Spiel mir das Lied vom Tod
 
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Spiel mir das Lied vom Tod

Artikel von Karin Reddemann

 

Zu dominant. Zu desillusionierend. Zu echt. Amerika hat ihn nicht gemocht, den großen, guten, bösen Film von der unvergänglichen Sterbemelodie eines untergegangenen Traums. Der Mythos vom freien, fairen, anständigen Westen hing mit Spiel mir das Lied vom Tod (im Original: C’era una volta il West, englischer Titel: Once Upon a Time in the West) am italienischen Galgen, da hockte niemand mit dem Gewehr hinter einem Baum, um den Strick mit der Kugel durchzufeuern. Der gerechte, der saubere Cowboy lag tief eingegraben unter der Erde, sittsame Frauen weinten lautlos ins blütenweiße Taschentuch, tapfere hoben die bunten Röcke. Kojoten schrien, Killer schossen, Geier warteten. Und Regie-Maestro Sergio Leone rieb sich trotz amerikanisches Missfallens, das unschwer patriotische Empörung und globalen Neid teilte, die Hände: Che successo! Welch fulminante Leistung! Che magnificenza! Welch großartiges Schauspiel!

Sauber unter dreckiger Erde

»Spiel mir das Lied vom Tod« kam 1968 in die Kinos. Zehn Jahre später sahen Kucki, Noppe und Lupus, drei brave Jungs aus der Unterprima, diesen Film, der sich längst schon mehrmals um den Globus gedreht hatte, im alten Schaumburg-Odeon zum ersten Mal. Und wollten diese Mäntel. Zumindest solche, zumindest ähnlich lange, schmutzig-sandfarbene Mäntel, die so lässig-locker an der Hüfte fallen, um den Pistolengurt darunter verbergen zu können. Die richtigen Mäntel eben, um sich in der nächsten Vorstellung zuhause zu fühlen. Und über die Harmonica (Charles Bronson) sagt:

 

»Ich hab schon mal drei von diesen Mänteln gesehen. Sie haben am Bahnhof auf jemanden gewartet. In den Mänteln waren drei Männer, und in den Männern drei Kugeln.«

 

Tatsächlich schaffte es nur Lupus, auf dem Flohmarkt in Amsterdam einen von der Sorte zu erstehen, die nach Pulverdampf und Wüstenstaub zu riechen scheinen. Noppe und Lupus trugen die speckigen Wildlederjacken ihrer Väter. Egal auch. Sie waren die Jünger. Rau, roh, männlich. Sie hörten diese göttliche Musik.

 

Und fragt man sie heute, die graugewordenen Ewig-Phantasten, wie das damals war bei »Spiel mir das Lied vom Tod«, dann zucken die Mundwinkel, als würden sie nicht wissen, ob sie lächeln oder seufzen sollen. Sie sagen »Damals war wie heute, was denn sonst?!«, und ziehen die imaginäre Hutkrempe ins Gesicht. Basta. Alles gesagt.

Sie war eine herrliche Frau

Natürlich nicht. Denn irgendwie will sie ja erklärt sein, diese Faszination eines Films, die selbst Leute packt, die gar nicht so unbedingt Genre-Liebhaber sind. Sergio Leones »C’era una volta il West«, erster Teil seiner Amerika-Trilogie (1971: Todesmelodie, 1984: Es war einmal in Amerika), ist ein Western, den wenigstens namentlich jeder halbwegs am Leben davor, dazwischen und danach Interessierte kennt. Und nicht nur ein Western. Wenn Cheyenne (Jason Robards) , der bärtige Kerl mit seinem düsteren Gestern und dem gutem Willen für das Morgen, der schönen, toughen Jill (Claudia Cardinale) sagt …

 

»Manchmal erinnerst du mich an meine Mutter. Sie war, weiß Gott, die größte Hure, die rumlief in Almado, aber sie war eine herrliche Frau. Und ob mein Vater eine Stunde mit ihr zusammen war oder einen Monat, er ist bestimmt ein glücklicher Mann gewesen.«

 

… dann ist das ein so grundehrlicher Film, dass man die unentbehrlichen, da eh unumgänglichen Leichen fast kompromisslos verzeiht. Es war eben so.

