Das Waisenhaus (DVD; Horror; FSK 16)
Rezension von Cronn
Das Gefühl, wenn einem ein kalter Schauer über den Rücken rinnt, ist sicherlich noch jedem aus Kindheitstagen in Erinnerung. Man weiß genau, dass sich noch jemand im Raum befindet, direkt hinter dem Rücken. Und wenn man sich blitzschnell umdreht, hofft man ihn zu sehen. Aber da ist nichts. Nur ein verwischter Schemen im Augenwinkel.
Der Juan Antonio Bayona mag ein ähnliches Gefühl intendiert haben, als er den Film Das Waisenhaus konzeptionierte. Der Spanier liefert damit sein Leinwanddebüt ab und zeigt sofort Charakter und Profil. „Das Waisenhaus“ hebt sich deutlich ab von anderen Produktionen a la Hostel oder Saw und das in positiver Weise.
Hierzulande wurde „Das Waisenhaus“ leider von den Kinogängern zu wenig beachtet. Doch das wird sich hoffentlich im Bereich der DVD-Veröffentlichungen nicht wiederholen.
Schon seit Jahren sind die Spanier die ungekrönten europäischen Könige des Phantastischen Films. Neben den Asiaten verstehen die Spanier am besten die Mechanismen des Unheimlichen.
Inhalt:
Laura (Belén Rueda) kehrt mit ihrem siebenjährigen Sohn Simón (Roger Príncep) an den Ort zurück, an dem sie aufgewachsen ist: ein verlassenes Waisenhaus, das sie nun wieder zum Leben erwecken will. Aber es wird ihr unheimlich, als ihr Sohn von unsichtbaren Freunden erzählt, die er gar nicht kennen dürfte: Ihre alten Waisenhausfreunde! Als Simon plötzlich spurlos verschwindet und nicht wieder auftaucht, macht Laura diese Geister dafür verantwortlich und begibt sich auf die Spur einer schrecklichen Tragödie. Dabei muss sie feststellen, dass nicht immer alles so ist, wie es auf den ersten Blick aussieht. Ihre Vernunft wird ebenso auf eine harte Probe gestellt, wie ihre Ehe.
Kritik:
Um es vorweg zu nehmen: Juan Antonio Bayona hat sogleich mit seinem ersten Film einen Meilenstein des Gruselfilms geschaffen. Das liegt an vielen Dingen, die noch erwähnt werden sollen. Zunächst soll die Arbeit anderer Beteiligter erwähnt werden, ehe der Regisseur und das Drehbuch gewürdigt werden sollen.
Der Kameramann Óscar Faura erschafft eine Atmosphäre des Grusels, indem er meisterhafte Licht-Schatten-Kontraste erschafft und auch dezent eingesetzte Farben wohl abgeleuchtet einsetzt. Seine Kameraperspektiven sind zumeist konservativ, aber ab und an auch progressiv-ungewöhnlich, beispielsweise die nächtliche Kamerafahrt über Kopf der im Rollstuhl fahrenden Laura.
Belén Rueda als Laura überzeugt mit einer grandiosen One-Woman-Leistung, die nahezu die gesamte Lauflänge des Films in jeder Szene präsent ist. Ihre Darstellung der leidgeprüften Mutter ist über alle Zweifel erhaben. Immer, wenn sie Gefahr läuft melodramatisch zu werden, gelingt es Rueda das Steuer herumzuwerfen und sich unprätentiös zu zeigen. Ihr Partner im Film, Fernando Cayo, erhält im Gegenzug nur wenig Chancen sich zu profilieren, nutzt diese aber geschickt, um zumindest als souveräner Film-Ehemann im Gedächtnis zu bleiben. Die dritte Hauptperson ist der Film-Sohn, gespielt von Roger Príncep, welcher der Gefahr entgeht, allzu süßlich zu wirken. Ein toller Schachzug ist es, für das Medium des Waisenhauses die Mimin Geraldine Chaplin zu verpflichten. Die Grand Dame des Kinos erweist sich als Glücksgriff, denn ihre Leinwandpräsenz ist herausragend stark und obwohl ihre Rolle nicht allzu groß ausfällt, weiß sie zu beeindrucken. Man mag ihren Auftritt auch als Hommage an das große Suspense-Kino vergangener Zeiten werten.
Den allergrößten Verdienst an dieser Gruselfilm-Perle hat aber der Regisseur Juan Antonio Bayona. Mit viel Geschick und Gespür montiert er diesen Horrorfilm, setzt wenige, aber perfekt sitzende Schocks und kreiert auf seine Weise eine Atmosphäre allumfassenden Schreckens, die von der ersten Sekunde da ist, den Zuschauer mitreißt und nicht mehr loslässt, bis der Abspann läuft.
Dabei sind Vorbilder durchaus erkennbar und auch legitim. Sei es The Others, Sixth Sense oder Bis das Blut gefriert und The Uninvited – stets wählt der Regisseur die besten der besten Vorbilder, zitiert knapp und stets respektvoll, ohne sich plagiierend an den Vorbildern zu bedienen. Auf diese Weise darf „Das Waisenhaus“ immer noch als erfrischend eigenständig gelten.
Bonusmaterial:
Zum Test lag die Presse-DVD vor, daher kann zum Umfang und zur Art des Bonusmaterials keine Aussage gemacht werden.
Fazit:
„Das Waisenhaus“ ist ein wohltuend anders gefilmter Phantastik-Film, abseits der Horror-Folter-Filme a la „Saw“ oder „Hostel“ und Konsorten. „Das Waisenhaus“ ist düster, ernsthaft, nimmt sich und das Genre definitiv ernst, und somit auch den Zuschauer.
Wer als Phantastik-Enthusiast „Das Waisenhaus“ im Kino verpasst hat, für den ist der Kauf der DVD definitiv Pflicht!