Black Swan (Kino)
 
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Black Swan (Kino)

Filmkritik von Torsten Scheib

 

 

Black Swan – oder die Schönheit der Zerstörung

 

Es ist Samstag. Die Zeit: 22:30 Uhr. Der Ort: Mein Stammkino. Hinter mir und meiner Begleitung haben es sich ein paar junge Mädchen bequem gemacht. Kaum älter als achtzehn. Zwischen dem Rasseln von Popcorntüten und dem unweigerlich daraufhin folgendem Knirschen, als der Inhalt ebenjenes Behältnisses genuss- und geräuschvoll zwischen den Zähnen zermalmt wird, überfällt mich ein »Na wartet«; just, als die Lichter gedimmt werden und sich der Vorhang teilt. Gefolgt von einem »Ihr werdet euer Blaues Wunder schon noch erleben.«

Denn Black Swan dürfte a) alles andere als leichte Samstagabendunterhaltung sein und b) erst recht kein reiner Ballettfilm. Nicht bei diesem Regisseur. Nicht bei Darren Aronofsky. Leicht verdaulicher Kintopp ist für diesen Mann nämlich ein Fremdwort. Was wohl auch der Grund sein dürfte, weshalb sein Bekanntheitsgrad auch nach über einer Dekade relativ überschaubar geblieben ist. An mangelndem Talent liegt es wohl kaum. Das ist nämlich ausgiebig vorhanden – wie auch der Mut, ausgetretene Pfade zu verlassen. Selbst wenn die Konsequenzen – für die Protagonisten, den Zuschauer und letztlich auch für Aronofsky – mitunter verwirrend, ja sogar verschreckend sein können. Dennoch gibt es einen »roten Faden«, der praktisch jeden seiner Werke durchzieht: Die Fragilität des Menschen. Physisch wie psychisch. »Schwäärre Kost« eben, wie sich einer Klitschko-Brüder im Werbefernsehen auszudrücken pflegte.

 

Pi aus dem Jahre 1998 läutete diese bemerkenswerte Karriere ein; ein Low-Budget-Schwarzweißfilm mit experimenteller Nuance, der dennoch (oder gerade deswegen?) gleichermaßen stringent wie fesselnd ist. Dreh- und Angelpunkt ist der brillante Mathematiker Maximillian Cohen (Sean Gullette), der in seiner eigenen, numerischen, Welt gefangen und gleichermaßen überzeugt wie besessen davon ist, dass sich praktisch alles mithilfe von Formeln erklären ließe. Synchron verfällt er indes in immer stärker werdende Formen von Paranoia, welche durch Außenstehende, die seine „Welt-Formel“ für ihre Zwecke verwenden wollen, zusätzliche Nahrung erhält.

 

Trotz der praktisch ausnahmslos positiven Kritiken für seinen Erstling, weigerte sich Aronowsky auch zwei Jahre später, dem Ruf des Kommerzes zu folgen. Auch wenn Requiem for a Dream prominente Gesichter vorzuweisen hatte (u.a. Jennifer Connelly und Jared Leto) – die geradezu schmerzhaft-nüchterne Studie über den Niedergang von vier Junkies war mindestens genau so weit vom Mainstream entfernt wie die Sonne zur Erde; brachte jedoch Ellen Burstyn eine Golden Globe- und Oscar-Nominierung ein. Aber dennoch: so beachtlich das düstere Requiem auch sein mag, danach wünscht man sich wohl nichts sehnlicher, als eine warme Dusche. Jeff Shannon, der unter anderem für Amazon rezensiert, bringt es noch treffender auf den Punkt: <quote>»Requiem for a Dream« ist ein beachtenswerter Film, aber ihn sich ein zweites Mal anzuschauen dürfte schon den Tatbestand des Masochismus erfüllen.</quote>

Uff.

 

Und just, als man dachte, dass Aronofsky nicht noch düsterer, noch experimenteller, noch nihilistischer drehen kann, kam The Fountain (2006) daher; gleichermaßen prominent besetzt (Hugh Jackman, Rachel Weisz, Donna Murphy – um nur einige zu nennen), mindestens genau so künstlerisch verspielt und wagemutig … aber alles andere als ein Erfolg. Nein, diesmal war es definitiv zuviel des Guten gewesen; verzettelte sich der Regisseur immer mehr in seine eigene Vision, die grenzübergreifend mit Wissenschaft und Esoterik jonglierte und deren Poren hundertprozentige Ambitionen ausschwitzten, unterm Strich allerdings – in meinen Augen zumindest – viel zu dick und ohne Kontrolle; ohne besagten „Roten Faden“ daherkam.

