Der Wächter des Tempels (Rex Mundi, Bd. 1)
 
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Der Wächter des Tempels

Rex Mundi Bd. 1

Rezension von Christian Endres

 

Spätestens seit Dan Brown sind Thriller, die sich mit dem Vatikan oder dem Glauben sowie den Mysterien und Legenden der Religionen beschäftigen, ganz groß im Geschäft um die Gunst der Leserschaft. Auch die Comic-Industrie hat dies erkannt, und nachdem Carlsen im letzten Jahr Paul Jenkins’ und Humberto Ramos’ »Offenbarung« im dicken Hardcover-Sammelband ins Rennen schickte, zieht die Ehapa Comic Collection Anfang 2007 nun bereits nach und bringt die viel gelobte und gefeierte Serie Rex Mundi ebenfalls im Hardcover nach Deutschland ...

 

Paris, 1933 – eine Alternativwelt mit einem sehr eigenen Gilden- und (strengen, katholischen) Glaubenssystem, einer nicht weniger strengen Inquisition, illegaler und legaler Zauberer und einer politisch-geographischen Machtaufteilung, wie man sie sich erst mal vorstellen und plastisch vor Augen halten muss (was dank des Kartenmaterials im Comic leichter geht, als man auf Anhieb annehmen mag). In dieser Welt, diesem graubraunen Paris zwischen rechter und unrechter Magie, eisernem und strengem Glaube, patriotischem Nationalismus und traditionellem Handwerk, dieser labilen Welt zwischen Krieg und Frieden, zwischen Monarchie und Imperialismus, wird Dr. Julien Sauniére von einem alten Freund aus den Reihen der Kirche um Hilfe gebeten.

 

Und ehe Julien sich versieht, steckt er mitten in den gefährlichen Ermittlungen zu einem tödlichen Fall, in dem wichtige Männer aus Politik, Wirtschaft und Religion, aber auch andere Mächte und Kräfte ihre Finger im Spiel haben. Während Julien noch an der Oberfläche des Eisberges aus Intrigen, Verrat und Mythen kratzt, braut sich im Inneren des zugefrorenen Wasserglases bereits ein Sturm zusammen. Zumindest ziehen die dunklen Wolken schon auf – wovon Julien allerdings nicht sonderlich viel mitbekommt, da er plötzlich um sein Leben rennen muss ...

 

Das kreative Duo EricJ und Arvid Nelson hat nicht einfach einen Mystery-Thriller geschaffen, der in den 30er Jahren spielt und das Flair der postkolonialen Bewegungen zu Beginn des Jahrhunderts einfängt – sie haben gleich eine komplette neue Historie der Welt geschaffen, eine eigene Ordnung, in der sie zwischen gesellschaftlicher und kultureller wie politischer und hierarchischer Innovation ihr Garn spinnen. Alternativwelten mit abgewandelten Konstellationen vor oder nach dem Krieg sind in der Literatur natürlich nichts allzu Neues – selten wurden sie in jüngerer Vergangenheit jedoch so gekonnt und so fesselnd konstruiert und ferner geschildert wie in Rex Mundi. In den ersten sechs Ausgaben der Serie gelingt es dem Duo Johnson/Nelson, uns ihre alternative Vorstellung der 1930er Jahre zu verkaufen, während sie gleichzeitig eine spannende Handlung entwickeln, Figuren in Position bringen und dafür sorgen, dass das Warten auf den zweiten Sammelband im Frühjahr bzw. den dritten im Herbst die Hölle werden dürfte ...

 

Im Lauf der Geschichte geht viel über die Schiene der erzählerischen Dichte und Tiefe – etwas, das man in Comics (und allen anderen Medien) zu Gunsten der Effekthascherei heutzutage gerne einmal vergisst/vermisst. Doch der Hintergrund von Rex Mund ist fein säuberlich, ja nahezu akribisch ausgearbeitet – im Stile großer Weltenschöpfer mit Karten und Zusatzmaterial und eben allem, was dazu gehört. Man spürt, riecht und schmeckt die Tiefe fast auf jeder Seite. Hier kommt das geschickt positionierte und gestaltete Zusatzmaterial zwischen den Einzelheften/Kapiteln zum Einsatz, das in Form fiktiver Zeitungsausschnitte aus dem Jahr 1933 den Weg des Leser kreuzt (ein netter Gag: Als Redakteure des Le Journal de la Liberté werden die Pulp-Ikonen C. A. Smith, H. P. Lovecraft und Robert E. Howard angegeben). Hier wird mit der Titel- und/oder einer Zusatzseite der Pariser Tageszeitung vor allem zweierlei bezweckt: Zum einen soll sie die »Echtheit« der Parallelwelt weiter untermauern und den Eindruck des Realen festigen, indem mit Nachrichtenmaterial aufgewartet wird, und zum anderen soll natürlich auch der eigentlichen Handlung mehr Tiefe gegeben werden – was durch Artikel, Nachrichtenmeldungen und Berichte (mitunter sogar über im eben gelesenen Kapitel gesehene Mordfälle, Unglücke oder Reden bzw. Interviews) prächtig funktioniert. Ein netter Kunstgriff – und eine faszinierende Idee!

