Die Pappenheimer: Eine teuflische Geschichte
 
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Die Pappenheimer: Eine teuflische Geschichte

Artikel von Karin Reddemann

 

Der kleine Hänsl hat sie gesehen. Kindshändln. Bei seinen Brüdern Gumpprecht und Michel. Abgeschnittene Hände von ungetauften toten Kindern, mit denen Hexer über Geschwüre streichen, um sie verschwinden zu lassen. Und, – darauf kam es vor allem an –, mit denen sie des Nachts verschlossene Türen und Kirchenportale öffnen, um zu räubern. Sieben Händln seien es gewesen, sagte er. Hänsl Gämperl, jüngster Spross der Pappenheimer, weinte. Man hatte ihn zuvor mit der Rute gezüchtigt. Der Junge hatte große Schmerzen. Noch mehr Angst. Und wusste wohl genau, dass sie alle sterben würden. Einen ganz und gar fürchterlichen Tod.

 

»Wer die Qualen der Folter aushalten kann, sagt die Wahrheit nicht. Wer sie nicht aushalten kann, auch nicht.«

Michel de Montaigne, frz. Philosoph, 1533–1592

 

Hänsl sagte auch, er sei nicht getauft, und seine Mutter Anna habe ihn schwarze Magie gelehrt. Zum Hexensabbat hätte sie ihn mitgenommen. Und Hänsl weinte wohl noch mehr, damals, im Verhörraum des Münchner Rathauses anno 1600, in dem die »peinlichen Befragungen« durchgeführt wurden. Hänsl blieb (noch!) Schlimmeres erspart als die eiserne Rute. Er war ein furchtsames Kind. Das Kind von einfachen, wenngleich kriminellen Leuten. Er redete.

Man war nicht zimperlich

Manchmal liest man Geschichten, die Steine schlucken lassen. Die so verstörend unangenehm sind, dass man sich schüttelt und denkt, dass das alles jetzt so irgendwie nicht wahr sein kann. Sollte. Dürfte. Ist es aber. Es ist so echt wie das zerbeulte Auto im Straßengraben. So wahr wie das Kreuzzeichen der alten Witwe, die seit zweiundzwanzig Jahren keine Farben trägt und dreimal über die rechte Schulter spuckt, wenn von links eine schwarze Katze kommt. So wahr und echt wie das Morden, die Folter, die unsinnigen Geständnisse, die abstoßende Zusatzstrafe und der Feuertod der Pappenheimer. Auf die stößt man, wenn man in Berichten über historische Serienmörder blättert. Die erwischen einen eiskalt. Und packen zu in der Nacht, die keinen Schlaf gönnen will, nur diesen finsteren Film zulässt, der sich immer wieder abspult, jeglichen Protest ignoriert, das Grauen rechtfertigt, das Entsetzen bespöttelt: So war das eben. Damals. Fertig.

 

Ende des 16., Anfang des 17. Jahrhunderts war man nicht zimperlich. Und wenig verwöhnt, was den Unterhaltungswert betraf, den das eigene Leben auf so kaltherzige, unfaire Art entbehrte. Wanderzirkus, Pranger, Laientheater. Gaukler, Diebe, Mörder, Huren, Kräuterweiber. Wunderheiler. Schmerzen. Schreie. Galgen und Schafott für das kriminelle Pack. Scheiterhaufen für das Hexergesinde. Der Rest war trister, harter Alltag.

 

Eine öffentliche Hinrichtung wie die der Familie Gämperl, genannt »die Pappenheimer«, gehörte zu den makabren Höhepunkten der grauen Jahre. Horrorspektakel pur, wie es sich der abgeklärteste Splatter-Filmemacher nicht besser, da krasser ausdenken könnte. Zumal Vater Paulus, Mutter Anna und die Söhne Gumpprecht und Michel zuvor sogenannte »Strafverschärfungen« auferlegt worden waren. Was das bedeutete, will niemand wirklich wissen, der immer noch gern an gute Feen, eine gewisse Humanität und den Sinn der Anästhesie glauben möchte.

