Rezension von Ingo Gatzer
Rezension:
Bei lang laufenden Serien wie „Batman“ ist es gar nicht so einfach, interessante Geschichten zu erzählen, die Leser überraschen und dennoch in das weitgehend ausgestaltete Universum passen. Deswegen entstand das „Black Label“. Darunter sind eigenständige Storys zusammengefasst, die unabhängig von den Ereignissen in anderen Werken des Batman-Universums ablaufen, sodass Autoren hier mehr Freiheiten und Gelegenheitsleser leichtere Einstiegsmöglichkeiten haben. „Batman: Der Weiße Ritter“ von Sean Murphy ist eine dieser Black-Label-Storys, die in wahrhaft große Fußstapfen treten, denn diese sollen der Tradition von „Batman: The Killing Joke“ – wahrscheinlich eine der besten Batman-Geschichten aller Zeiten – verpflichtet sein.
Batmans Kämpfe gegen das Verbrechen in Gotham verursachen immer mehr Kollateralschäden. Bei den Aktionen des Dunklen Ritters gegen Superschurken werden nicht nur Gebäude, sondern auch Menschen in Mitleidenschaft gezogen. Die Kritiker des Mitternachtsdetektivs sehen sich bestätigt, als ausgerechnet Jack Napier alias Joker dieses schwierige Thema anprangert. Denn der ehemalige Clownprinz des Verbrechens scheint nach der Einnahme neuer Medikamente geläutert und will die Stadt als Gegenentwurf zu Batman – nämlich als Weißer Ritter – retten. Für Batmans Gefährten, die Polizei und die ganze Bevölkerung Gothams stehen schwere Entscheidungen und Zeiten an.
Verantwortlich für „Batman: Der Weiße Ritter“ – und zwar sowohl für die Story als auch für die Zeichnungen – ist Sean Murphy, der vor allem durch seine Arbeit an„American Vampire“ bekannt geworden ist. Als Prämisse stellt er das grundlegende Konzept „guter Batman gegen böser Joker“ vom Kopf auf die Füße. Das ist durchaus eine interessante Idee, die zwar nicht ganz neu ist – Batmankenner fühlen sich wahrscheinlich zumindest teilweise an „The Dark Knight Returns“ von Frank Miller erinnert – aber ausgetretene Pfade sehen sicherlich anders aus. Dieser ungewöhnliche Ansatz macht den Reiz von „Batman: Der Weiße Ritter“ aus. Sean Murphys daraus entspringende Story bietet dann auch einige actiongeladene Fights und spannende Verfolgungsjagden. Allerdings sorgen einige Makel dafür, dass es sich nicht um einen ganz großen Wurf handelt. So muss Murphy einige Figuren für eine halbwegs runde Story so weit verändern, dass sie kaum wiederzuerkennen sind. Das gilt vor allem für Batman, der in weiten Teilen der Geschichte nur als tumber, von seinen Emotionen gesteuerter Schläger auftritt. Hier wäre eine stärkere Ausdifferenzierung wünschenswert gewesen. Zudem geben sich die Charaktere in „Batman: Der weiße Ritter“ teilweise sehr geschwätzig. Statt dem Leser die Interpretation auf Basis der Ereignisse zu überlassen, sehen sich Napier&Co immer wieder bemüßigt, diese heraus zu posaunen. Auch das Ende wirkt nicht wirklich überzeugend oder auch nur plausibel.
Weil Sean Murphy nicht nur für die Geschichte, sondern auch für die Illustrationen verantwortlich ist, sind diese insgesamt sehr gut aufeinander abgestimmt. So bilden beide Elemente eine kohärentere Einheit als das bei vielen anderen Veröffentlichungen mit mehreren Urhebern der Fall ist. Zudem gelingen Murphy einige sehr ansprechende Panels, die fast schon ikonisch wirken – etwa als Jack Napier sich dazu entschließt, ein Weißer Ritter für Gotham zu werden. Zu Sean Murphys Stärken gehört auch die Bildkomposition. Dafür ist das Figurendesign nicht immer gelungen. So wirkt etwa Batgirl nicht wie eine Superheldin, sondern eher wie ein Mädchen. Die zeichnerische Entscheidung, Jack Napier, je nach geistlicher Verfassung, unvermittelt von einem Moment auf den anderen als perfekt geschminkten Joker darzustellen, ist mindestens fraglich. Hier wäre eine subtilere Veranschaulichung des mentalen Zustands wohl die bessere Wahl gewesen.
Fazit:
Sean Murphy verfolgt mit »Batman: Der Weiße Ritter« einen interessanten Ansatz, auch wenn insgesamt die Optik mehr als der Inhalt zu überzeugen vermag. Mehrere Schwächen und Ungereimtheiten verhindern, dass aus dem durchaus lesenswerten Werk ein Meilenstein wie »Batman: The Killing Joke« wird.
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