 

Umso erfreulicher die Rückbesinnung im Folgejahr: Mit dem superben The Wrestler knüpfte Aronowfsky an alte Stärken an; unmittelbar verbunden mit der Rückkehr in den Independent-/Low Budget-Bereich – was nicht als Negativ aufzufassen sei. Völlig gleich, ob diese »Zwangsdiät« nun selbst verordnet war oder nicht, sie sorgte dafür, dass sich der Regisseur (wieder) auf das Wesentliche konzentrieren und seinen ganz eigenen Vorstellungen nachgehen konnte; ohne Special-Effects, kitschigen Arthouse-Plänkelein oder ähnlichem Schmonzes. Gemeinsam mit seinem Hauptdarsteller, Mickey Rourke, der hier wohl die Rolle seines Lebens spielt, schildert Aronofsky präzise und nüchtern den gleichermaßen selbst gewählten wie unaufhaltsamen Niedergang des in die Jahre gekommen Wrestlers Robin Ramzinski. Trotz gelegentlich aufblitzender Hoffnungsschimmer wie der aufblühenden Romanze mit der Stripperin Cassidy (Marisa Tomei) und dem Versuch, bei der eigenen Tochter (Evan Rachel Wood) wieder einen Fuß in die Tür zu kriegen, bleibt Ramzinski ein Gefangener seiner eigenen Welt; ein Häftling seiner Leidenschaft, seines Talents und den dadurch resultierenden Konsequenzen.

Verdammt große Kinokunst; ohne Kitsch und Pathos, dafür aber mit einer geradezu erdrückenden Narrativität.

 

Was mich zu »Black Swan« führt. Und zu den Popcornsüchtigen jungen Damen hinter mir. Denen spätestens ab dem zweiten Akt das Kichern im Halse stecken blieb (von Popcorn hab ich nichts bemerkt). Mir allerdings auch – aus mehreren Gründen. Dabei suggeriert schon der Einstieg des Films, eine Traumsequenz, dass dies weder ein locker-flockiger Streifen über die Ballettbranche sein wird, noch mit einem Happy End gerechnet werden sollte. Spätestens nach wenigen Minuten wird unverkennbar, dass sich Aronofsky vorwiegend an seinen ersten, und vielleicht besten Film orientiert. Zwar ist »Black Swan« nicht in Schwarzweiß gedreht worden, der ausschließliche Einsatz von Handkameras – die erfreulicherweise keine Seekrankheit hervorrufen, sondern vielmehr den Mikrokosmos der Protagonistin unterstreichen – zeigt jedoch offenkundig, dass sich der Regisseur wesentlich wohler fühlt, wenn seine Produktionen überschaubar, ja geradezu intim ausfallen. Dann läuft er nämlich auch zur Höchstform auf.

 

Eine Eigenschaft, welche man auch Natalie Portman eingestehen muss. Wer die gebürtige Israelin bislang als hübsches Gesicht und nicht viel mehr klassifiziert hat, der sollte dies nach »Black Swan« überdenken. Denn hier macht sie es ihrem Regisseur gleich. Die (bislang) wohl beste Rolle der 29-jährigen, seitdem sie Jean Reno in Léon – Der Profi 1994 die Show gestohlen hat. Was uns zurück zum Film führt – und zwangsläufig zu Portmans Alter Ego, Nina Sayers. Diese lebt, zusammen mit ihrer Mutter Erica (Barbara Hershey) in einem New Yorker Appartement. Alles wirkt friedlich, harmonisch, vielleicht sogar eine Spur zu bieder – doch spätestens wenn man die unschönen Resultate von Ninas hartem Streben nach Erfolg und Anerkennung zu HÖREN bekommt; gefolgt von den ersten Dialogen zwischen Mutter und Tochter, dürfte eines klar sein: nämlich das dieser Schein trügt. Womöglich mehr, als man ahnen kann.

Der absolute Gegenpart lässt nicht lange auf sich warten: die New York City Ballet Company. Nein, dies ist kein schöner Ort. Jede Vorstellung, die man zuvor vom Ballett gehabt haben mag (mich eingeschlossen) fällt mindestens genau so schnell zusammen wie ein Kartenhaus inmitten eines Unwetters. Hier dominieren Oberflächlichkeiten, Arroganz und knallhartes Ellbogendenken. Fressen und gefressen werden. Angetrieben von dem nur nach außen hin kultiviert und zuvorkommend wirkenden Ballettdirektor Thomas Leroy (Vincent Cassel). In Wahrheit ist der Mann gnadenlos; lässt er seine Mädchen bis zur physischen – und psychischen – Erschöpfung arbeiten. Nicht selten sogar darüber hinaus. Und wer nicht (mehr) in seine, nach Perfektion sinnenden, Weltanschauungen passt, der wird entsorgt. Ein Schicksal, welches auch Ninas Vorgängerin Beth MacIntyre (Winona Ryder) widerfahren ist?

Für Nina sind derlei Überlegungen, wenn überhaupt, beiläufige Randnotizen. Schließlich ist SIE diejenige, welche für die Titel- und Doppelrolle in der Aufführung von Tschaikowskys Schwanensee auserkoren wurde. SIE. Und NIEMAND sonst.

