Der schwarzzüngige Dieb (Autor: Christopher Buehlman)
 
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Der schwarzzüngige Dieb von Christopher Buehlman

Rezension von Matthias Hofmann

 

Eigentlich könnte diese Rezension lediglich aus einem knappen überschwänglichen Fazit bestehen und dem Hinweis: »Überraschen lassen!« Doch das wäre selbstverständlich etwas zu einfach.

 

Aber es kommt nicht oft vor, dass man sich von einem Buch richtig gut unterhalten fühlt. So wie in: Überraschend SEHR GUT unterhalten. Der schwarzzüngige Dieb von Christopher Buehlman ist so ein Roman. Das möchte ich gleich zu Beginn dieser Rezension betonen, denn ich hatte zwar solide Fantasy-Kost erwartet, wurde aber fast schon überrumpelt von einem rundum gelungenen Werk, das ich nach den ersten 50 Seiten kaum mehr aus den Händen legen konnte.

 

Der US-Amerikaner Buehlman hat seit der Veröffentlichung seines Erstlings im Jahr 2011 vier weitere Bücher geschrieben, die meist dem Horror-Genre zuzuordnen sind. Allesamt sind (noch) nicht auf Deutsch erschienen.

 

Zehn Jahre später lieferte er 2021 mit »Der schwarzzüngige Dieb« seinen ersten High-Fantasy-Roman ab, der richtig frischen Wind in eine Literaturgattung bringt, die durchaus als formelhaft und behäbig gelten kann. Es ist der Auftakt einer Trilogie. Da kann man erwarten, dass der Autor seine Hausaufgaben gemacht und einen soliden Unterbau ausgearbeitet hat. Und in der Tat: Der Detailgrad des Worldbuildings hat genau die richtige Tiefe, damit die Welt von Buehlmans Protagonisten glaubwürdig, aber nicht zu kleinteilig und vom Wesentlichen ablenkend wirkt.

 

»Der schwarzzüngige Dieb« erzählt von einem Abenteuer des jungen Mannes Kinch Na Shannack, der in einer Welt lebt, die von mehreren Kriegen erschüttert wurde. Der Hauptakteur selbst erzählt die Geschichte. Kinch ist eine Art Kleinkrimineller, ein Dieb, der es nicht immer so genau nimmt und nicht nur mit jeder Menge Bauernschläue, sondern auch mit einer gehörigen Portion ironischen Humor ausgestattet ist. Er ist innerhalb einer mysteriösen »Nehmergilde« das allerkleinste Rädchen, wird aber mit einem Geheimauftrag ausgestattet, dessen Sinn sich erst im Verlauf seiner Reise offenbart. Von der Gilde wurde er aus ausgebildet im Schlösserknacken, Mauernerklettern, Stürzeabfangen, Lügenspinnen, Stimmenwerfen, Fallenbauen und Fallenfinden. Er ist außerdem ein passabler Bogenschütze, Fiedler und Messerkämpfer.

 

Kinch stammt aus dem Volk der Galtianer, dessen Vertreter man an ihrer schwarzen Zunge erkennt. Ein bisschen Magie, die über dem Level von Taschenspieler- und Zaubertricks liegt, beherrscht er ebenso, wie die Gabe ein »Chiffre« zu sein. Das heißt, er hat ein Gespür für Sprachen. Das ist sehr hilfreich, da Buehlman die Fantasywelt von Kinch mit sprachlicher Diversität angereichert hat, die auch magische Tätowierungen betrifft. Und wer sie lesen oder ihren Sinn erahnen kann, ist in brenzligen Situationen klar im Vorteil.

 

Im Anhang des Romans befindet sich eine Landkarte der Welt des schwarzzüngigen Diebs. Sie dient der Orientierung, denn der Roman schildert eine in der Fantasy spätestens seit Tolkien beliebte Quest. Ich möchte nicht allzu viel von der Handlung verraten, weil sie einige kleine und große Überraschungen bereithält. Als Folge der zuvor erwähnten Kriege hat die Welt hohe Verluste an Männern und Pferden hinnehmen müssen.

