Druckversion: Die Thor-Brücke (Sherlock Holmes 39)

Die Thor-Brücke

Reihe: Sherlock Holmes 39

Hörspiel

Rezension von Oliver Kotowski

 

Rezension:

Im Zug weckt Meisterdetektiv Sherlock Holmes seinen wackeren Gefährten Dr. Watson. Es war ein anstrengender Tag – der seltsame Auftritt des Auftraggebers, ja der noch seltsamere Auftritt seines Butlers kurz zuvor, die Untersuchung des Tatorts, die Befragungen der Zeugen, die eindeutig erscheinenden Fakten und Holmes, der zunächst seine Bedenken hatte, dann aber triumphierend behauptete den Fall gelöst zu haben, während Watson noch immer keinen Schimmer hatte. Doch wie war es dazu gekommen? Am selben Morgen hatte Holmes sich noch gelangweilt; glücklicherweise riss ihn ein Brief aus der Herbstagonie: Mr Gibson bat darin, die Unschuld der Gouvernante Miss Dunbar am Tod seiner Frau Mrs Maria Gibson zu beweisen. Holmes selbst war der Fall schon aufgefallen: Alles wies eindeutig auf Miss Dunbar als Mörderin hin – es gab Hinweise auf ein Treffen zwischen den beiden und einen zum Mord passenden Revolver fand die Polizei im Kleiderschrank der vermeintlichen Mörderin. Indes verhält sich die junge Frau nicht den Fakten angemessen: Sie streitet zwar ab Mrs Gibson getötet zu haben, gibt aber zu, sie getroffen zu haben. Doch noch bevor Mr Gibson seinen angekündigten Besuch bei Holmes macht, um den Auftrag abzusprechen, stürzt Bates, der Butler Gibsons, herein und mahnt Holmes, nicht auf Gibsons mitfühlendes Auftreten hereinzufallen – der Mann sei absolut hartherzig und habe seine Frau grausam behandelt.

 

Wie die meisten Folgen der Sherlock Holmes-Reihe von Maritim handelt es sich bei Die Thor-Brücke um einen Krimi, der das Hohelied der logischen Deduktion singt: Es geht nicht darum, dass der Hörer miträtselt (obwohl die gebotenen Rätsel durchaus spannend sind), er soll über Holmes Analysefähigkeit staunen, mit deren Hilfe er noch aus kleinsten Details die perfidesten Pläne rekonstruieren kann. Dieses Mal scheint der Fall ganz einfach zu sein: Mr Gibson ist der reichste Mann der Welt – mit einigen Goldminen und harschen Geschäftsmethoden hat er sich seinen Platz an der Spitze gesichert. Aus zunächst unbekannten Gründen lebt der Amerikaner jedoch nicht in seiner Heimat, sondern siedelte mit seiner Familie nach London über. Bald kristallisiert sich eine seltsame Konstellation heraus: Offenbar besteht irgendeine Beziehung zwischen Mr Gibson und Miss Dunbar, während die Gefühle Mr Gibsons gegenüber seiner Frau erkalteten; die wiederum lastete den Umstand Miss Dunbar an. Nun weisen alle Indizien auf Miss Dunbar, doch die verhält sich so seltsam – weder streitet sie alles ab, was sie als eiskalte Mörderin oder Unschuldige tun sollte, noch gibt sie alles zu, was sie tun sollte, wenn die Variante Mr Gibsons stimmen sollte und Miss. Dunbar in Notwehr handelte. Das wäre eigentlich eine sehr passende Variante, denn Mrs Gibson hatte Miss Dunbar anscheinend verabscheut – doch ist Mrs Gibson tot und Miss Dunbar streitet Notwehr ebenfalls ab. Wenn es Mr Dunbar war, der offenkundig auch ein Motiv hat, warum heuert er dann Holmes an? Ein verzwickter Fall.

Doch das Studio Maritim verlässt sich nicht allein auf die Spannungsquellen Rätsel und Staunen, man greift auch auf wohldosierten Humor zurück: Holmes spottet gerne über den schwerfälligen und unaufmerksamen Watson, während dieser mit Frotzeleien auf Holmes eitle Geheimniskrämerei reagiert.

Insgesamt bin ich mit dem Inhalt von Die Thor-Brücke nur begrenzt zufrieden – die Geschichte scheint mir ein wenig zu lang. Doch ich denke, das ist weniger ein Problem der Umsetzung, als viel mehr ein Problem der Vorlage. Ich wüsste nicht, wo wesentlich hätte gekürzt werden können, außer bei den Spötteleien der Protagonisten, aber diese angenehmen Auflockerungen will man sicher nicht missen. Das macht das Hörspiel keineswegs zu einem schwachen oder gar schlechten, es ist nur in puncto Intensität bloß anständig.

