Artikel: Fang nie was mit einer Klientin an
 
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Fang nie was mit einer Klientin an

Artikel von Karin Reddemann

 

Zudem sei unbestechlich, nett und fair und unbewaffnet, träum’ was Schönes und merk’ dir das genaue Gegenteil. Denn so soll es natürlich (nicht!) sein im Film Noir. Dort liebt man die Straßen der Nacht, wedelt mit dreckigen Geldscheinen, die man sich nicht sauber denken muss und will, traut nichts und niemandem und liebt, wenn überhaupt, in erster Linie sich selbst. Seine Knarre, seine Kippe, seinen Whisky, seine Wut. Aber dann …

 

»Sie war eine Blondine von der Art, die einen Bischof dazu bringen kann, mit einem Ball ein Loch in ein Kirchenfenster zu schießen.« (Raymond Chandler)

Ladies in Black

Im Mitternachtskino sind es keine Dämonen, die atemlos machen. Es sind diese umwerfenden Frauen, die in finsteren Spelunken und billigen Absteigen so selbstverständlich schön, geheimnisvoll und gefährlich auftauchen, als gäbe es keinen idealeren Ort dafür, sich in Glamour-Szene zu setzen. Sie sind raffiniert, lebenshungrig und zu allem bereit, das sie zu echten Ladies machen könnte. Aber das sind sie längst. Ladies in black mit lackierten Krallen und gierigen Blicken, die auffressen, was gefressen werden soll. Und das manchmal auch bevorzugt.

 

»Are you taking me for a drive? Or a ride?« (Asphalt-Dschungel, 1950, Regie: John Huston)

 

Im Kino der Nacht sind es keine Monster, die für düstere Stimmung und Nervenkitzel sorgen. Es sind diese gut aussehenden Kerle, die schlecht gelaunt und von der Zeit zerrissen ihren Whisky trinken, den Hut tief ins Gesicht gezogen, die Hand griffbereit für die Pistole und das Feuerzeug. Viel mehr brauchen sie nicht, wenn sie in ihren durchnässten Trenchcoats in dunklen Gassen stehen, den Regen verfluchen, in Pfützen spucken und grimmig nach etwas Farbe im Schatten Ausschau halten. (Good) American way of life? Hier garantiert nicht, der Weg verläuft anders.

Ohne Selbstmitleid

Und diese unglaublich attraktiven Frauen, die aus der Dunkelheit kommen, sie von sich jagen, sie an sich ziehen, sie belügen, brauchen, benutzen, begehren und die mit ihnen irgendwohin verschwinden, teilen ihren Hunger, den Sarkasmus, diese wahnsinnige Leidenschaft, gleichwohl den Pessimismus ohne Selbstmitleid. Sie alle machen sich nichts vor, sie balancieren stets gefährlich nah am Abgrund. Ein falscher Schritt. Der falsche Schachzug. Das Licht geht aus.

 

»Ein Freund von mir hat eine feine Theorie. Er sagt, wenn zwei einen Mord begehen, fahren sie in der gleichen Richtung und können nicht anhalten, keiner kann vor der Endstation abspringen. Sie müssen gemeinsam fahren, und ihre Endstation ist der elektrische Stuhl.« (Frau ohne Gewissen, 1944, Regie: Billy Wilder)

 

Im Film Noir tickt die Uhr etwas anders. Ehrlicher. Gefährlicher. Diese Gutmenschen, die auf der Sonnenseite leben und ihr Glöckchenglück in ihrem Lachen tragen, gibt es nicht. Keine zarten, geschmeichelten Püppchen, die in Villen mit Pool, Nanny und Silberbesteck landen, weil sie ihren Millionär kriegen, keine Helden von altem Schrot und Korn, die in Krisensituationen immer chic und cool bleiben. Sie sind die Zweifler und die Verzweifelten. Nicht die, die durchladen, Messer ziehen, ihre Fäuste sprechen lassen und Frauenherzen brechen in dem festen Glauben, dass der Himmel blau bleibt. Weil sie feststellen, dass er grau ist. Dass es gewittern wird. Dass sie keinen Cent für einen Schirm besitzen, der Platz für zwei bieten würde. Und dass es an der Zeit ist, das Ganze zynisch zu betrachten. Denn nur so geht’s. So überlebt man. So liebt man. So hat man seine Prinzipien:

 

»Wie trinken Sie Ihren Brandy am liebsten?« – »Aus einem Glas.« (Tote schlafen fest, 1946, Regie: Howard Hawks)

 

Geprägt hat die Bezeichnung Film Noir für die »Schwarze Serie Hollywoods« in den 1940er/-50er Jahren der französische Filmkritiker Nino Frank, der 1946 einen Artikel brachte über amerikanische Thriller wie Die Spur des Falken und Frau ohne Gewissen, die in Europa erst nach Kriegsende gezeigt werden konnten.

