Providence Bd. 1 (Autor: Alan Moore, Zeichner: Jacen Burrows)
 
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Providence Bd. 1

Rezension von Ingo Gatzer

 

H. P. Lovecraft ist der wahrscheinlich einflussreichste Horror-Schriftsteller aller Zeiten. Mit „Providence Bd. 1“ haben sich Autor Alan Moore und Zeichner Jacen Burrows seinem Werk auf eine besondere Art und Weise gewidmet. Der Sammelband enthält die ersten vier Ausgaben der Serie, die in den USA zwischen Mai und August 2015 erschienen sind.

 

Die Vereinigten Staaten im Jahr 1919: Eigentlich wollte Zeitungsreporter Robert Black nur für eine Story recherchieren, die im „Herald“ erscheinen sollte. Doch dabei stößt er auf Dinge und Spuren, die ihn dazu bringen, seinem Job dem Rücken zu kehren. Blacks großer Traum ist es, einen Roman vzw. eine etwas andere Geschichte über Neuengland zu schreiben. Bei seinen Recherchen stößt er auf seltsame Charaktere und ahnt kaum die dunklen Geheimnisse, die noch viel tiefer als sein eigenes sind.

 

Mit Meilensteinen wie „Watchmen“ oder „V wie Vendetta“ sowie zahlreichen Auszeichnungen gehört Alan Moore fraglos zu den hervorragendsten Comic-Autoren überhaupt. Nach „Neonomicon“ widmet er sich ein weiteres Mal zusammen mit Illustrator Jacen Burrows H. P. Lovecraft, dem Meister des kosmischen Horrors.

 

Zwar lässt sich „Providence Bd. 1“ auch lesen und genießen, ohne das Werk von H. P. Lovecraft zu kennen: Aber das schmälert den Genuss doch deutlich. Zumindest sollten Leser Lovecrafts Werke „Kühle Luft“, „Grauen in Red Hook“, „Schatten über Innsmouth“ und „Das Grauen von Dunwich“ kennen. Natürlich werden Lovecraft-Kenner noch eine Vielzahl von Verweisen auf weitere Erzählungen des berühmten „Einsiedlers aus Providence“ - etwa „Die Farbe aus dem All“ - in den Geschichten entdecken. Moore übernimmt aber nicht nur simpel Figuren und Namen oder Schauplätze und Motive. Er variiert den Blickwinkel gegenüber den Vorlagen und verschafft den Storys geschickt weitere Ebenen und Subtexte. So diskutiert er etwa in der dritten Geschichte - „Nagende Angst“ - implizit das Thema Rassismus. In anderen Geschichten geht es – neben dem allgegenwärtigen lovecraftschen Grauen - um Themen wie den Traum oder das Unterbewusste. Das alles geschieht auch durch eingeschobene Texte. Dabei handelt es sich vor allem um Aufzeichnungen der Hauptfigur. Allerdings finden sich beispielsweise auch ein Gemeindebrief oder Zeichnungen einer Figur. Das ergibt ein vielbödiges Kunstwerk, das sein ganze Vielschichtigkeit – und ein Großteil des Grauens – erst durch den Kontext mit Lovecrafts Vorlagen entfaltet. Denn dem Blick von Black entgeht der lauernde Schrecken häufig. Der Lovecraft-Leser weiß jedoch, warum Dr. Alvarez in einem kalten Zimmer lebt, was unter den Kellern von Red Hook lauert, warum die Bewohner einer gewissen Kleinstadt so merkwürdig aussehen oder was die Whealteys verbergen. Thematisiert wird das in Moores Geschichten selbst meist nur am Rande. Es handelt sich somit eher um ein verborgenes Grauen, das jedoch um so erschreckender wirkt, da die Hauptfigur es selbst kaum wahrnimmt oder es schlicht wegrationalisiert. Die Lektüre ist für Horror-Fans und Lovecraft-Kenner – auch wegen der intelligenten Konstruktion - ein Genuss. Wegen einiger der angesprochenen Thematiken, empfiehlt sich die Lektüre allerdings primär für Erwachsene.

 

Illustrator Jacen Burrows bildet mit Alan Moore längst ein eingespieltes Team und setzt hervorragend dessen Vision um. Auf seinen Panels gibt es immer wieder reichlich zu entdecken. Einiges entgeht der Hauptfigur und richtet sich direkt an den Leser – etwa eine sichtbare Wunde im Gesicht einer Nebenfigur, die eine phantastische Lesart der Geschichte geschickt und unaufdringlich unterstreicht. Text und Bilder unterscheiden sich immer wieder. Das ist allerdings gewollt, weil die Zeichnungen die Perspektive von Black erweitern. Entsprechend Lovecrafts berühmter Maxime „atmosphere is the all important thing“ strömen auch die Bilder von Burrows immer wieder eine latent düstere Stimmung aus, die ausgezeichnet zu den Geschichten passt. Auch das Spiel mit Schatten zelebriert er immer wieder ansprechend in seinen Panels und auf den Covern.

 

Kritisieren lassen sich bestenfalls Details. Die erste Geschichte benötigt etwas Zeit, um in Gang zu kommen und manche der eingeschobenen Texte hätten Kürzungen vertragen können. Zudem gibt es kein wirklich zufriedenstellendes Ende. Letzteres kann allerdings kaum verwundern, da – hoffentlich noch viele – weitere Geschichten folgen werden. Unbedingt lesenswert sind übrigens die Eingangsworte von Christian Endres und die Schlussworte von Antonio Solinas. Zudem finden sich am Ende des Sammelbandes noch sehenswerte Cover.

 

 

Nicht zu Unrecht wurde „Providence“ in den USA bereits als „Watchmen des Horrors“ gefeiert. Autor Alan Moore gelingt – unterstützt durch die atmosphärischen Zeichnungen von Jacen Burrows - eine kongeniales und vielschichtiges Werk, das viel mehr als „nur“ Horror bietet. In vollen Zügen genießen können es allerdings nur Kenner von Lovecrafts Vorlagen: Noch ein guter Grund den Großmeister des kosmischen Grauens (wieder) zu lesen!

 

 

 

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Comic:

Providence Bd. 1

Autor: Alan Moore

Zeichner: Jacen Burrows

Panini, Dezember 2015

Broschiert 144 Seiten

ISBN-10: 3957985714

ISBN-13: 978-3957985712

 

 

Erhältlich bei Amazon


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Erstellt: 24.12.2015, zuletzt aktualisiert: 11.04.2024 08:09, 14248