 

Die Anzahl der Sprecher ist wiederum für eine Geschichte dieser Länge eher gering – es sind gerade einmal sieben. Die beiden Hauptfiguren werden natürlich von ihren Stammsprechern interpretiert: Christian Rode gibt den Sherlock Holmes und Peter Groeger Dr. Watson. Die beiden sind äußerst erfahrene Hörspielveteranen und so gibt es auch an ihren Parts nichts zu mäkeln.

Die fünf 'Gastsprecher' (die meisten hatten schon Auftritte in der Reihe wie etwa Sabine Bohlmann) haben alle schon an einigen Hörspielen, vor allem Produktionen aus dem Haus Maritim, mitgewirkt. Die Rollen sind etwa gleichwichtig, sieht man von Maria Gibson, der Toten, ab, ohne die es keinen Fall gäbe, aber da sie nur in der Erinnerung der Zeugen zu Wort kommt und nicht direkt mit Holmes und Watson spricht, fällt ihre Sprechrolle etwas kleiner aus.

Michael Schernthaner (Neil Gibson) gehört – von den Fünfen – zu den unbekannteren Stimmen; mir ist er eigentlich nur aus Top Secret bekannt. Bei Michael Habeck (Bates) ist es diametral entgegengesetzt: Der Schauspieler (z. B. Nebenrollen in Der Name der Rose oder Bourne Identity) hat neben Maritim-Hörspielen auch Auftritte in Vampira oder Sieben Siegel, doch nichtsdestoweniger dürfte seine Stimme eher durch seine Tätigkeit als Synchronsprecher bekannt geworden sein – er synchronisierte Dick (aus Dick und Doof) oder Dobby (aus Harry Potter und die Kammer des Schreckens). Die übrigen Drei haben noch eine amüsante Verbindung – sie synchronisierten alle Figuren aus The Simpsons: Sabine Bohlmann (Lisa), Sandra Schwittau (Bart) und Gerhard Acktun (Mr. Smithers). Bohlmann spricht hier Grace Dunbar – mir scheint die Sprecherin von Pikachu aus Pokémon allerdings ein wenig zu kiebig zu klingen, um die ideale Besetzung einer wundervollen, äußerst einnehmenden jungen Dame zu sein. Schwittau spricht die Maria Gibson; sie wird den Hörern vielleicht als Shelly Marsh aus Southpark, als Synchronsprecherin für Hilary Swank oder Hörspielen wie Sacred – Der Schattenkrieger oder John Sinclair bekannt sein. Acktun interpretiert Sergeant Coventry. Ihn wird man vielleicht in einer Tatort-Folge oder den Film Das Boot gesehen haben. Alle Fünf machen ihre Sache sehr gut, da gibt es genauso wenig auszusetzen wie an den Leistungen der Stammsprecher.

 

Die Inszenierung ist wieder gemäßigt konservativ – zwar gibt es keinen Erzähler im engeren Sinne, doch Watson übernimmt weitgehend diese Funktion. Hinzukommt, dass Holmes ohnehin die Situation Watson bzw. dem Hörer erläutert. Die Geräusche werden üblicherweise eher zurückhaltend und untermalend eingesetzt, können aber auch mal für einen Augenblick für sich selbst stehen. Auch die zumeist verjazzte Musik wird eher zurückhaltend eingesetzt. Ein wenig ungewöhnlich ist der Einstieg in medias res – Holmes weckt Watson im Zug – und dann die lange, doppelt regressive Handlung – eine nette Abwechslung!

 

Fazit:

Mrs Gibson, die Frau des reichsten Mannes der Welt, wurde durch einen Schuss in den Kopf getötet und alle Indizien deuten auf die junge Miss Dunbar als Täterin; Holmes muss einmal mehr einen erstaunlichen Fall lösen. Die Thor-Brücke bietet sehr solide Krimi-Kost: Die Story behandelt wie üblich einen exzentrischen Fall, ist allerdings ein bisschen lang geraten, und die Inszenierung ist – vor allem dank der guten Sprecher – schön anzuhören.

 

Nach oben

Oje, das hat nicht geklappt, Elfenwerk! 20240427022858be2284f7

Hörspiel:

Die Thor-Brücke

Reihe: Sherlock Holmes 39

Vorlage: Sir Arthur Conan Doyle

Produzent: Studio Maritim

Regie: Studio Maritim

Label: Maritim

Erschienen: 2009

Umfang: 1 CD, ca. 73 min

ASIN: 3867141959

Erhältlich bei: Amazon

 

Sprecher (Auswahl):

Christian Rode

Peter Groeger

Michael Schernthaner

Michael Habeck

Sabine Bohlmann

Sandra Schwittau

Gerhard Acktun

 

Weitere Infos:

, zuletzt aktualisiert: 18.04.2024 19:24