Die seltsame Geschichte des Benjamin Button
 
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Die seltsame Geschichte des Benjamin Button

Artikel von Karin Reddemann

Klassisch gruselig ist diese Geschichte nicht. Die Vorstellung davon, wie es wäre, wenn … die ist es schon so ein bisschen. Die ist auf jeden Fall sehr ungewöhnlich. Wirklich eigenartig. Es ist eben eine ganz und gar seltsame Geschichte. Sie handelt von der Geburt eines Greises, der in den fünfundachtzig Jahren seines Lebens immer jünger wird, bis er als Säugling stirbt. Ein Mensch im Rückwärtsgang. Als würde ein Auto aus der Schrottpresse kommen, sich in einen Neuwagen verwandeln und dann keinen Mucks mehr von sich geben.

Geheimnisvolle Ecke

Der seltsame Fall des Benjamin Button entspringt Kopf und Feder des amerikanischen Schriftstellers Francis Scott Fitzgerald (1896–1940). Der hätte natürlich aus seiner brillanten Idee sehr wohl eine noch sehr viel phantastischere Sache machen können, trainierten Denkern fällt da spontan mit Sicherheit Gutes aus der geheimnisvollen Ecke ein. Gar Schauriges über Tod, Leben, Ewigkeit, Verhängnis und Verderben.

 

Nun hielt Fitzgerald sich in dieser Ecke aber nicht auf, sondern schrieb 1925 Der große Gatsby, was mit Sicherheit höchst klug war. Der Roman wurde, freilich verspätet, da anfangs verkannt, ein Welterfolg, gilt als eines der Meisterwerke der amerikanischen Moderne und wurde fünffach verfilmt, zuletzt 2013 von Baz Lurhman mit Leonardo DiCaprio in der Rolle des schwerreichen Lebemannes Jay Gatsby.

 

Drei Jahre vor »The Great Gatsby« veröffentlichte F. Scott Fitzgerald »The Curious Case of Benjamin Button«, jene Kurzgeschichte über einen immer jünger werdenden Mann, der am Ende seiner Tage nichts mehr zu erzählen hat. Er ist zum Baby geworden, das niemals etwas wusste, noch gar nichts weiß und niemals wissen wird. Weil es stirbt. So formuliert klingt das tatsächlich ein wenig unheimlich. Auch traurig. Alles, was man erlebt und erlernt und geliebt hat, verschwindet im Irgendwo, und zurück bleibt eine verwelkte Unschuld ohne Gewissen und Gefühl für das, was Leben heißt. Zurück bleibt freilich auch die Erinnerung an … Wen? Was?

Unmöglich verfilmbar?

Die Story lag beachtliche sechsundachtzig Jahre auf Eis, versehen mit dem Ruf, unmöglich verfilmbar zu sein. Bis Regisseur David Fincher sich 2008 den Stoff vornahm. Er verlegte ihn aus der Mitte des 19. Jahrhunderts, Neuengland, nach New Orleans 1918, dem modernisierten Geburtsjahr Benjamins, der in der Geschichte, anders als im Film, schon bei seiner Geburt auch von der Körpergröße her ein alter Mann ist. Da wird Fitzgerald nicht an die arme Mutter gedacht haben, unwichtig, der Künstler denkt frei. Und Benjamin denkt und sagt Tiefsinniges: »Unser Leben besteht aus Möglichkeiten. Auch aus denen, die wir verpassen.«

 

Brad Pitt spielt den Benjamin Button, laut Cinema seine »bisher beste Darstellerleistung«, und von dessen hübschem Gesicht sind in 52 Minuten des Films nur digitale Kopien zu sehen. Seinen technisch gealterten Kopf animierte man auf den Körper eines Kindes, und das sieht der gestrenge Zuschauer auch.

 

Trotzdem: Genial gemacht, – das erkenntlich Falsche befremdet nicht –, perfekte Lichteinsätze, grandiose Maske. Es wirkt alles sehr natürlich, und berechtigt gingen Oscars (13 Nominierungen!) an die glorreich Genannten für Make-Up (Greg Cannom), visuelle Effekte (Eric Barba) und das beste Szenenbild.

Grandiose Maske

Bei Produktionskosten von rund 150 Millionen US-Dollar spielte »Der wundersame Fall des Benjamin Button« in den Kinos weltweit rund 334 Millionen US-Dollar ein. Das hat sich allemal gelohnt, auch, wenn es Stimmen gibt, die den Rummel um die »möglicherweise langweiligste Person, die es gibt« (Harald Peters, Welt am Sonntag) partout nicht nachvollziehen können.

