Der Sternwanderer - Stardust
Reihe: Vertigo Select Bd. 3
Rezension von Frank Drehmel
Um es vorweg zu nehmen: Sternwanderer ist kein Comic (!), sondern ein illustrierter (Kurz)Roman im Comic-Format. Wen ausschlieĂlich seitenfĂŒllende Bildchen mit Sprechblasen und Text-Boxen erregen, der sollte also eventuell an dieser Stelle der Rezension aussteigen.
In dem kleinen Menschen-Dorf Wall, das -umgeben von einer hohen Mauer- mitten im Elfenreich liegt, lebt der junge Tristran Thorn, der mĂŒtterlicherseits selbst zum Kleinen Volke gehört. Wie bei den meisten jungen MĂ€nner des Ortes beginnen auch seine Hormonen Purzelbaum zu schlagen, sobald die Dorfschönheit Victoria Forester kokett mit den Augen klimpert. Eines Tages verspricht Tristran der Angebeteten in einem Anfall von Liebeswahn, ihr jenen Stern zu FĂŒĂen zu legen, den sie gerade gemeinsam vom Himmel fallen sahen.
So zieht also der junge Narr begleitet von den besten WĂŒnschen seiner Eltern hinaus ins Feenland auf der Suche nach dem seltenen Stein. Auf seiner Reise widerfahren ihm allerlei merkwĂŒrdige Dinge und begegnen ihm skurrile Wesen, doch sein Elfenblut lĂ€sst ihn unbeirrt seinen Weg zum Ziel finden. Um so erstaunter ist er, als sich der gefallene Stern als wunderschönes, wenn auch sehr zĂ€nkisches MĂ€dchen namens Yvaine entpuppt.
Nachdem er es durch ein verzaubertes Silberkettchen an sich gebunden hat, versucht er, Yvaine zur geliebten Victoria zu schaffen.
Die Heimreise verlĂ€uft allerdings alles andere als glatt, denn erstens hat sich das SternenmĂ€dchen beim Sturz aus dem Firmament ein Bein gebrochen und zweitens suchen weitere Wesen nach ihr: eine der drei Lilim, der mĂ€chtigen Hexenköniginnen, will Yvaine das Herz aus der Brust schneiden, um durch Blutmagie ihr eigenes Leben und das ihrer Schwestern zu verlĂ€ngern, und die drei letzten Herren der dĂŒsteren Festung Stormhold, ein Clan von Meuchelmördern, wetteifern darum, wer von ihnen zuerst in Besitz des Sterns kommt, um dadurch seinen Herrschaftsanspruch zu begrĂŒnden.
Zu den beiden an diesem kleinen Meisterwerk phantastischer Literatur beteiligten KĂŒnstlern braucht man nicht viele Worte zu verlieren.
Der vielfach preisgekrönte, britische Autor Neil Gainman avancierte mit seiner Arbeit an den Sandman-Comics und Romanen wie âNeverwhereâ, âAmerican Godsâ oder âAnansi Boysâ -um nur einige zu nennen- mittlerweile zu einem Superstar der Phantastik-Szene.
Der amerikanische Zeichner und Maler Charles Vess hat zwar nicht diesen Superstar-Status inne -dafĂŒr ist seine Kunst nicht vordergrĂŒndig dĂŒster genug-, obgleich auch er auf eine durch zahlreiche Auszeichnungen gekrönte Karriere zurĂŒckblicken kann -darunter der World Fantasy Award, welcher Gaiman und ihm 1991 gemeinsam in der Kategory âBest Short Storyâ fĂŒr ihr Sandman-Comic âA Midsummer Nightâs Dreamâ verliehen wurde. Dennoch gehört er zweifellos nicht zuletzt dank seines unverwechselbaren Stils und seiner besondere AffinitĂ€t zum keltischen Sagenkreis sowie den Mythen des Kleinen Volkes, die in seinem bisherigen Schaffen immer wieder zum Ausdruck kommt, zur ersten Garde der Comic-KĂŒnstler und Illustratoren.
âStardustâ ist ein wundervolles, hinreiĂend geschriebenes, phantasievolles und romantisches MĂ€rchen, eine Feen-Geschichte fĂŒr Menschen jeden Alters, deren Zauber man sich nicht entziehen kann.
Gaimans groĂe Kunst besteht darin, mit wenigen, dafĂŒr um so prĂ€ziseren Worten ganze Bilderwelten im Kopf des Lesers entstehen zu lassen, Assoziationen zu wecken (Ă€ltere Leser haben insofern einen Vorteil, als ihr Erfahrungsschatz gröĂer ist/sein sollte). Dabei wirkt sein Stil niemals bemĂŒht, sondern strahlt eine Leichtigkeit aus, die einen das -im positiven Sinne- Manipulative ĂŒbersehen lĂ€sst. Der Autor spielt mit der Phantasie, den TrĂ€umen und Ăngsten des Lesers wie auf einer Harfe, wobei er disharmonische Töne weitgehend vermeidet. Insbesondere vertritt Gaiman keine moralischen Extrempositionen, wie sie bspw. in den MĂ€rchen der GebrĂŒder Grimm an der Tagesordnung sind, so dass selbst seine dunklen Charaktere schlussendlich sogar gelĂ€utert wirken.
Herrlich erfrischend und locker sind auch die Dialoge: keine pathetisches, absatzlanges Geschwafel, sondern klare Worte mit zuweilen bissigem Humor, der in der gelungenen Ăbersetzung durch Christine StrĂŒh nicht verloren geht.
So beschwingt und leicht wie die Geschichte ist Vess sympathisch âaltmodischâ wirkendes Artwork. Mit sehr lockerem, fast schon skizzenhaften Strich umreiĂt der KĂŒnstler die Figuren, verleiht ihnen durch zarte Farben und Techniken, die mit ihren weichen, verwischten VerlĂ€ufen an Aquarell- bzw. Pastellmalerei erinnern, ein feenhaftes, unwirkliches Erscheinungsbild. In der Zeichenkunst Vessâ spiegelt sich die Story Gaimans nahezu perfekt wider.
An der Aufmachung des Tradepaberbacks gibt es bis auf die etwas zu hohe OpazitĂ€t des Papiers, die den rĂŒckseitigen Text leicht durchscheinen lĂ€sst, nichts auszusetzen.
Fazit: Ein mĂ€rchenhaftes, poetisches Buch, mit leichter Hand geschrieben und kongenial illustriert. Wer glaubt, sich nach dieser phantastischen LektĂŒre den Film antun zu mĂŒssen, dem ist nicht mehr zu helfen.