Clive Barkers Ein Höllischer Gast
 
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Clive Barkers Ein Höllischer Gast

Rezension von Christian Endres

 

Als ich vor kurzem die Comic-Version von Clive Barkers »Der Dieb der Zeit« (»The Thief of Always«) las, die dieser Tage als Hardcover-Sammelband bei Ehapa erschienen ist, erinnerte ich mich an eine weitere Comic-Adaption einer Barker-Geschichte und dachte mir, dass sie – nicht zuletzt, da es in ihr um einen verzweifelten Dämon, Gewürzgurken und einen Helden des Gleichmuts und der Gelassenheit namens Jack geht – genau das Richtige wäre, um sie hier bei Gelegenheit noch einmal vorzustellen, auch wenn sie schon ein paar Tage auf dem krummen Dämonenbuckel hat ...

 

Man muss zunächst wohl etwas weiter ausholen, um dem Comicfan zu verdeutlichen, was für einen Stellenwert Clive Barker als zeitgenössischer Horror-Autor genießt. 1952 in Liverpool geboren, schwang sich Barker mit der Veröffentlichung seines ersten Bandes der am Ende sechs Bände umfassenden Bücher des Blutes Mitte der 80er mit einem Paukenschlag zum gefeierten Superstar moderner Horrorliteratur auf, dem britischen Pendant zu Stephen King oder Peter Straub. Doch Barkers Talent und Ambitionen beschränkten sich schnell schon nicht mehr einzig und allein nur auf das Verfassen von Kurzgeschichten, Novellen und Romanen: Bald schon saß er im Regiestuhl und dirigierte die Darsteller und Crew seiner Hellraiser-Verfilmung über das Set, ehe er auch selbst Feder, Bleistift und Pinsel schwang und Umschläge oder ganze Illustrationen für seine Geschichten anfertigte. Und vor kurzem erst, nachdem er über 500 Bilder gemalt hatte, schuf er mit Abarat eine Fantasy-Welt voller Magie und Potential, die uns Dank Barkers Visionen und einer Zusammenarbeit mit den Disney Studios in den nächsten paar Jahren noch das ein oder andere Mal in diversen Medien der Unterhaltungsbranche beschäftigen dürfte ...

 

So oder so ist Clive Barker schon heute ein omnipräsent vielseitiger Horror-Artist, der sich trotz seiner Vielfältigkeit allerdings nicht dagegen sträubt, dass sich andere Künstler seiner Geschichten und Figuren annehmen und sie adaptieren. Eine dieser Stories, die eine Adaption durch zwei bekannte/anerkannte Künstler aus einem anderen Medium erfahren hat, ist Das Geyatter und Jack, aus dem in der deutschen Ausgabe des Comics von Steve Niles und John Bolton Ein Höllischer Gast wurde.

 

Das Geyatter und Jack (The Yattering and Jack) [engl. to yatter = schnattern, quasseln] nun ist eines der frühen Highlights aus Barkers Büchern des Blutes, eine bitterböse, streckenweise arg sarkastische Geschichte über einen niederen Dämon aus der Hölle, der von den Mächten der Finsternis den Auftrag bekommen hat, die Seele von Gurken-Exporteur Jack Polo in den Schoß von Belzebub persönlich zu bringen, da er nach einem unaufgelösten Pakt mit Jacks Mutter Anrecht auf Polos Seele zu haben beharrt.

 

Dabei muss das Geyatter sich allerdings an die goldenen Regel halten, dass es sich seinem Opfer weder explizit zeigen, noch es berühren oder ihm direkt Schaden zufügen darf. Kein Problem, mag man nun meinen, wenn man die Dämonenschule besucht und auch sonst einige schwefelige Tricks und Teufeleien aus dem Fegefeuer auf Lager hat, doch ist Jack Polo, zur großen Verzweiflung des kleinen Höllendieners, trotz aller Softi-Allüren ein eisenharter Brocken an Gleichmut - und nur unglaublich schwer in den Wahnsinn zu treiben.

 

So gehen die Monate ins Land, Polo verliert seine Frau, nachdem sie »vor seinen Augen im Bad mit einem anderen vögelt«, um mal Barkers Originalkurzgeschichte zu zitieren, und obwohl das Geyatter drei Katzen abmurkst und auch sonst alles tut, um Jack zu entnerven, schafft es einfach keinen Stich. Erst an Weihnachten, als Polos Töchter zu Besuch kommen, sieht der verzweifelte Dämon, der sich mittlerweile schon die Auslöschung wünscht und nur noch raus aus Polos Haushalt will, vom Höllenfürsten aber nicht freigegeben wird, seine Chance gekommen, den lästig gleichmütigen Gurkenhändler aus der Reserve zu locken: Was drei tote Katzen und etliche böse Streiche nicht geschafft haben, sollen die weniger resistenten Nerven seiner Töchter und die Wiederauferstehung eines geflügelten Weihnachtsbratens bringen. Am Ende jedoch ist es nicht Jack Polo, der die Nerven verliert und einen folgeschweren Fehler begeht, sondern der Dämon ...

 

Steve Niles hat eine unglaublich werkgetreue Adaption von Barkers Kurzgeschichte geschaffen, die sich lediglich in einem Punkt deutlich unterscheidet: Das Geyatter heißt im Comic Cuazzel. Das war’s dann im Großen und Ganzen aber auch schon an Veränderungen, sieht man von dem ein oder anderen Dialog oder dem ein oder anderen Timing einer Szene mal großzügig ab, wo Niles vielleicht erwas länger bei einer Einstellung verweilt, obwohl Barker ihr im Original nur ein oder zwei Sätze gegeben hat. Puristen kommen hier dennoch voll auf ihre Kosten und können sich über umfassende Werktreue freuen.

