Venus siegt (Autor: Dietmar Dath)
 
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Venus siegt von Dietmar Dath

Rezension von Ralf Steinberg

 

Verlagsinfo:

Auf dem Planeten Venus findet in einigen hundert Jahren ein gewaltiges soziales Experiment statt. Man will herausfinden: Gibt es eine Form der Zusammenarbeit, in der Menschen, Roboter und räumlich ungebundene künstliche Netzintelligenzen gleichberechtigt leben können?

Eine Revolution hat diese Nachbarwelt der Erde von der kolonialen, wirtschaftlichen und politischen irdischen Herrschaft befreit. Gegen äußere und innere Feindschaft muss sich das neue Regime, das verspricht, alle Formen des Denkens und Arbeitens von Ausbeutung und Abhängigkeit zu befreien, mit harten Maßnahmen behaupten. Die Politikerin und Programmiererin Leona Christensen errichtet eine Diktatur.

»Venus siegt« erzählt ihre Geschichte aus der Perspektive eines Elitenkindes der neuen Ordnung: Nikolas Helander ist der Sohn des Kulturlenkers und ersten Gehilfen der Diktatorin. Sein Leben, seine Liebe und sein politischer Weg zwischen Loyalität, Opposition und Krieg sind die drei Stränge einer großen Erzählung von Befreiung und Terror, Zwang und Emanzipation unter den Bedingungen höchstentwickelter Technik.

 

Rezension:

Ein Jahr nach dem grandiosen Feldeváye fand Tausendsassa Dietmar Dath erneut einen Verlag für ein weiteres Science-Fiction Epos.

Der Hablizel Verlag präsentiert eine ambitionierte gebundene Ausgabe, deren unschöne Satzfehler nach eigenen Angaben inzwischen behoben sind.

 

Der Roman ist ein Lebensbericht. Nikolas Helander ist nicht nur der Sohn eines bedeutenden Venus-Politikers, seine Mutter war zudem auch eine exzellente Programmiererin und Topostheoretikern. Ihre zugrundeliegenden mathematischen Konzepte bestimmen im wesentlichen auch die sozialen und intellektuellen Programmierungen, auf die Nik zugreift. Denn die Venusgesellschaft beruht auf zwei technischen Innovationen. Das Écumen, oder der Schaum, ist ein Stoff, auf submikrioskopischer Ebene mit Elektronik der nächsten Generation vollgestopft, bei Dath Photonik genannt, aus dem im wesentlichen alle Kommunikations- und Produktionsmittel gemacht sind. Aus Schaum besteht auch die Kontaktplatte im Kopf der Menschen, Schnittstelle zu Kommunikation und Erweiterung der Wahrnehmungen.

Die zweite Innovation, die das Leben auf der Venus erst praktikabel machte, ist das schwarze Eis. Ein Material, fähig, Schwerkraft aufzuheben, Strahlung zu absorbieren und stabil genug, zu kilometerlangen Tunneln verarbeitet zu werden, mit denen die Venusstädte nach und nach verbunden werden.

Zudem wurde auf der Venus ein Lebensmodell entwickelt, in dem die drei bekannten Intelligenzformen wie in einer Einheit zusammen leben: Das Bundwerk.

Die drei Arten sind auch auf dem Cover zu sehen. D steht für die Diskreten. Roboter mit fester Programmierung, flexibel im Aufbau ihrer Körper und Funktionen, das programmierte Selbst kann diesen Körper nicht verlassen.

B sind die Biotischen, Menschen, unabhängig von ihren Modfikationen und genetischen Veränderungen, von denen es auf der Venus zunächst einige Spielarten gibt. Unterwasserangepassten, Tierähnliche, Flieger …

K letztendlich sind die KI’n. Unabhängige Intelligenzen, im Netz verteilt, kaum wirklich zu lokalisieren. Zusammen D=B=K, eine Gesellschaft, in der biotische Intelligenz (also wir), diskrete (also gekapselte) und künstliche Intelligenz verbunden sind.

Aus diesem Bund soll sich das Freiwerk entwickeln, eine ganz und gar grenzenlose Gesellschaft ineinander übergehender Intelligenzformen.

Dieses politische Ziel gebiert aber ganz unterschiedliche Ideen, wie man das nun konkret verwirklichen kann. Die Folge ist, dass die Venusgesellschaft unter Leona Christensen in eine totalitäre Diktatur schlittert, gefolgt von Bürgerkrieg und imperialistischer Invasion.

 

Hier erkennt man die konzeptionellen Hintergrund von Daths Roman. Dath bildet in Venus siegt, wie schon in Feldeváye, historische Zeiträume auf Zukünfte abbildet, um es dem Roman angemessen mathematisch zu benennen.

Behandelte er in Feldeváye die doch recht lange Zeit zwischen Mittelalter und Neuzeit, nimmt sich Dath diesmal die russische Revolution, den zweiten Weltkrieg und einen kurzen Zeitraum des Wiederaufbaus vor.

