Unter dem Westwind
 
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Unter dem Westwind

Rezension von Karl-Georg Müller

 

Mit dem zweiten, den Inhalt regional abgrenzenden Quellenbuch der neuen Generation widmet sich die Redaktion um Ragnar und Michelle Schwefel dem aventurischen Nordwesten im Jahre 1027 BF. Dabei werden unter Nordwesten neben Thorwal auch das Gjalskerland und die Streitenden Königreiche Nostria und Andergast verstanden; das Quellenbuch geht also über die alte Thorwal-Box hinaus, die anno 1990 als erste Regional-Spielhilfe für DSA erschien und eine ganze Phalanx ähnlich ausgestatteter Länderbeschreibungen folgen ließ.

 

Bevor ich auf den wichtigeren „Inhalt“ zu sprechen komme, möchte ich einige Worte zum Äußeren des Bandes verlieren. „Unter dem Westwind“ firmiert als Band 2 der grünmelierten Reihe, mit der FanPro nach den Regelwerken zur 4. Edition auch bei den Regionalbänden einen Schnitt machte – weg von den Schachteln mit dünneren Einzelbänden, hin zu kapitalen Büchern mit festem Umschlag, in solider Aufmachung und einem einheitlichen Einband. Nach drei Bänden schaut das im Bücherschrank schon sehr gediegen aus, zumal sich auf den Buchrücken die ersten deutlicheren Konturen der Aventurienkarte mehr als erahnen lassen.

 

Und im Inneren verbirgt sich die gewohnt professionelle Gestaltung mit übersichtlichem Zweispalten-Text, zahlreichen eingestreuten Illustrationen (die gerade bei anschaulichen Grafiken wie dem Schiffstyp „Winddrache“ oder dem „Langhaus“ dem Spielleiter genau die Details vor Augen führen, durch die er seinen Spielern authentische wirkende Atmosphäre vermitteln kann) und einer lose beigelegten Farbkarte der Region sowie etlichen Stadtplänen. Das alles trägt zu einem überaus positiven Gesamtbild bei, das sich schon nach dem ersten Durchblättern einstellen will.

 

Doch was wäre der äußere Schein wert, würden die inneren Werte nicht stimmen. Gemäß der zuvor erwähnten drei Länderbereiche (Thorwal, Gjalskerland, Streitende Königreiche) gliedert sich das Buch erst einmal streng in diese Abschnitte. Begonnen wird mit Thorwal, dem zwar bekanntesten, trotzdem jedoch mit nur wenigen Abenteuern oder Romanen bedachten Gebiet. Im Rahmen eines umfangreichen geschichtlichen Überblicks erfahren wir sehr viel über die Herkunft der Thorwaler, doch sind diese Informationen vornehmlich für Spielleiter gedacht, denn nur weniges ist schriftlich überliefert oder gehört zum Allgemeingut des aventurischen Gelehrtenwissens. Wie die geschichtlichen Hintergründe zwar immer wichtig sind, aber in ihrer Datenfülle erschlagend wirken. Als spielrelevanter empfinde ich Themengebiete wie „Land und Leute“, denn dort erlange ich Kenntnisse beispielsweise über die einzelnen Sippen und ihre hierarchische Ordnung. Das sind die Details, die ich umgehend in ein Abenteuer einflechten kann: Meine Spieler begeben sich in ein thorwalsches Dorf. Um ihre Begegnungen stilgerecht ausspielen zu können, muss ich die sozialen Strukturen kennen, wissen, welche Sitten und Gebräuche auch denn Fremden abverlangt, auf welche Weise Gesetzesverstöße geahndet werden.

 

Das alles ergibt sich durch die sehr ausführlichen, in meinen Augen alle wichtigen Aspekte bedenkenden Kapitel zum zuvor genannten Oberbegriff. Sehr schön auch, weil es der Ausschmückung eines guten Rollenspiels dient, ist die Seite mit den thorwalschen Begriffen, wobei der thorwalschen Sprache insgesamt nur ein knapp bemessener Raum zugestanden wird. Dafür werden den Tugenden wie Treue und den Untugenden wie Spottlust und Jähzorn mehr Aufmerksamt gewidmet; mir ist das recht, denn die Persönlichkeit eines Thorwalers gewinnt durch diese Attribute durchaus mehr an Profil. Denn wenn ich lese: „Thorwaler lieben es zu lachen, über das Missgeschick eines anderen ebenso wie über ein eigenes“, kann ich mir gut mit dieser Facette ausmalen, wie ich die nächste Konfrontation in einer Kneipe mit einem bärbeißigen Thorwaler gestalten könnte.

 

Altertümliche Kulturen entscheiden sich aber nicht nur in den Interaktionen zwischen Menschen, im Miteinander also, von der unseren, sondern auch unter dem Blickwinkel „Wohnen“ oder „Kleidung“. Gerade hierbei sehe ich es als sehr hilfreich an, wenn über die Erklärung hinaus, dass Thorwaler Langhäuser bauten, auch eindeutige Zeichnungen angeboten und diese anschaulich erläutert werden. Das ist bei diesem Quellenbuch der Fall, und so kann ich ein Langhaus „von innen“ begutachten und die Kleidung typischer Thorwaler bestaunen.

 

Nett finde ich das Kapitel „Wie sieht der Thorwaler ...“; aufgezählt werden sodann die verschiedenen Völker Aventuriens und ihren Leumund. Das ist recht aufschlussreich, wenn ein Nostrier als Abenteurer nach Thorwal gelangt und ihm dort, wie es die Beschreibung auferlegt, wenig Achtung empfängt.

