Die Magier von Montparnasse (Autor: Oliver Plaschka)
 
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Die Magier von Montparnasse von Oliver Plaschka

Rezension von Oliver Kotowski

 

Rezension:

Ravi ist ein aufstrebender Bühnenzauberer. Zusammen mit seiner Assistentin Blanche-Neige führt er ein bezauberndes Programm im Varieté Bobino auf. Da die Konkurrenz auf schrille Nummer mit viel Haut setzt, drängt Direktor Philbert auf drohende Gefahr. Sechs Tage lang ging alles gut, doch am siebten Tag, am Sonntag, geht ein Trick der Pharaonen-Nummer schief: Ein Gelenk klemmt, eine Geheimtür lässt sich nicht öffnen und Ravi droht mit Blanche im Sand zu ersticken. Da bricht Ravi ein ehernes Gesetz – er setzt wahre Magie ein, tritt aus der Todesfalle ohne die Tür zu öffnen und befreit Blanche von Außen. Damit wird die Société Silencieuse auf den Plan gerufen, die eifersüchtig über den Einsatz von Magie wacht. Noch bevor die Société ihre Agenten schickt, geschehen zwei eigenartige Dinge: Zum einen wacht Blanche am nächsten Morgen nicht mehr auf und zum anderen ist es wieder Sonntag. Zusammen mit den eintreffenden Agenten muss Ravi herausfinden, warum sich der Tag des Herrn stets wiederholt, denn ewig wird die Zeitschleife nicht halten. Und wenn man sich nicht vorher aus ihr befreit, dann löst man sich mit ihr auf.

 

Die Geschichte spielt am 26. September 1926 – an acht aufeinanderfolgenden Tagen. Wie der Titel schon andeutet, ist Montparnasse der zentrale Ort. Genauer gesagt: das Hotel und Bistro "Le Jardin". Ort und Zeit sind natürlich mit Bedacht gewählt. Der Herbst 1926 markiert einen Wendepunkt zwischen den Weltkriegen. Er ist eine Art Abschluss des Höhepunkts der Goldenen Zwanziger bzw. Roaring Twenties. In jener Zeit schien alles möglich, besonders in Kunst und Kultur wurden Glamour und Freizügigkeit ausgemessen, mit allen Licht- und Schattenseiten. Es dämmerte die Weltwirtschaftskrise von 1929, die jener Freizügigkeit ein jähes Ende setzte. Die Kreuzung des Boulevard du Montparnasse, die Carrefour Vavin, liegt nun mitten im Künstler- und Bohemeviertel des damaligen Paris, der Stadt des Lichts und der Liebe.

Der Leser sollte nun keinen historischen Roman erwarten – das Setting wird nur relativ schwach ausgeführt und ist auch nur andeutungsweise ein Milieu – die meisten Figuren könnten genauso aus der Gegenwart stammen. Das stört allerdings keineswegs. Das Setting wird vielmehr zur atmosphärischen Untermalung verwendet. Es atmet das melancholische Ende einer magischen Zeit.

Die phantastischen Elemente sind nicht leicht treffend zu beschreiben. Der Roman strotzt streng genommen vor ihnen: Da ist zunächst die zentrale Plot-Prämisse des sich wiederholenden Tags, dann sind da zahlreiche Magier, von denen einige keine Menschen sind, und schließlich zaubern sie auch gelegentlich. Konkret fällt die Magie allerdings kaum auf – es ist halt stets Sonntag der 26., die Fabelwesen geben sich mehr oder minder erfolgreich für Menschen aus und die Magie wird vor allem durch Symbolhandlungen gewirkt – etwa dem Essen eines Apfels. Das darf man nicht falsch verstehen: In jedem Kapitel geschehen Wunder, die weit jenseits des rationalen Verständnisses liegen – auf der konkreten Handlungsebene werden sie nur kaum bemerkt. Die Motive entstammen in erster Linie der christlichen Mystik, auch wenn sie von den Figuren gerissen verschleiert werden. Man könnte die eigenwillige Mischung als caillois'sche Phantastik aus der Sicht der phantastischen Wesen beschreiben. Damit erinnert die Grundsituation ein wenig an der aus dem Rollenspiel Mage: The Ascension.

Die Anzahl der Figuren ist recht hoch und es ist bei einigen von ihnen schwer zwischen Haupt- und Nebenfiguren zu trennen. Klare Hauptfiguren sind Ravi, der stets gelassene, charmante, aber etwas unterkühlte Magier, der sich als Bühnenzauberer ausgibt, der joviale Engländer Barneby, der zwar einen guten Draht zum Direktorat der Société hat, gleichzeitig aber auch seine eigenen Interessen verfolgt, Justine, Kellnerin und Zimmermädchen im Jardin, die mit aller Macht versucht mit der relativen Sicherheit des Jardin zufrieden zu sein, weil sie weitere Enttäuschungen fürchtet, und der junge Romancier Gaspard, der in Paris den von ihm verehrten Hemingway treffen will, da er hofft, durch ein Gespräch mit ihm ein besserer Schriftsteller zu werden.

Etwas unklarer ist die Angelegenheit bei Alphonse und Esmée, dem unglücklichen Ehepaar, das das Jardin führt, und Ravis dauerschlafende Assistentin Blanche, die auf mysteriöse Art weiterhin Einfluss nimmt, denn diese drei Figuren sind wie die vier zuvor Genannten Perspektivfiguren. Daneben gibt es noch weitere wie die exotische Magierin Céleste, den Engel Orlando und seinen grotesken Diener Chloderic.