 

Hier steckt das Grauen

Ich las es, blieb wach, stellte mir das alles vor und verbannte »die Pappenheimer« in diese finstere Ecke. Hier steckt das Grauen. Der Horror. Hier gehören sie hin. An die errichteten Scheiterhaufen, wo man den Korb für abgetrennte Körperteile, Blasebälge und die Pfannen mit glühender Holzkohle platziert hatte. Den Männern wurden mit Zangen die Brüste und Bizeps herausgerissen, sie wurden gerädert, auf widerliche Art kastriert. Anna schnitt man mit eiserner Schere die Brüste ab, Symbol für den Fortbestand der Familie, eine im damaligen Bayern durchaus gebräuchliche, besonders harte Strafe. Paulus wurde gepfählt und lebendig aufgespießt in den Holzstapel zu seinen Söhnen und seiner Frau gesteckt, den man dann mit Pechfackeln entzündete.

 

Der kleine Hänsl wurde verschont, musste sich das alles freilich mit ansehen, festgebunden auf einem Pferd, scharf beobachtet vom Bußamtmann. Hänsl wurde nur wenige Monate später nach einem zweiten Prozess gemeinsam mit weiteren Person aus dem Umfeld seiner Familie zum Tod auf dem Scheiterhaufen verurteilt.

 

Obgleich die Pappenheimer selbst brutal gemordet haben, obgleich es diese seltsame, düstere Zeit mit ihren eigenen Idealen, ihrem eigenen Irrsinn war … Menschen solch entsetzliche Qualen vor der Vollstreckung ihrer Todesurteile auszusetzen, um die aufgebrachte, nach Vergeltung und damit verbundenem Spektakel lechzende Meute zu befriedigen, ist eine dieser unheilvollen Weltanschauungen, die ich nie verstehen werde.

 

Die Pappenheimer wurden so penetrant grausig verhört und verstümmelt, bevor man sie 1600 vor dem Münchner Rathaus verbrannte, weil sie als Verbündete des Teufels gelten sollten, nicht als gewöhnliche Diebe und Totschläger. Aus dem ursprünglichen Mordprozess hatten der berüchtigte Inquisiteur Alexander von Haslang und Kommissar Wangereck einen Hexenprozess gebastelt. Kein Geniestreich. Zeitgeist.

 

Ich bekenne an dieser Stelle, mich in meiner Heimatstadt mit einem unrühmlichen Rekord konfrontiert zu sehen: Im Vest Recklinghausen wurden in der Zeit von 1514 bis Ende des 17. Jahrhunderts mit Quellennachweis 130 »Hexen«, darunter 26 Männer, auf abartigste Art gefoltert und, – mit wenigen Ausnahmen –, getötet. Das gilt als höchste Zahl der Hexenverfolgungen im engeren westfälischen Raum.

»Folter funktioniert. Absolut!«

Eine der Bedauernswerten, die unter qualvollem Druck und nach erlittener Tortur wohl so ziemlich alles gestanden hatte, was ihr so im Leben nicht in den Sinn gekommen wäre , war die 80jährige Witwe Koppers. Die alte Frau gab Gottesverleugnung, die aktive Teilnahme an Hexenorgien und intimen Kontakt mit dem Teufel zu. Dafür wurde sie verbrannt. Dazu sagt ein für seinen interessanten Überblick bekannter Allround-Versteher von eigener Gnade:

 

»Folter funktioniert. Absolut!«

Donald Trump

 