 

Was sowohl Barkers Kurzgeschichte, als auch Niles vorliegende Adaption auszeichnet und hervorhebt, ist der Umstand, dass man sich als Leser nicht für eine Seite entscheiden kann: Anfangs sympathisiert man klar mit dem Dämon, da einem Menschen wie Jack Polo einfach tierisch auf den Zeiger gehen und man sich schier wünscht, dass ihre Seele von den Klauen der Finsternis zerrissen wird. Schnell merkt man aber, mit welcher Schläue und Selbstdisziplin Polo gegen die ständigen Attacken und blutigen Nadelstiche des Dämons, aber auch des Lebens vorgeht, und mit welcher selbstauferlegter Gelassenheit er sein Leben zur Ruhe zwingt. Das Bild kippt also definitiv, und plötzlich ist man hin und her gerissen, welchem der beiden ungleichen Kontrahenten man die Daumen drückt und wer denn nun als Sieger aus der ungleichen Konfrontation hervorgehen soll ...

 

Das Artwork von John Bolton überzeugt auf ganzer Linie: Mal wirkt es wie annähernd photorealistische und entsprechend aufwendige Portraitmalerei, mal übertrieben üppig, mal ausnahmslos surreal oder wie ein verzerrtes Graffiti-Wandbildnis, wenn eine dämonische Fratze gefragt ist – ganz wie es die Story-Achterbahn eben gerade erfordert. Die außergewöhnliche Farbgebung, die ebenfalls unentschlossen-abwechslungsreich zwischen pastellfarbenen und schmutzigen bis erdigen Tönen schwankt, tut dann ihr übriges dazu, Boltons kleinen »Panelgemälden« den permanenten Hauch des Exklusiven zu geben, sodass man fast dahingehend verleitet ist, zu denken, Ausnahmekünstler Bolton habe einen Faustischen Pakt geschlossen, um so verdammt gut zeichnen zu können ...

 

Schön auch, dass sich ab und an eine kleine Überraschung in den einzelnen Panels findet: So wird die erzählerische Sequenz, in welcher Polos Gleichmut (insbesondere gegenüber der Untreue seiner Ehefrau) verdeutlicht werden soll, in dem Moment, da seine Gattin, die unbestrafte Sünderin, sich vom Dach eines Kinos stürzt, für den Fan und Kenner von Clive Barkers Werk dadurch bereichert, dass auf der Leinwand ein Ausschnitt aus einem Hellraiser-Film zu sehen ist ...

 

Auch die Aufmachung des A4-Hardcovers aus Tagen, da der Speed Verlag noch in vollem Glanz erstrahlte, weiß zu überzeugen: Gutes Papier, guter Druck, ein sehr schönes Lettering und ein tolles Cover des stabilen Hardcovereinbands sorgen dafür, dass diese höllisch gute Adaption ein entsprechend formidables Äußeres, ein entsprechend schönes Gewand erhalten hat.

 

Fazit: Das Geyatter und Jack ist eine meiner Lieblingsgeschichten aus den Büchern des Blutes, die sonst nicht immer ganz zu überzeugen wissen, da Barker gerne mal den Holzhammer-Horror oder die vulgäre Aufgeklärten-Keule auspackt und seine Subtilität sträflicherweise außen vor lässt. Doch das sei, wie es will: Ich bin jedenfalls sehr froh, dass sich mit Steve Niles und John Bolton zwei so versierte und feinfühlige Künstler daran gemacht haben, den Kampf zwischen John Polo und den Mächten der Hölle in Form des Geyatters/Cuazzels für das Medium Comic umzusetzen. Sowohl inhaltlich (sehr nahe an der Vorlage, teilweise, vor allem in erzählerischen Abschnitten, textlich sogar identisch mit der originalen Kurzgeschichte von Barker) als auch optisch macht Ein höllischer Gast einen großartigen Eindruck, dem auch sein Hardcover-Format und das schöne Lettering sehr gut zu Gesicht stehen.

 

Die Finsternis kann sich jeden holen, Dämonisches lauert an jeder Ecke – insbesonders in Comics von Brian Michael Bendis. So gibt es, sieht man von den üblichen Barker- oder Horror-Fans einmal ab, daher letztlich auch keine ultimative Zielgruppe für diesen kurzweiligen Kleinod des grafischen Erzählens.

 

Mit Vergabe der Höchstnote in allen Belangen und Bereichen sollte allerdings klar sein, dass Ein höllischer Gast letztlich jeden begeistern wird, der dieser eigensinnigen, aber stets so zynischen, sarkastischen und schwarzhumorigen - und vor allem auch so trefflich adaptierten - Horror-Geschichte eine Chance gibt.

 

Ein kleines Meisterwerk, das seinem nicht nur von den Namen her großen Trio mehr als nur gerecht wird.

 

 

Oje, das hat nicht geklappt, Elfenwerk! 2024041902432170c30b47
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Comic:

Ein Höllischer Gast

nach einer Kurzgeschichte

von Clive Barker

Adaption: Steve Niles

Zeichnungen: John Bolton

Verlag: Thomas Tilsner

Format: Hardcover

Sprache: Deutsch

ISBN-Code: 391007975X

Anzahl Seiten: 60

Erhältlich bei Amazon

weitere Infos:


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Erstellt: 23.04.2007, zuletzt aktualisiert: 11.04.2024 08:09, 3809