Das Rote Zeichen
 
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Das Rote Zeichen

Rezension von Schwertfang

 

Die Zeit der Abrechnung ist für die Kainskinder gekommen. White Wolf hat Ende 2003 angefangen, Nägel mit Köpfen zu machen. Was im finalen Werk "Gehenna" zum Höhepunkt einer zwölfjährigen Veröffentlichungsreihe gebracht wird, wurde durch den eher durchwachsenen "Hort der Verborgenen" angefangen. Diesen Weg führt der vorliegende, hundertzwanzig Seiten starke Band "Das Rote Zeichen" fort.

 

Glaubt man der Beschreibung auf der Rückseite, so wurden hier "in lovecraftscher Manier die

Themen Vampire: Die Maskerade und Magus: Die Erleuchtung um uralte Schrecken verbunden". Vorgefertigte Chroniken musste man jedoch stets mit Vorsicht genießen, man erinnere sich an die "Giovanni Chroniken", wo besonders der erste Teil Kopfschütteln bei den Spielern erzeugte. Mit Crossover wurde man ebenfalls wenig glücklich mit "Unter dem Blutmond" bedient. Soweit die Vorzeichen.

 

Grundidee dieser apokalyptischen Chronik ist das Streben der Vampire nach der Erlösung. Nicht nach Golconda, sondern nach der Befreiung vom Dasein als Verfluchter, als vom Herrn Verstoßener. Kurzum - Vampire, die wieder zu Menschen werden wollen. In der Einleitung wird man bereits auf diese Idee eingeschworen - durchaus hat die Frage, warum Gott es zwar zulässt, dass jeder ohne Richtspruch zum Vampir gemacht, nicht aber wieder in einen Menschen zurückverwandelt werden konnte, ihre Daseinsberechtigung. Dass aber erst nach zig tausend Jahren und unzähligen Versuchen eine Verschwörung aus Vampiren und Magi diesem Ziel bedrohlich nahe kommt, wirkt dann doch eher gestelzt. Es musste schon das bevorstehende Gehenna herangezogen werden, um ein solches Ritual zu rechtfertigen.

 

Fünf Kapitel weist "Das Rote Zeichen auf" und betrachtet Stück für Stück die einzelnen Bauteile zu dieser Chronik. So ist das erste Kapitel, "Das Untote Böse", allein für die vampirische Seite des Rituals. Man erfährt von früheren, gescheiterten Versuchen, den Fluch Kains loszuschütteln, wie die Tremere als aussichtsreichste Kandidaten aufgrund ihres großen okkulten Wissens versagten und welche - mitunter wahren - Gerüchte in der Vampirgesellschaft umherwandern, wo und wie man dieses Ziel dennoch erreichen kann. Beispielsweise soll der Heilige Gral diese Erlösung bieten, oder das Wasser vom Quell der Freude. Wieder andere Theorien spinnen um die Cathayer und die Dünnblütigen herum.

Letzten Endes aber ist jene Verschwörung um den berühmt-berüchtigten Ambrogino Giovanni diesem Ziel näher als der Rest. Der umtriebige und extrem ehrgeizige Okkultist, welcher sich zusehends von seiner Clansfamilie abgewendet hat, nahm Kontakt zu den Magi auf, um mit ihnen dieses Ritual zu wirken. Unterstützung findet er aus den Reihen verfeindeter Lager. So gehört die Ventrue Natascha der Camarilla, der Lasombra Percival dem Sabbat an. Mit Duality auf der einen Seite und Rutor und Andrew auf der anderen arbeitet ein Tzimisce-Koldune mit Tremere zusammen. Dass allerdings längst nicht jeder die gleichen Ziele verfolgt, geschweige denn überhaupt möchte, dass die Vampire Erfolg haben, wird schnell klar. Mit dem Brujah Themistocles etwa sitzt ein Verräter inmitten der auf fast fünfzig Mitglieder geschätzten Verschwörung, der seine ganz eigenen Vorstellungen davon hat, wie Erlösung aussieht.

 

Bei den Magi sieht es im zweiten Kapitel, "Weg und Wille", nicht anders aus. Auch hier gibt es zahlreiche Gründe, den Vampiren zu helfen - oder dies zu verhindern. Eine kleine Kabbala hat sich zusammengetan, und mit Vertretern wie Joreau, der die Schöpfung vernichten will, zeigen sich die Magi mitunter unmenschlicher als ihre untoten Partner. Von besonderen Interesse dürfte für Vampire-Spieler die Verbena Emma Dodd sein. Glaubt man ihrer Hintergrundgeschichte, so ist sie für den Blutfluch verantwortlich, jene verheerende Krankheit, die zahlreiche Kainskinder dahinraffte. Die Deutsche möchte die Menschheit vor den Vampiren beschützen, und deshalb nimmt sie an dem Ritual teil, ist es doch die vernünftigste Lösung, zu versuchen, die Vampire zu heilen. Neben einer Beschreibung der einzelnen Mitglieder dieser Verschwörung gibt es noch einen Überblick über alle Magi-Traditionen und Gruppen der Technokratie bezüglich der Meinung über Vampire und ihren Fluch.

