Rezension von Christel Scheja
Der kleine Verlag Helvetiq hat es sich zur Aufgabe gemacht, große Klassiker der schweizerischen Literatur durch die fünfte Kunst auch einem jüngeren Publikum nahe zu bringen. Den Anfang macht die Adaption des 1934 erstmals erschienen Romans Derborence von C. F. Ramuz.
Erst kurz mit seiner geliebten Thérèse verheiratet, so ruft doch die Pflicht den jungen Antoine wie die anderen Männer des Dorfes dazu auf, hinauf auf die Alp Derborence zu gehen, um dort die Kühe zu hüten. Er tut es nur mit schwerem Herzen, denn er hat kein gutes Gefühl.
Schon wenige Wochen später begräbt ein Bergsturz zahlreiche Hütten, Menschen und Tiere unter sich. Viele halten die Männer auf der Alp für tot, nur Thérèse, die inzwischen weiß, dass sie schwanger ist, glaubt nicht daran. Als ihr Antoine nach zwei Monaten überraschend zurückkehrt, ist sie die einzige, die ihn aufnimmt und nicht für den Geist eines Toten hält.
Der Roman erzählt eine Geschichte, die früher für viele Menschen in der Schweiz bittere Lebenswirklichkeit gewesen sein dürfte, haben doch viele Männer ihre Herden oder die des Dorfes zum Weiden auf die Almen getrieben und mussten ihre Familien zurücklassen.
Und die Gefahr in der Einsamkeit umzukommen war nicht gerade klein, wie die Handlung beweist. So versuchen die Menschen den Verlust nach dem Bergsturz hinzunehmen.
Daher erwacht auch der Aberglaube, als Antoine tatsächlich zurückkommt – abgemagert, in zerrissenen Kleidern und geistig verwirrt. Und dementsprechend behandelt man ihn. Es ist letztendlich die Liebe, die ihn in die wirkliche Welt zurückholt.
Es liegt ein Hauch des Übernatürlichen über der in erdigen Tönen und groben Zeichnungen gestalteten Graphic Novel, die damit aber genau den rauen Charme der Bergwelt und seiner Bewohnern einfängt.
Die Szenen erzählen von dem harten Leben der Bergbauer und dem pragmatischen Denken, das viele an den Tag legen, als sie durch ein Unglück Familie und Freunde verlieren. Aber auch das Unvermögen, an das Unmögliche zu glauben, selbst wenn es vor ihnen steht.
Die Handlung mag einfach wirken, bietet aber auch viele Gelegenheiten, das Geschehen, das nicht einmal so weit her geholt ist – auch heute nicht – auf sich wirken zu lassen und zu verinnerlichen.
Und letztendlich wirkt auch der rettende Anker, die Liebe als der Hoffnungsschimmer, der der düsteren Geschichte dennoch ein wenig Farbe und Freunde verleiht. Das Denken und Fühlen der Menschen jedenfalls ist die Triebfeder des Ganzen und bringt der Grapic Novel auch die nötige Tiefe.
Fazit:
»Derborence« versucht ein über neunzig Jahre altes literarisches Werk ohne Kitsch und Romantik einem jungen Publikum nahezubringen. Ob das dem Künstler gelungen ist, muss jeder Leser für sich beurteilen – Offenheit für den auf den ersten Blick einfachen Stoff sollte da sein. Die Atmosphäre der rauen Bergwelt und den nüchternen Pragmatismus ihrer Bewohner fängt die Graphic Novel jedenfalls gekonnt ein und zeigt, was wirklich in solchen Geschichten abseits der ganzen Klischees steckt.
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