Wäre da nur nicht die frech-taffe Lily (Mila Kunis). Schon ihre ganze Persönlichkeit stellt das blanke Gegenteil von Nina dar. Und im Vergleich zu ihr scheint ihr das Tanzen alles andere als schwer zu fallen. Kein Wunder also, dass Nina besorgt ist. Immerhin ist Lily die einzige, die ihre Rolle streitig machen kann.

Doch diese Episode ist nur der Beginn einer zunächst verhaltenen, dann aber immer rascher verlaufenden Abwärtsspirale. Der konstante Leistungsdruck, Leroys unerbittliche Forderungen, ihre Mutter – letztlich verschmelzen sie zu einem dunklen Gebräu aus Furcht, Paranoia und verstörenden Halluzinationen …

 

Ich muss eingestehen: Falls überhaupt, so hatte ich Aronofsky, wenn überhaupt, einen dunklen Psychothriller eingestanden. Letztlich kratzt »Black Swan« zwar auch an dieser Spielart, ist aber dank des raffinierten und meisterhaft konsequenten Jekyll und Hyde-Motivs ganz klar ein Horrorfilm. Mit menschlichen Monstern.

 

Oh ja, die Dualität. Gut und Böse, schwarz und weiß. Ein rundweg klassischer Ansatz. Und Aronofsky macht daraus auch keinen Hehl. Im Gegenteil, er suhlt sich förmlich darin. Doch was bei weniger talentierten Regisseuren zu einer schmerzhaften Bauchlandung geführt hätte, erhält in »Black Swan« einen meisterhaften Anstrich. Sei es nun Nina und ihre immer mehr zum Vorschein kommende gespaltene Persönlichkeit, die nur nach außen hin führsorgende Mutter, der trügerische Schein des Ballettdirektors und nicht zuletzt Odette und Odile, die beiden verzauberten Prinzessinnen des »Schwanensees«; vereint in jener Tänzerin, die sie verkörpern soll – »Black Swan« IST im Grunde ein einziger, unversöhnlicher Widerstreit. Dadurch erhält der Film eine Kraft und Wirkung, die in Produktionen der letzten Zeit äußerst rar gesät war; komplettiert durch eine grandiose Hauptdarstellerin, welche zunächst als zerbrechlicher Hybrid in Erscheinung tritt, ehe die dunklen Seiten in ihr immer stärker überhand nehmen. Glaubhaft und zutiefst erschreckend, gleichzeitig jedoch in zumeist wunderbar-originellen Aufnahmen eingefangen, die selbst Altmeister Hitchcock kaum besser hätte inszenieren können.

Zugleich huldigt Aronofsky dabei nicht nur dem legendären Thrilleraltmeister, sondern zollt unter anderem Wegbereitern wie Brian de Palma oder Michael Powell Tribut. Und nicht nur denen. Wer sich bei der Anonymität und zugleich Ausweglosigkeit jener immer kühler wirkenden Räumlichkeiten und Korridore im Appartement von Mutter und Tochter unweigerlich an Polanskis Rosemarys Baby (1968) erinnert fühlt, der irrt nicht.

Womöglich leben die Sayers-Frauen ja sogar im Bramford House; wer weiß? Und sogar für ansatzweisen Body-Horror der Marke Cronenberg findet sich ein Plätzchen. Nicht ganz so blutig, aber dennoch verstörend genug, um als kleine Schwester von Rabid (1977) oder Naked Lunch (1991) durchzugehen. Allerdings kopiert Aronowfsky weder schamlos, noch sind besagte Sequenzen pure Selbstinszenierung. „Black Swan“ ist zu hundert Prozent das Werk des Ausnahmeregisseurs Darren S. Aronofsky und einer überragenden Hauptdarstellerin. Und sollte einer von beiden in diesem Jahr nicht mit Oscarehren bedacht werden, so wäre das mindestens genau so tragisch-dual.

 

Apropos: Ich verließ den Kinosaal zufrieden (und beeindruckt). Die jungen Mädels ziemlich blass im Gesicht. Von Antithesen möchte ich aber trotzdem nichts hören.

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Oje, das hat nicht geklappt, Elfenwerk! 202404241218173a505faa
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Kino:

Black Swan

USA 2010

Regisseur: Darren Aronofsky

Musik: Clint Mansell

Laufzeit: 108 Minuten

Fox Searchlight Pictures

 

Darsteller:

Natalie Portman

Mila Kunis

Vincent Cassel

Barbara Hershey

Winona Ryder

Benjamin Millepied

Ksenia Solo

Kristina Anapau

Janet Montgomery

Sebastian Stan

Toby Hemingway

Sergio Torrado

Mark Margolis

Tina Sloan


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Erstellt: 12.02.2011, zuletzt aktualisiert: 02.03.2024 16:47, 11543