 

Nach einem erklärenden Beitrag zur Religion widmen sich die Autoren in ausreichender Länge demm Thema „Magie.“ Der Glaube an die Magie ist im Dasein des Thorwalers fest verwurzelt – wiewohl er Druiden und Hexen mit großer Skepsis gegenübertritt -, was sich zum Beispiel in den eindrucksvollen Hallen der Runajasko dokumentiert. Die Beschreibungen dieser Hallen können zusammen mit einem gut gezeichneten Lageplan gleich als Ausgangs- oder Mittelpunkt eines selbst geschriebenen Abenteuers dienen, soviel Stoff für eigene Ideen sollten sie in sich bergen.

 

Einige für die Nordlande spezifischen Tiere und Pflanzen runden den enzyklopädischen Teil ab, danach werden noch die thorwalschen Regionen mit ihren Besonderheiten beschrieben; jeweils mit einem durchgängig nach selbem Schema aufgebauten Detailkasten (Geographische Grenzen, Landschaftsbild, Gebirge, Gewässer, Wichtige Städte und Dörfer) versehen.

 

Obwohl diese Angaben unverzichtbar sind, offenbaren sich erst recht die nachfolgenden Abschnitte als ein Füllhorn wertvoller und interessant aufbereiteter Informationen: es geht in die Städte und Dörfer, und obwohl sieben Seiten bei einer Stadt wie Thorwal mit circa 10.000 Einwohnern nur mit dem Mindesten an Beschreibungen aufwarten kann, erfährt der Spielleiter doch genug, um zumindest einen Besuch in der Stadt über die Bühne bringen zu können. Eine ausführliche Stadtbeschreibung stellt das nicht dar, aber wenn Magierakademie und eine Handvoll Kneipen begutachtet werden, so lässt sich damit doch schon etwas anfangen.

 

Das letzte wichtige Kapitel widmet sich der Seefahrt. Ein klarer Fall, dass dieses Thema bei einem Seefahrervolk nicht unter den Tisch fallen kann. Die niedergeschriebenen Schilderungen zum Thema sind nicht unbedingt ausufernd, erscheinen mir jedoch ausreichend genug, um als Spielleiter damit eine Seereise genügend authentisch managen zu können.

 

Danach wandern wir ins Gjalskerland. Die Beiträge sind bedeutend kürzer gefasst als bei Thorwal, grundsätzlich unterscheiden sie sich von ihrem Aufbau aber nicht. Die Gjalsker können ihr irdisches Pendant, das gälisch-schottische Rauhbein, nicht verhehlen. Das wird besonders deutlich bei den Kraftspielen, die wir in dieser Art aus den Wettkämpfen in den Highlands kennen, und setzt sich fort in den gezeichneten Charakteren mit ihren Röcken, geflochtenen Zöpfen und Hautbildern.

 

Zum Abschluss schließen wir noch Bekanntschaft mit den Streitenden Königreichen, der Region zwischen Steineichenwald und Tommel, zwischen dem Meer der Sieben Winde und der Messergrassteppe. Die beiden Reiche liegen relativ abgeschieden, so dass das Reisen dorthin beschwerlich ist und die Mühe selten auf sich genommen wird. So konnte ein Menschenschlag entstehen, der seine Eigenheiten bewahren konnte und Fremden gegenüber eher misstrauisch reagiert. Trotzdem eignen sich beide Regionen wegen ihrer Überschaubarkeit als Ausgangspunkt für eine neue Abenteurerrunde, erinnern doch die Länder an irdische Vorbilder wie Astrid Lindgrens „Ronja Räubertochter“ oder Robin Hood. Unter diesen idealisierten Mittelalterbildern kann sich nun wirklich jeder etwas vorstellen; ein Start in einem solch bekannten Umfeld sollte wirklich nicht sehr schwierig sein.

 

„Unter dem Westwind“ bestätigt den guten Eindruck, den „Geographica Aventurica“ und „In den Dschungeln Meridianas“ bereits erweckten. Sobald man erst einmal mit dem Lesen des Quellenbuchs begonnen hat, taucht man unweigerlich ein in eine Fülle von Informationen, die einen nicht mehr loslassen möchte. Das Lesen macht aber auch Spaß, denn die große Anzahl an Autoren bringt es zum Glück nicht mit sich, dass die verschiedenen Beiträge in ihrer Qualität schwanken; da hat wohl die Redaktion sehr gute Arbeit geleistet, das Quellenbuch hinterlässt ein sehr kohärentes Bild, die Informationen sind in sich abgestimmt und vermitteln eine schlüssige, nicht widersprüchliche Beschreibung der nördlichen Regionen.

 

Das Quellenbuch ist einmal mehr für Spielleiter unverzichtbar. Mit dieser Anmerkung – „unverzichtbar“ – geht man ja selten fehl, und selbst bei mittelmäßigen Regelbeiwerken stolpert man über dieses Attribut. „Unter dem Westwind“ hat dagegen den Vorteil, seine Unverzichtbarkeit mit gut recherchiertem Textmaterial und bester Lesbarkeit zu verbinden. Das ist erfreulich. Und dafür gibt es eine Empfehlung. Die übrigens auch für Spieler gilt, die zwar einen Teil der Beiträge tunlichst überspringen sollten (weil es sich um Meisterinformationen handelt), aber noch viel an Informativem entdecken werden.

 

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Hinweis:

Mit freundlicher Unterstützung von Fantasy Productions GmbH,

www.fanpro.com und www.f-shop.de

Oje, das hat nicht geklappt, Elfenwerk! 20240427161927ead8541d
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Unter dem Westwind

System: DSA

Autor: Schwefel, Ragnar

Gebundene Ausgabe - Fantasy Production

Erscheinungsdatum: Oktober 2004

ISBN: 3890642950

Erhältlich bei: Amazon

 


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Erstellt: 16.07.2005, zuletzt aktualisiert: 23.02.2015 13:21, 619