 

Nun ist das mit der Langeweile schnell gedacht und schneller noch behauptet: Es gibt Cineasten, die Interview mit dem Vampir (Brad Pitt als grüblerischer Louis) zum Gähnen finden, weil zu viel geredet wird. Nun denn: Wer gescheite Dialoge, die etwas tiefer im Hirn bohren, grundsätzlich wenig spannend findet, schläft vermutlich trotz tollwütiger Taylor auch bei Wer hat Angst vor Virginia Woolf … ? ein.

 

»Meisterwerk« nennt Frank Olbert (Kölner Stadtanzeiger) »The Curious Case of Benjamin Button«, eine »… in Bilder übersetzte philosophische Reflexion über die Existenz, das Altern und den Tod.«

 

Lars-Olav Beier bezeichnete den Film in (Spiegel Online) als die »größte Kino-Romanze seit Titanic.« Da haben wir das unheilvolle Wort: Romanze. Klingt so realistisch sauber, so verdammt zuckrig, so gar nicht nach uns. Sei es, es schadet nicht: Primär als Love-Story betrachtet ist die Geschichte tatsächlich einfach schön. Punkt. Als wundersame Begegnung verstanden ist sie phantastisch. Auch Punkt, aber fetter.

 

Denn in welcher Beziehung, sei sie noch so ungewöhnlich, antwortet der Mann der Frau auf die Uralt-Frage, ob er sie auch mit Falten noch lieben würde:

 

»Und wirst du mich noch lieben, wenn ich Akne habe, ins Bett mache und Angst habe vor dem, was unter der Treppe ist?«

 

Benjamin und Daisy, gespielt von Cate Blanchett, begegnen sich Mitte der 1920er Jahre als Kinder. Er als die vom Vater verstoßene Missgeburt, ein Junge mit kindlichem Verstand und der Optik und körperlichen Verfassung eines 80-Jährigen, sie als Enkelin eines Bewohners des Altenpflegeheims, das Benjamin als Säugling aufgenommen hat. Im Lauf der kommenden Jahre treffen und verlieren sie sich wieder, sie wird älter, er jünger.

Finden und verlieren

Eine intensive Liebesgeschichte erleben sie, als beide das gleiche Alter, um die vierzig, erreicht haben. Sie bekommen eine Tochter, die Caroline genannt wird nach Benjamins Mutter, die bei seiner Geburt starb. Benjamin, wohl wissend, niemals ein richtiger Ehemann und Vater sein zu können, hinterlässt Daisy und ihr sein Vermögen, – der schwerreiche Vater, der ihn ehemals abgeschoben hatte, zeigte späte Reue und machte ihn zum Erben –, geht auf Weltreisen, kehrt zurück und verbringt als Zwanzigjähriger noch eine Nacht mit der 60-jährigen Daisy.

 

Benjamin findet später, zum Kleinkind geworden, im Altersheim, in dem er aufgewachsen ist, sein letztes Zuhause. Dort kümmert sich Daisy um ihn, bis er schließlich als 85-jähriges Baby, dessen biologische Uhr aufgehört hat zu schlagen, in ihren Armen stirbt.

 

Der Film beginnt mit einer rührenden Geschichte. Im August 2005, zur Zeit des Hurrikans Katrina, erzählt die im Sterben liegende Daisy ihrer Tochter Caroline von einem blinden Uhrmacher, der gegen Ende des Ersten Weltkrieges eine Bahnhofsuhr anfertigen sollte. Der Mann ließ sie rückwärts laufen und erklärte, er habe sie so gebaut, damit die Zeit sich zurück drehe für seinen im Krieg gefallenen Sohn. In der Hoffnung, ihn lebend wieder sehen zu können.

 

Wenn das ginge … die Bahnhofsuhr wird am Ende des Films noch einmal gezeigt: Sie wurde längst abgenommen und irgendwo aufbewahrt, wo der Hurrikan sie überschwemmt, aber nicht zerstört. Sie tickt immer noch hartnäckig gegen den Uhrzeigersinn. Für das (Un-)Mögliche. Und dafür, wie zeitlos wirklich Bedeutendes ist. Sein kann. Irgendwie.

 

Das Schlusswort sei Benjamin gegönnt. Ein guter Satz.

 

»Seltsam, wie manchmal die Menschen, an die wir uns am wenigsten erinnern, uns am meisten geprägt haben.«

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Erstellt: 06.02.2021, zuletzt aktualisiert: 28.02.2024 16:07, 19424