Wir finden Persönlichkeiten wieder, die Stalin, Lenin, Trotzki und Hitler nachgebildet sind. Viel tiefer aber beschäftigt sich Dath mit dem Äquivalent einer sozialistischen Gesellschaft. Es ist nicht der uns bekannte Sozialismus, aber eben schon eine Form des Kollektivismus. D=B=K – drei Formen der Intelligenz arbeiten nicht nur zusammen oder sind gleichberechtigt, vielmehr bilden sie ein Konglomerat. Dath nähert sich dieser Gesellschaft ziemlich deutlich aus einer westlichen und stark theoretischen Sicht. Sein Bundwerk strahlt nicht die Melancholie oder den beständigen Verfall der DDR aus. Vielmehr sind typische Kommunen und bolos anzutreffen, selbst dann noch, wenn die Repressalien und Massaker ihre Strukturen zustören.

Dath hinterfragt seine politischen Ansichten konsequent literarisch und stellt sich ihren Problemzonen , ohne sie irgendwie lösen zu können, er bietet aber alternative Sichtweisen an. Sein Stalin-Abbild ist eine Frau, ähnlich blutbesudelt, aber eben auch um eine weibliche Nuance anders.

 

Man kann »Venus siegt« durchaus mit Ursula K. Le Guins The Dispossessed in eine Reihe stellen. »Venus siegt« überträgt das Sowjetsystem auf die Venusgesellschaft inklusive des systemimmanenten Zusammenbruchs. Das ist weniger ein Erklären persönlicher politischer Ansichten des Autors als vielmehr eine sehr intensive Beschäftigung mit den zugrundeliegenden Prinzipien. Das Entstehen und Wirken einer totalitären Gesellschaft inklusive Personenkult und Kollektivismus ist das eigentliche Thema Daths.

 

Die Veränderungen sind zunächst nur klein und Nik nimmt sie nur am Rande wahr, obwohl er durch die Connections seines Vaters stets nah am Zentrum der Ereignisse steht und sich sogar in die Tochter der Diktatorin verliebt.

Er bleibt Beobachter und kann so die Ereignisse fast sachlich darstellen, ja selbst als er die Opferrolle aufgedrückt bekommt, gelingt es ihm später, das Geschehen so zu reflektieren, dass er mit einer Art historischer Objektivität darüber berichten kann.

Ziemlich raffiniert verhindert Dath, dass man den Roman so einfach als Entwicklungsroman lesen könnte. Mit einem medizinischen Trick überspringen viele Venusianer die Pubertät. Das Ja katapultiert ein Kind direkt ins Erwachsensein, verlängert das Leben und prägt eine Denkweise, fern von naiver Rebellion. Der natürliche Konflikt mit den Eltern, der Abnabelungsprozess und das spätere Wiederentdecken der Eltern als Partner entfällt.

Teilweise widmet sich Dath diesem Konfliktpotential und die Beziehung zwischen Vater und Sohn spielt immer eine Rolle, aber nicht wirklich aus der Familie heraus. Das gilt übrigens auch für die fast bedeutungslose Mutter-Tochterkonstellation von Aadarshini und Leona Christensen. Dath legt den Fokus auf ganz andere Dinge und er baut kleine Gimicks ein, die seine unbändige Lust auf literarischer Motivation der LeserInnen illustrieren.

 

So gibt es einige Szenen, in denen Theater von den Mächtigen als politischer Kommentar gesehen wird. Eines der erregenden Stücke ist Peter Hacks Numa. In der Romanhandlung Hunderte Jahre nach seiner Uraufführung. Peter Hacks ? Tatsächlich scheint Dath eine große Liebe zu ihm zu pflegen, nachzulesen in dem erstaunliche Essay Ihm war Zeit seines Lebens kalt aus dem Jahr 2008. Durchaus nützlich als Hintergrundlektüre für das Buch. Es steckt vermutlich eine Menge Hacks in »Venus siegt«.

Neben dieser eher literarischen Metaebene gibt auch noch eine mathematische. Und wer hier bewandert ist, kann bestimmt noch eine weitere Bedeutungstiefe des Romans für sich entdecken.

 

Fazit:

Vielleicht klingt das alles nicht unbedingt nach einer spannenden Science-Fiction Handlung, und doch ist »Venus siegt« genau das. Einfacher zu lesen als »Feldeváye«, komprimierter und deutlicher in den bedienten Metaphern und darüber hinaus eine fesselnde Utopie, die erneut technische Ideen auf ihre gesellschaftlichen Auswirkungen hin untersucht. Wohin führen uns immer klügere Roboter, künstliche Intelligenz und genetische Basteleien? Was macht es mit uns und unserem Zusammenleben?

Fragen, die Dath alle in einer vielseitigen und nie langweiligen Geschichte verpackt. Science-Fiction mit wachem Auge für die Befindlichkeiten unserer Merkelkratie.

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Buch:

Venus siegt

Autor: Dietmar Dath

Gebundene Ausgabe, 292 Seiten

Hablizel 30. März 2015

 

ISBN-10: 3941978187

ISBN-13: 978-3941978188

 

Erhältlich bei: Amazon

 

Kindle-ASIN: B00VXAQ9CE

 

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Erstellt: 13.05.2015, zuletzt aktualisiert: 20.01.2023 16:55, 13935