Sechs Koffer (Autor: Maxim Biller)
 
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Sechs Koffer von Maxim Biller

Rezension von Ralf Steinberg

 

Verlagsinfo:

Wer hat Schmil Grigorewitsch verraten? War es einer seiner schönen, talentierten Söhne? War es seine ehrgeizige, traurige Schwiegertochter? Oder war am Ende er selbst, der Schwarzhändler und gütige Familienpatriarch, daran schuld, dass er vom KGB verhaftet und zum Tode verurteilt wurde?

 

Rezension:

In Sechs Koffer erzählt Maxim Biller von seiner Familie. Die Geschichte setzt an dem Tag ein, da Billers Onkel Dima aus dem Gefängnis entlassen wurde, in dem er fünf Jahre wegen versuchter Republikflucht saß. Der Sechsjährige hockt im Kinderzimmer der Prager Altbauwohnung im Mai 1965 und glaubt, dass dieser Onkel seinen Großvater, den Taten, umgebracht hat.

Um diesen Tag und das Ereignis wird es sich bis zum Schluss drehen. Biller konstruiert alle weiteren Geschichten um diesen Fixpunkt. Biller erzählt in mehreren lose miteinander verbundenen Episoden von der Flucht seiner Familie in den Westen, wie sie älter werden und wohin ihn die Fragen nach den dunklen Familiengeheimnisse bringen.

 

Nach und nach stellt sich als zentrales Thema die Frage heraus: Wer hat wen verraten. Besonders die Frage, wer den Taten, also Billers Großvater, an die sowjetischen Behörden verriet, zieht sich durch den Roman. Das verbindet Biller mit dem Themenkomplex Judentum. Man bekommt den Eindruck, der Tate wurde gerade deshalb hingerichtet, weil er ein Jude war. Dass er in erster Linie ein Krimineller war und nicht zu unrecht verhaftet wurde, will irgendwie niemand in der Familie sehen.

 

Die Erzählperspektive scheint im Roman ständig zu wechseln, aber eigentlich bleibt Maxim Biller als Obererzähler stets präsent. Man weiß nie so recht, ob man reale Ereignisse serviert bekommt, oder Billers Vorstellung davon, wie etwas passiert sein könnte. Ob es die traumatischen Erlebnisse seiner Tante im Konzentrationslager sind oder die Einsamkeit seines Bruders Lev – stets mischt sich der Autor in die Szene ein und kommentiert sie.

Das wird zunehmend störend, zumal Biller uns unbedingt über seine Masturbations- und Essgewohnheiten aufklären muss. »Sechs Koffer« erweckt dadurch zunehmend den Eindruck, es ginge nicht um die Geschichte seiner Familie, sondern nur um ihn selbst. Und das ist letztendlich ziemlich uninteressant.

 

Der Verrat selbst wirkt dann auch genauso banal, wie er erzählt wird. Den Taten hätte man auch so irgendwann erwischt. Dass der gesellschaftliche Druck in den Diktaturen der UdSSR und der ČSSR bis in die Familien hineinreichte und das Leben vergiftete, ist keine neue Erkenntnis und Biller bewegt sich bei seiner Schilderung einer solchen Vergiftung kaum außerhalb einer Nachmittags-Soap. Da wird es auch nicht besser, dass Biller, wohl an die #metoo-Debatte anknüpfend, sexuelle Diskriminierung und Erpressung in staatlichen Institutionen und der Prager Filmindustrie thematisiert. Zumindest diese Fassette, neben dem latenten Antisemitismus in der ČSSR, kann man als neue Erkenntnisse aus dem Buch gewinnen.

 

Fazit:

»Sechs Koffer« von Maxim Biller ist eine politisch aufgeladene Familiengeschichte, die viel mehr um den Autor kreist als wirklich spannend zu werden. Eine Enttäuschung.

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Buch:

Sechs Koffer

Autor: Maxim Biller

Gebundene Ausgabe, 198 Seiten

Kiepenheuer & Witsch, 8. August 2018

Cover: Walter Schönauer

 

ISBN-10: 3462050869

ISBN-13: 978-3462050868

 

Erhältlich bei: Amazon

 

Kindle-ASIN: B07CH1F6G9

 

Erhältlich bei: Amazon


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Erstellt: 21.09.2018, zuletzt aktualisiert: 08.03.2024 15:06, 16968