 

"Ritual und Ränke", mit 42 Seiten das größte Kapitel, beschäftigt sich mit dem Ritual selbst. Noch einmal werden frühere Versuche aufgezählt, unter anderem die Apotheose, das Thema der "Giovanni Chroniken" - der Versuch Ambroginos und Augustus Giovannis, durch die Diablerie Gottes selbst Gott zu werden. Nachdem wiederholt erklärt wurde, warum sich Magi auf solch ein Wagnis einlassen würden - bei den Vampiren ist es schließlich nachvollziehbar - öffnet sich für den Erzähler ein ganz neues Thema: die Quantifizierung des Unmöglichen. Wie fast man ein eigentlich unmögliches Vorhaben in Regeln, wie setzt man es in Würfelproben um? Verschiedene Varianten werden vorgeschlagen, etwa auf den, in diesem Falle sehr sinnvollen, Verzicht auf Würfel, über das Zulassen unmöglicher Proben sowie alle möglichen Versuche, diese Nichtmöglichkeit des Rituals doch zu bewerkstelligen: durch den Gebrauch von Ritualbüchern beispielsweise, was drei Seiten in Anspruch nimmt für drei vorgeschlagene Werke. Aus diesem Bereich kann man lediglich die Plotideen gutheißen, wie man an ebensolche Bücher kommt - weniger wäre da allerdings mehr gewesen.

Neben dem Ritual wird auch die Verschwörung hinter den Kulissen näher beleuchtet. Insbesondere Magus wird hier bevorzugt: zu diversen möglichen Varianten, abhängig von Zugehörigkeit und Grundeinstellung, erfährt man, warum man das Ritual gutheißen soll oder nicht. Wo man für die Magus-Seite über elf Seiten diesem Thema widmet, werden Vampirspieler mit ganzen zwei Seiten abgespeist. Daneben wirkt sogar der Abschnitt über mögliche Resultate und Folgen des Rituals bei Gelingen oder Misslingen noch erstaunlich ausführlich.

 

"Verschwörer", das vierte Kapitel, wendet sich den NSCs zu. Dieses Kapitel ist für Kenner von Vampire vorherzusehen. Sämtliche namhaften Vampire und Magi werden, größtenteils mit kompletten Werten und Bildern, vorgestellt, zusätzlich zu einem überflüssigen Diagramm, wer von den Vampiren mit wem wie steht - "Dieser Charakter denkt über diesen Charakter folgendes" - so erfährt man, dass Natascha für Rutor lediglich "die Schlampe mit dem Geld" ist. Den wirklich mächtigen Magi, jenen fünf, die am Ritual teilnehmen, bleibt eine ausführlichere Beschreibung in diesem Kapitel vorenthalten - dafür aber gibt es einen Schaukasten mit einer Begründung, warum dem so ist.

 

Den Abschluss macht das Kapitel "Erzählen", und angesichts der Fülle an schierem Hintergrundmaterial wirken diese sieben Seiten mager, und obendrein noch deplaziert. Das gehört eher an erste Stelle, wie man es aus anderen Chroniken gewohnt ist: Auswahl der Charaktere, Grundstimmung und Einleitung, das sind Überschriften, unter denen man sich etwas vorstellen kann. Mit dem "McGuffin" und der "Newtonhandlung" allerdings erfahren wir von zwei neuen Begriffen, die sich bestenfalls irgendwo knapp vor oder deutlich hinter Rollenspielausdrücken wie "Powergaming" einordnen lassen.

 

Über Gestaltung und Illustration kann man wie gewohnt kein schlechtes Wort verlieren - Feder und Schwert hat sauber übersetzt, und White Wolfs Grafikabteilung liefert wieder hochqualitative Bebilderung ab. Allen voran Christopher Shys düsteres Coverbild sowie die Charakterporträts zeigen, dass White Wolf immer größten Wert darauf gelegt hat.

 

"Das Rote Zeichen" wandelt auf ähnlichen Pfaden wie der streckenweise verkorkste "Hort der Verborgenen", aber der Schaden hält sich in Grenzen. Es wurde vermieden, mit Kanonen auf Spatzen zu schießen, und die NSCs sind dieses Mal, obschon immer noch mächtig, keine Brocken, die locker jedem Klüngel, Sabbatrudel oder jeder Kabbala den Garaus machen kann. Vampire-Spieler dürfte der Verschwörungsplot gefallen, während Magus-Spielern mehr Möglichkeiten gegeben sind, das Ritual fertig zustellen. Zwar krankt die Herleitung, warum ausgerechnet dieser Versuch, den Fluch zu brechen, gelingen soll, dafür aber wird man mit zahlreichen guten Ideen für Nebenhandlungen bedient. Auch verlieren sich die Autoren in unnötigen Umschreibungen und vernachlässigbaren Details. Gegen Mitte des dritten Kapitels wird es langatmig und ablenkend, als wenn das eigentliche Thema nach und nach aus den Augen verloren geht. So bleibt es bei einer guten, aufgrund kleinerer Schwächen aber nicht herausragenden Chronik, die mit ein wenig zusätzlicher Arbeit des Erzählers alles bietet, um Fans der Welt der Dunkelheit für einige Abende an den Spieltisch zu fesseln.

 

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Oje, das hat nicht geklappt, Elfenwerk! 20240426081018c0c9d623
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Das Rote Zeichen

Eine apokalyptische Chronik für Vampire: Die Maskerade!

Verlag: Feder & Schwert

ISBN: 3-935282-95-8

Erhältlich bei: Amazon

 


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Erstellt: 18.07.2005, zuletzt aktualisiert: 18.02.2015 15:16, 678