Zweifellos. Denn weil sie so absolut funktioniert, gestanden auch die Eltern anfänglich Bestrittenes »nach weiterem Zureden"« wie es in den Gerichtsakten vermerkt wurde: Anna hatte demnach ihren Jüngsten und auch den Michel, der sie bei seiner »Befragung« im Folterkeller als berüchtigte Hexe denunzierte, schon im Mutterleib dem Teufel versprochen, und Vater Paulus erklärte, seine Frau habe ihn schon vor etlichen Jahren gelehrt, Pulver aus Kindshändln zu machen, das er auch auf Geheiß des Teufels mit seinen Haaren und seinem Zehennagel vermengt hätte, um mit dieser Paste Mensch und Vieh zu schaden. Nach weiterer Folter sagte er, auch bei seinen Söhnen mehrere Kindshändln gesehen zu haben, die für ihre Einbrüche an die Finger ein brennendes Kerzenlicht gesteckt hätten, dass dafür sorgen würde, dass niemand im Haus erwacht und um Hilfe schreit. Aber die Hände von ungetauften Kindern müssten es sein.

 

So sagte es Paulus, der zwar etliche heimtückische Morde auf dem Gewissen hatte, – die er auch zugab –, der aber nach seiner Festnahme und ersten Verhören vehement betonte, mit Hexerei habe das, hätte er, hätten Frau und Söhne nichts zu schaffen. Nichts. Nie. Nur wenn die Folter funktioniert … dann schwört auch eine 80jährige Frau wie die Witwe Koppers, nackt um ein Feuer geflogen zu sein.

 

»Die Gefolterten sagen zu allem ja.«

Friedrich Spee, Dichter und Gegner der Hexenprozesse, 1791–1635

 

Mittelalterliche Serienmörder wie die Familie Pappenheimer waren in einer rauen, harten Welt zuhause. Menschen zu bedrohen, überfallen, sie zu quälen, abzustechen, auszurauben war vielerorts Tageswerk, die eigene Not mit brutaler Gewalt zu lindern ein Weg, den nicht wenige gingen. Der schwäbische Familienclan, gesellschaftlich und sozial in die hinterste schäbige Ecke gestellt, eine Verbrecherbande, Abschaum im Volksmund, gehörte dazu. Seine Geschichte ist grau. Dreckig. Blutig. Auch traurig. Das ungute Ende war in die Wiegen gelegt.

 

Pervers und plakativ abscheulich

Die Geschichte erzählt von Paulus, 1542 in dem kleinen Dorf Hüttlingen geboren, Sohn eines Leinwebers, seiner Frau Anna, Tochter eines Totengräbers, und den Söhnen Gumpprecht, Michel und Klein-Hänsl. Sie erzählt vom Betteln, von Brandstiftung, Kircheneinbrüchen, Überfällen und brutalen Morden. Von Hexerei als crimen exceptum (Ausnahmeverbrechen) erzählt sie grundsätzlich nicht. Und erzählt trotzdem lang und breit, mit perverser Fantasie und plakativer Abscheulichkeit davon. Paradox? Eher wohl auf schaurigste Art typisch.

 

»Es sind entsetzliche Verirrungen des menschlichen Geistes gewesen.«

Richard Wrede, Jurist und Autor, 1869–1932

 

Als Kind war ich mit meinen Eltern in einem Folterkeller. Das war im Kriminalmuseum in Rothenburg ob der Tauber, und ich konnte meine Augen nicht von dem mit Nägeln bespickten Stuhl nehmen, der dort stand und wohl in seiner hässlichen Grausamkeit beschloss, meine Erinnerung niemals zu verlassen. Ich sehe ihn vor mir, und ich sehe eine Frau in zerlumptem Kleid mit strähnigem Haar, geschunden, blutend und schreiend auf ihm sitzen. Ich sehe Folter. Und ich höre das Wort, …

 

»… das wir heute nur mit Entsetzen aussprechen und als Barbarei der Vergangenheit betrachten.«

Franz Helbing, Gelehrter und Autor, 1854–unbekannt

 

Vergangen? Vorbei! Geglaubt? Gelogen!

 

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Erstellt: 18.03.2023, zuletzt aktualisiert: 08.10.2023 11:19, 21726