztlich der richtige gewesen ist, um eine solche Story zu Papier zu bringen, das sei einmal dahin gestellt.

 

Das Cover des deutschen Sammelbandes spiegelt außerdem nicht die Qualität des Artworks wieder, doch soll diesem Satz nun nicht allzu viel an Wertung oder gar Negativem entnommen werden. Es ist schließlich nett anzuschauen, kommt dank des Drucklacks toll zur Geltung und macht einiges her – aber es ist eben nicht sehr repräsentativ für die Zeichnungen des Innenteils, da viel zu düster und verwaschen. Ansonsten ist das Artwork des Bandes nämlich außergewöhnlich klar und sauber und scheint auf manchen Seiten sogar direkt einem Animationsfilm entsprungen zu sein, was auch die pastelligen Farben erklären würde, die – wie schon erwähnt – nicht immer 100%ig zur Story passen wollen und manchmal zu blass und traumartig daher kommen.

 

Alles in allem ist es also etwas völlig anderes, was einem hier in Sachen Zeichnungen, Colorierung und Optik geboten wird – und deshalb letztlich dann doch durchaus eine äußerst willkommene Abwechslung zu all den Lees und Turners und all den anderen Image-Klonen, die derzeit bei Marvel und Co. schier Überhand zu nehmen drohen ...

 

Wer die 100%-Reihe von Marvel kennt, der weiß, was ihn auch bei NYX, mit seinen 196 Seiten der bisher umfangreichste Vertreter der Reihe, erwartet: Klappenbroschur, mit Drucklack veredeltes Cover, Lesezeichen zum Heraustrennen, gutes Papier, guter Druck, Vorwort und rundherum viel Comic für´s Geld. Neben seiner wunderbaren Aufmachung hat der deutsche Sammelband jedoch noch einen weiteren nicht von der Hand zu weisenden Vorteil gegenüber den US-amerikanischen Einzelheften: Die ursprünglichen sieben Einzelhefte erschienen über einen Zeitraum von fast zwei Jahren (zwischen November 2003 und Oktober 2005), was natürlich kein Vergleich zu dem umfassenden Komfort und einheitlichen Lesegenuss ist, wenn man die Story an einem Stück und in einem Rutsch durchlesen kann und nicht immer auf die unregelmäßig erscheinende, verzögerte Fortsetzung warten muss. Dadurch gewinnt die Geschichte natürlich nochmals und legt ein paar Punkte zu. .

 

Fazit: Ob das Artwork nun zur Story passt oder nicht, darüber kann man lange diskutieren, ebenso wie über die Frage, ob Joe Quesada nicht lieber wieder einmal eine Daredevil-Geschichte umsetzen sollte – das kann er meines Erachtens nämlich etwas besser.

 

Trotz aller nur leicht modifizierten Klischees, des etwas plötzlichen Endes und der Tatsache, dass die geplante Fortsetzung nie zu Stande gekommen ist, sticht der Band aber trotzdem erheblich aus der Masse an Marvel-Publikationen á la Bendis heraus und weiß in erster Linie aufgrund seiner Andersartigkeit im direkten Vergleich mit den anderen, zumeist Superhelden-Publikationen des Hauses der Ideen zu gefallen.

 

Diese Andersartigkeit verleitet mich auch zu dem Lob, das ich Panini an dieser Stelle aussprechen möchte, dass sie den Mut dazu haben, einen solch untypischen Band auf Deutsch zu veröffentlichen, der ob seines Umfangs dann ja auch noch ein bisschen mehr kostet als die üblichen Titel der Reihe.

 

Doch das Risiko hat sich meines Erachtens gelohnt, da mit NYX: Daddys Liebling somit ein Comic vorliegt, der ein völlig anderes Licht auf Superhelden- und Mutantencomics wirft und alleine deshalb schon in keiner (Marvel-)Sammlung fehlen darf.

 

Oje, das hat nicht geklappt, Elfenwerk! 202405131653534d0cd284
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Comic:

NYX: Daddys Liebling

Reihe: 100% Marvel Bd. 22

Autor: Joe Quesada

Zeichner: Joshua Middleton, Rob Teranishi

Verlag: Panini

Format: Softcover

Sprache: Deutsch

Anzahl Seiten: 196

Preis: 19,95

erhältlich bei Panini


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Erstellt: 28.05.2006, zuletzt aktualisiert: 07.04.2024 09:00, 2288