 

Auch wissen die subtil-kreativen Anspielungen zu gefallen, die trotz – oder eben gerade wegen – aller Gedankenspiele mit einer alternativen Parallelwelt im Verlauf der Geschichte immer wieder positioniert werden. Spätestens wenn wir die flammende Rede des Herzogs wegen einem neuen Kreuzzug gegen die Reiche des Ostens hören, den er zum einen mit nationalem Stolz und nationaler Sicherheit, zum anderen aber auch mit den wertvollen Ölfeldern rechtzufertigen versucht, ist klar, in welche Richtung dieser amerikanische (!) Comic ab und an auch zielt und dass sich hinter diesem Comic stellenweise mehr verbirgt als bloßes Entertainment voll knisternder Hochspannung ...

 

Das Artwork von Rex Mundi-Miterfinder EricJ (J wie Johnson) ist nicht immer perfekt, doch ordnet es sich sehr geschickt Stimmung und Spannung der Story unter, sodass man kleinere Mängel wie die etwas übertrieben dargestellten Hautfalten oder nicht immer ganz so gelungene Gesichter während der Lektüre im großen und Ganzen gerne verzeiht. Das Spiel von Licht und (viel, viel) Schatten sowie die gelungene Farbgebung von Jeromy Cox tun dann ihr übriges dazu, um dem modernen Myster-Thriller im alternativen Paris der frühen 30er Jahre eine düstere, schmutzige Atmosphäre zu verleihen, in welcher der Leser sich vollauf verliert.

 

Ehapa hat mit dem ersten Sammelband, der die US-Ausgaben #0-5 enthält, einen optisch wunderbaren Comic geschaffen, der dank seiner Opulenz – sowohl was seine Seitenzahl, als auch seine Aufmachung und Verarbeitung angeht – jeden Cent wert ist (erst Recht, wenn man bedenkt, dass man sonst ja schon gerne einmal für ein Softcover 20 Euro zu bezahlen hat und das mittlerweile gar die Regel ist). Doch es ist nicht nur das Preis-Leistungs-Verhältnis, dass das Debüt von Rex Mundi von der Aufmachung und dem Aussehen des Bandes her zu etwas Besonderem macht. Man hat sich wirklich Mühe gegeben, hier ein Druckprodukt zu schaffen, das einen hohen Qualitätsstandard hält: Ein richtig fester Hardcover-Einband, eine straffe, starke Bindung und dickes Papier erinnern nicht nur an die vielgelobten Publikationen aus dem Hause Cross Cult, sondern sorgen auch dafür, dass der Comic bibliophil voll und ganz überzeugt. Gleiches gilt für das Layout, das Lettering, den Druck, die Covergalerie und das Kartenmaterial der Alternativwelt sowie das stimmungsvolle Vorwort von Joshua Dysart (Autor von z. B. Swamp Thing). Einzig mit der Covergestaltung des Bandes bin ich nicht hundertprozentig zufrieden – da wäre vom Motiv, aber auch der Gestaltung her ein bisschen mehr drin gewesen, vor allem wenn man sich das restliche, ansonsten so superbe Layout anschaut.

 

Fazit: Es ist vor allem das Setting, das diesen Comic, diese ersten sechs Kapitel so interessant und so gut macht. Eine komplette neue Weltordnung wie im besten Science-Fiction-Roman – dennoch knallhart realistisch und authentisch. Man nimmt Nelson und Johnson ihre Welt einfach ab.

 

Das Artwork von EricJ weiß indes nicht immer ganz zu überzeugen, doch gleicht die unglaublich dichte Handlung von Der Wächter des Tempels dies ohne große Mühe wieder aus. Und falls die Waage am Ende noch nicht ganz zum Positiven neigt, sind da ja immer noch die überragende Aufmachung und der faire Preis für guten, andersartigen und lange anhaltenden Lesespaß, der um so viel besser ist als jedes Buch von Dan Brown es jemals sein könnte.

 

Ein gelungener Auftakt mit äußerst interessanten, vielversprechenden Ansätzen – und damit ein vor Atmosphäre, Spannung und Ideenreichtum schier überbordender Comicgenuss, der lediglich in der Optik nicht voll überzeugen kann.

 

Oje, das hat nicht geklappt, Elfenwerk! 202403291234174f729e14
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Comic:

Der Wächter des Tempels

Reihe: Rex Mundi Bd. 1

Autor: Advid Nelson, EricJ

Zeichner: Eric J

Verlag: Ehapa Comic Collection

Format: Hardcover-Album

Sprache: Deutsch

ISBN-Code: 3770466108

Anzahl Seiten: 176

Erhältlich bei Amazon


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Erstellt: 27.01.2007, zuletzt aktualisiert: 31.12.2023 11:30, 3402