 

Grob zusammengefasst reist Kinch aus dem Osten quer durch einige Länder (und auf See) in den äußersten Nordwesten, um eine Königin zu finden. Er tut das mit einer bunt zusammengewürfelten Gruppe, die sich immer mal verändert und sich durch eigenwillige Charaktere sowie ein hohes Konfliktpotenzial auszeichnet. Im Kern sind das neben dem Dieb noch eine geheimnisvolle Kriegerin, eine junge Hexe, ein ehemaliger Gegenspieler des Diebs und Kater Karl, eine blinde Katze.

 

Die Bösewichte, wenn man so will, sind die Kobolde. Diese Biester kämpfen nicht nur gerne, sondern beißen und fressen ohne zu zögern Menschen. Auch wenn der letzte Krieg mit ihnen vorbei ist, kommt es zu Begegnungen mit ihnen, die ein hohes Maß an Intensität und Spannung bieten.

 

Buehlman erzählt seine Geschichte geradlinig in einem einzigen Erzählstrang. Das reicht ihm völlig aus, um seine Leserinnen und zu Leser zu fesseln. Denn seine Ausführungen sind farbenprächtig und leben von einem abwechslungsreichen Plot und teilweise herrlichen Dialogen.

 

Aber Obacht: Wir haben es hier nicht mit einem politisch korrekten Jugendroman zu tun, wie man vom nicht ganz passenden Covermotiv her vielleicht denken könnte. Mitunter wird es ganz schön brutal oder eklig. Oder beides. Sex ist ebenfalls nicht tabu. Aber die wahren Schätze des Romans sind die Charaktere, die im Verlauf der Handlung komplexer werden und sich weiterentwickeln.

 

Aber auch die Dialoge und Metaphern, die sich Buehlman ausgedacht hat, sind äußerst unterhaltsam. Kleine Kostproben gefällig? »Sie musterte mich wieder. Galva hatte eine Art, mich anzusehen, als würde sie mit den Augen die Innenseite meines Schädels bemalen.«

 

Da die Story aus der Sicht des Diebs erzählt wird, kann der Autor dem Humor seines Protagonisten freien Lauf lassen. Wie z. B. als er die Erbfolge von Königinnen und Königen beschreibt: »Die Erbmonarchie ist ein schlechtes System, denn egal wie klug man selbst ist, es kann durchaus sein, dass man einen Trottel aus dem Rohr schießt. Selbst wenn man Glück hat und halbwegs intelligente Söhne und Töchter zeugt, dann sind spätestens die Enkelkinder absolute Vollidioten, und sobald eines von ihnen den Thron besteigt, verwandelt sich alles, was man mühevoll aufgebaut hat, in einen Riesenhaufen Scheiße.«

 

Für mich ist »Der schwarzzüngige Dieb« eines der besten Fantasy-Bücher, die in den letzten Jahren erschienen sind. Es kann auf ganzer Linie punkten und ist unterhaltsam, spannend, humorvoll und clever strukturiert. Unbedingt empfehlenswert!

 

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Buch:

Der schwarzzüngige Dieb

Original: The Blacktongue Thief, 2021

Autor: Christopher Buehlman

Übersetzung: Urban Hofstetter und Michael Pfingstl

Titelillustration: Federico Musetti

gebundene Ausgabe, 520 Seiten

Klett-Cotta Hobbit Presse, 20. August 2022

 

ISBN-10: 3608986413

ISBN-13: 978-3608986419

 

Erhältlich bei: Amazon

 

Kindle-ASIN: B0B4P619CP

 

Erhältlich bei: Amazon Kindle-Edition


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Erstellt: 23.08.2022, zuletzt aktualisiert: 24.04.2024 09:01, 21101