 

Er erkannte in den »dunkel« gespielten Krimis, meist B-Filme mit geringem Budget gedreht, diese auffällige Besonderheit, – Schwarz-Weiß-Ästhetik in künstlerischer Perfektion, Markenzeichen: Lichtgestaltung ohne Trennlinie zwischen innen und außen, Tag und Nacht –, für deren Machart der deutsche expressionistische Stummfilm kennzeichnend ist, während die Grundthematik die Asphaltcowboys in der US-amerikanischen Hardboiled-Kriminalliteratur behandelt:

Großstadt-Dschungel

Autoren wie Raymond Chandler, Dashiell Hammett, Graham Greene und James M. Cain, die längst im Genre zu den ganz großen Stilprägenden zählen, machte Nino Frank als Schöpfer der nächtlichen Großstadt-Dschungel-Stories mit ihren zwielichtigen Gestalten zwischen jeglichen erdenklichen Fronten zuerst in Frankreich, dann überall in Europa bekannt. Schon 1945 erschienen die Bücher in der von Marcel Duhamel editierten Série Noire. Neuauflagen köderten die Leser zudem mit Cover-Fotos aus den Verfilmungen. So mancher späteren Hollywood-Legende diente der Film Noir in den 1940ern als Sprungbrett für die Weltkarriere: Burt Lancester, Robert Mitchum, Richard Widmark. Bogart!

 

Der populärste Figurentypus ist der Privatdetektiv, meist ein Ex-Cop wie Philipp »Humphrey« Marlowe (Chandler), der misstrauisch und oft zynisch Welt und Sachlage kommentiert, illusionslos und ohne grundsätzliche Skrupel seine eigenen Regeln schafft, der unrasiert seine Whisky-Nikotin-Fahne spazieren führt und der es trotzdem hinbekommt, dass die schönsten Frauen in seinen Armen dahin schmelzen.

 

»Sie sind Privatdetektiv? Ich wusste gar nicht, dass es welche gibt, außer in Kriminalromanen, schmutzige kleine Männer, die in Hotels herumschnüffeln. Sehr attraktiv sehen Sie auch nicht aus.«

»Ich bin eben ein bisschen klein geraten. Das nächste Mal werde ich auf Stelzen kommen, eine weiße Krawatte tragen und einen Tennisschläger unterm Arm.« (Tote schlafen fest, Bacall/Bogart)

 

Im Zeichen des Bösen (Touch of Evil) von und mit Orson Welles gilt zwar als das glänzend klassische Schlusslicht der »Schwarzen Serie Hollywoods«, – dazu zählen gut 400 Filme, die von 1941 bis 1958 größtenteils in den USA gedreht wurden –, der Film Noir freilich prägte weiterhin weltweit den Stil oft begnadet guter Filmemacher.

Frech und cool

Die von gesellschaftlichen Krisen geprägte Grundstimmung, die Typologie und das Handwerk sind zentrale Mitbestimmer der französische Nouvelle Vague, des amerikanischen Mainstreamkinos und auch der »Neo-Noirs« mit ihren freieren Interpretationen, oft sympathische Rekonstruktionen der Detektiv-Filme des alten hochgeschätzten Kalibers:

 

»Mein Presseausweis ist abgelaufen, na und? Mein Auto hier ist auch abgelaufen. Läuft trotzdem noch. Ich selbst bin auch abgelaufen. Lebe aber immer noch.« (R. Dubillard in Polar: Unter der Schattenlinie, 1983, Regie: Jaques Bral)

 

Die frech-coole Kodderschnauze hat allemal überdauert. Und weiterhin gilt sowieso, was manchmal gar nicht so schwer zu beweisen ist. Weil es sein muss, wie es sein soll:

 

»All us tough guys are hopeless sentimentalists at heart.« (Chandler, Brief an Roger Machell, 1955)

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Erstellt: 19.01.2020, zuletzt aktualisiert: 04.03.2023 15:40, 18207