Bei der Fülle der Figuren können sie selbstverständlich nicht besonders detailliert entwickelt werden; sie scheinen bei aller Exzentrik jedoch glaubwürdig vielschichtig (im Rahmen der Kürze) zu sein. Es überrascht ebenso wenig, dass sie sich nur wenig weiterentwickeln – wer am Ende noch lebt, macht eine sprunghafte Veränderung durch.

 

Auch der Plot ist nicht leicht zu beschreiben. Ich will mit den Spannungsquellen anfangen. Da sind zunächst die vielen Rätsel: Warum wiederholt sich der Sonntag, was ist mit Blanche, was mit Barneby, Céleste, Ravi? Im Laufe der Geschichte häufen sich die Rätsel, bei denen der Leser allerdings kaum mitraten kann. Dann gibt es die zahllosen verholenen Wunder und die magische Stimmung des Settings. Es gibt ein bisschen Romantik, ein bisschen Action (inklusive Schrotflinte) und einige humorige Stellen. Plaschka gelingt das Meisterstück, diese recht unterschiedlichen Spannungsquellen stimmig zu verknüpfen, doch wie der Plot nun zu betiteln ist, wird dadurch kaum klarer.

Wie schon im früheren Roman Fairwater. Oder: Die Spiegel des Herrn Bartholomew setzt Plaschka wieder auf Intertextualität, hier jedoch weniger massiv. Die Intertextualität ist mal offensichtlich wie bei der Schönheit Blanche-Neige, die einen Apfel isst und in einen Koma-Schlaf fällt, und mal recht verborgen wie die Anspielung auf Karl Heinz Strobls Kurzgeschichte Das Grabmal auf dem Pére Lachaise; natürlich fehlen auch kleine Kopfnicker zu Ehren von Arthur Conan Doyle und vielen anderen Spiritisten nicht.

Einen kleinen Wermutstropfen will ich bezüglich des Plots aber noch hinzugeben: Nachträglich erweist sich eine der zentralen Fragen der Philosophie als wesentlicher Moment der Geschichte – leider bleibt es aber eine bloße Motivation, quasi ein Aufhänger, der nicht weiter erkundet wird. Hier hat Plaschka meines Erachtens eine große Chance verstreichen lassen – das macht die Geschichte nicht schlecht, sie ist und bleibt sehr schön, aber das gewisse Etwas bleibt aus.

Der Plotfluss ist anfangs gemessen, nimmt aber langsam an Fahrt auf; als rasant kann man ihn aber nie beschreiben.

 

Die Schwierigkeiten des Plots setzen sich bei der Erzähltechnik fort. Die Erzählsituation ist noch recht eindeutig: Das Geschehen wird abwechselnd von sieben Ich-Erzählern (Blanche, Ravi, Barneby, Justine, Gaspard, Alphonse und Esmée) geschildert. Doch wie viele Handlungsstränge gibt es? Ich lege mich etwas willkürlich auf vier Hauptstränge und ein paar Nebenstränge fest. Als Hauptstränge will ich das Rätsel um den sich wiederholenden Tag, Ravis Differenzen mit dem Direktorat, Barnebys Agenda und die Romanze zwischen Justine und Gaspard fassen. Die Stränge werden dabei zum Teil episodisch, zum Teil dramatisch entwickelt. Wie bei Rätselplots naheliegend ist der Handlungsaufbau im Wesentlichen regressiv, obwohl es viele progressive Momente gibt. Man sieht, Plaschka hat seine Geschichte sorgfältig durchkomponiert, auch wenn er für meinen Geschmack bisweilen zu sehr auf den Effekt schreibt.

Der Stil unterscheidet sich von Figur zu Figur, ist im Kern aber immer etwas umgangssprachlich, so, als ob der Erzähler tatsächlich erzählen würde.

 

Fazit:

Nachdem der Bühnenzauberer Ravi echte Magie anwenden musste, um sich und seine Assistentin Blanche aus einer Todesfalle zu retten, droht das Direktorat der Société Silencieuse Ravi Schwierigkeiten zu bereiten. Doch noch bevor dessen Agenten eintreffen, beginnt eine mächtige Magie zu wirken – der Sonntag beginnt immer wieder von Neuem. Gemeinsam muss dieses Rätsel gelöst werden, die meisten Akteure haben allerdings ihre eigenen Ziele. Mit Die Magier von Montparnasse hat Oliver Plaschka einen komplexen, stringent durchgeformten Roman vorgelegt, über dem sich vor allem eines sagen lässt: Er entzieht sich den gängigen Mustern und damit Erwartungshaltungen. Dazu setzt der Autor in erster Linie auf eine stimmig verknüpfte Mischung aus Rätseln, Wundern, Romantik und der Melancholie des Paris' im Herbst der Goldenen Zwanziger. Ich für meinen Teil warte nicht zuletzt aufgrund dieses Romans mit gesteigertem Interesse auf Plaschkas nächstes Projekt.

 

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Oje, das hat nicht geklappt, Elfenwerk! 20240427030944c3004202
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Roman:

Titel: Die Magier von Montparnasse

Reihe: -

Original: -

Autor: Oliver Plaschka

Übersetzer: -

Verlag: Klett-Cotta (März 2010)

Seiten: 428 - Gebunden

Titelbild: Isabelle Hirtz

ISBN-13: 978-3-608-93874-6

Erhältlich bei: Amazon


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Erstellt: 25.04.2010, zuletzt aktualisiert: 25.03.2024 16:30, 10370