Blankets
 
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Blankets von Craig Thompson

Rezension von Christian Endres

 

Der junge Craig wächst als Außenseiter auf, mit strengen Eltern, festen Wurzeln in der religiösen Gemeinschaft seiner kleinen Heimatstadt und einem allgegenwärtigen Zwiespalt zwischen dem, was er möchte, und dem, was Gott und alle anderen – und vielleicht auch er selbst – von ihm zu erwarten scheinen. Als er im Highschool-Abschlussjahr im Winterlager die schöne Raina kennen lernt, ändert sich sein Leben schlagartig: Die junge, frische und für ihn erste Liebe ist zusammen mit der Zeit, die er und Raina bald schon in Rainas eigenwilliger, von einer drohenden Scheidung aufgeschreckten Familie verbringen, eine wichtige, wenn auch nicht ganz schmerzfreie Erfahrung für Craig und mitsamt all ihrer Konsequenzen ein bedeutungsvoller Indikator auf dem Weg zu seiner Selbstfindung. Denn wie so viele andere junge Menschen auch, muss Craig sich langsam aber sicher entscheiden, wo sein Platz im Leben sein soll, und kann sich trotz all der Erinnerungen an seine Kindheit, die so unverbraucht, aber bei Leibe nicht immer so rein sind wie frisch gefallener Schnee, und aller Pläne und Wünsche, nicht ewig vor dem Erwachsenwerden oder dem Schmerz der Erkenntnis und Desillusionierung verstecken, der mit diesem Schritt oftmals einher geht.

 

Craig Thompson verarbeitet und visualisiert mit diesem 580-Seiten-»Monster« seine Kindheit, seine Teenager-Zeit und die ersten Jahre seines Lebens als Erwachsener – mit allen menschlichen und fröhlichen wie traurigen Zwischentönen. Dennoch ist »Blankets« mehr als ein sehr persönliches, rein autiobiographisches Werk, mehr als das Tagebuch einer Jugend oder die Memoiren eines Heranwachsenden. Vor allem ist es nämlich der mit viel Feingefühl und erzählerischem Geschick aufbereitete Werdegang eines nachdenklichen jungen Mannes, wie es ihn überall geben könnte und zweifelsfrei in ähnlicher Form auch immer wieder gibt – also die symbolische Biographie einer ganzen Generation. Wünsche, Sehnsüchte, Träume, Verpflichtungen, Zweifel, Rückschläge, Hoffnungen, aber auch die Konfrontation mit der Versuchung, der Begierde und der Frage nach dem, was richtig und was falsch ist – wer kennt das nicht in jenem Alter?

 

»Blankets« ist natürlich die Geschichte von und über einen Jungen namens Craig und seine Erfahrungen und Erlebnisse auf dem Weg zum Mannesalter, zugleich aber eben auch die Geschichte einer ganzen Generation junger Menschen und deren Kampf um das bzw. mit dem Erwachsenwerden. Darüber hinaus gewinnt die Darstellung dieses Reifeprozesses, von Thompson scharf mit allen Sinnen beobachtet und einmalig auf Papier festgehalten, stets dann zusätzlich an Schärfe, wenn Thompson subtil das Schicksal der bereits Erwachsenen am Rand von Craigs Geschichte abhandelt – und zeigt, dass auch sie ihre ganz persönlichen Höllen und Qualen zu erdulden haben ...

 

Die Impressionen auf dem Weg vom Teenager zum Mann hat Thompson in ebenso eindrucks- wie stimmungsvollen Schwarzweißbildern festgehalten, die durchaus auch mal über die Grenze der Realität treten oder ein Bibelzitat bildlich verarbeiten. Thompsons ganz eigener, schwungvoller Strich gibt seinem Comic eine weitere persönliche Note und sorgt gemeinsam mit der liebevoll ausgearbeiteten Story dafür, dass man von der Atmosphäre dieses Werks förmlich aufgesogen wird und gar nicht merkt, wie beim Lesen die Zeit vergeht, bis man des Nachts irgendwann auf den Wecker schaut und schockiert feststellt, dass es bereits 2 Uhr ist und unter dem gierigen Blick 200 Seiten hinweg geschmolzen sind – ein größeres Kompliment gibt es für einen Graphic Novel (oder jede andere Form von unterhaltender Literatur) wohl nicht.

 

»Blankets« war eine der letzten Veröffentlichungen von Speed, ehe dieser ambitionierte Comic-Verlag seine Tore schließen musste. Hier zeigte man jedoch noch einmal, was man alles auf dem Kasten hatte: Thompsons Graphic Novel ist ein wirklich dicker Brocken, der trotz seines voluminösen Erscheinungsbildes bestens verarbeitet worden ist und großen Lesespaß garantiert. Dazu kommen eine schöne Klappenbroschur, ein wundervolles Umschlagsmotiv und ein prächtiges Lettering. Das alles macht dieses verlegerische »Vermächtnis« zu einem bibliophilen Schmuckstück, das man immer wieder gerne in die Hand nimmt und durchblättert, während es Dank eines schönen Buchrückens auch im Regal erstklassig ausschaut.

 

Mit »Blankets« ist Craig Thompson 2003 der ganz große Wurf gelungen, wie man so schön sagt. Überschüttet mit allen wichtigen Preisen vom Harvey bis zum Eisner und so viel wohlwollender Kritik, dass es fast schon unheimlich war, gilt diese autobiographische Comic-Erzählung zwischen Tradition und Moderne völlig zu Recht als einer der wichtigsten und besten Graphic Novels der letzten Jahre.

 

Dieser Comic ist perfekt: Egal ob bittersüße Story oder surreal-realistisches Artwork, egal ob bezauberndes Covermotiv oder schmuckes Lettering: hier stimmt einfach alles. Thompsons »Blankets« ist ein illustrierter Roman der Extraklasse, ein einfühlsames, emotionales Portrait des Erwachsenwerdens und Erwachsenseins, aber eben auch die mit unglaublich viel Gefühl erzählte Geschichte eines jungen Menschen, der seinen Platz im Leben sucht. Kurzum: ein brillanter Graphic Novel zum Verlieben – und ein echtes Meisterwerk.

 

Oje, das hat nicht geklappt, Elfenwerk! 20240425151134633e2809
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Comic:

Blankets

Autor und Zeichner:

Craig Thompson

Speed, 2004/2005 (NA)

Paperback, 582 Seiten

ISBN-Code: 3936068968

Erhältlich bei Amazon


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Erstellt: 26.06.2007, zuletzt aktualisiert: 31.12.2023 11:30, 4290