Typen wie der … waren halt so

Wenn Frank (Henry Fonda) von seinem Auftraggeber Morton (Gabriele Ferzetti) gefragt wird, warum er McBain und seine Familie erschossen hat, dann weiß man, dass es für diesen kaltschnäuzigen Mann mit seinen stahlblauen Augen gar keine Alternative gegeben hat. Typen wie der … die waren eben so.

 

»Ist dir wirklich nichts anderes eingefallen, als sie umzulegen? Ich sagte, du solltest sie einschüchtern.« – »Ich mach das eben auf meine Art.«

 

Und echte Männergespräche, die sich auf Wesentliches fixieren, klingen bei Leone eben so:

 

»Ich bin deinetwegen hier. Ich will endlich wissen wer du bist.« – »Manche Leute sterben vor Neugier.« – »Schon möglich.«

(Frank / Harmonica)

 

Oder so:

 

»Wie soll ich einem Mann trauen, der sich’n Gürtel umschnallt und außerdem Hosenträger hat? Einem Mann, der noch nicht mal seiner eigenen Hose vertraut?«

(Tod)

 

Jetzt die komplette Story von »Spiel mir das Lied vom Tod« herunterzuladen und »erstmal« (zum wievielten Mal genau?) zu sagen, wer jetzt wer ist und warum eigentlich, wäre irgendwie schon etwas lächerlich. Könnte auch verspottend wirken. Wer das Märchen nicht kennt, das ihnen gewidmet ist, – dem schweigenden, seltsamen Rächer (Harmonica), dem habgierigen, gefühlskalten Killer (Frank), der starken, sehnsuchtsvollen Witwe (Jill) und dem geschäftigen, kranken, träumenden Chef einer Eisenbahngesellschaft (Morton) –, soll es sich erzählen lassen: Auf der Leinwand. Dem Bildschirm. Von einem guten Freund, der dafür ewig dankbar sein wird.

Wahnsinnsmusik – Weltruhm

Besser vielleicht noch: Man lässt zuerst die Musik sprechen, diese einmalig schöne, beinahe opernhafte Musik, die der im Juli 2020 im Alter von 91 Jahren verstorbene Ennio Morricone noch vor Beginn der Dreharbeiten komponiert hatte und die zu Weltruhm gelangte. Unerreicht: Die klagende Mundharmonika, Schlüsselinstrument, das zur zentralen Hinrichtungsszene führt, brutal und aufwühlend, im Film gespielt von Charles Bronson, tatsächlich von Franco de Gemini. Ehre, wem Ehre …

 

Freilich bleibt Morricone die ersten dreizehn Minuten des Films stumm. Da sind die drei Männer (Franks Leute) am Bahnhof, und alles, was man hört, – und merkwürdigerweise nicht vergisst, so banal es scheint –, sind das Tickern eines Telegramms, eine klappernde Tür, das Rotieren des Windrads, das Surrren einer Fliege, Wassertropfen, die auf einen Hut fallen, knackende Fingergelenke, letztendlich das Keuchen des Kessels einer haltenden Lokomotive … und aus der steigt, anfangs nicht sichtbar, der Mann (Harmonica), auf den die drei gewartet haben. Sie sehen sich an.

 

Dann:

 

Harmonica: »Habt Ihr ein Pferd für mich?«

Snaky: »Wenn ich mich so umsehe, dann sind nur drei da. Sollten wir denn tatsächlich eins zuwenig haben?«

Harmonica: »Ihr habt eins zuviel.«

 

Erkannt. Erschossen.

Einfach. Ehrlich. Echt. So läuft das Spiel, gemeinsam entwickelt von Leone, Dario Argento und Bernardo Bertolucci, geschrieben im Teamwork mit Sergio Donati, exzellent fotografiert von Tonino delli Collis. Schach unter den Brettspielen.

Exakt in seiner Rolle: Charles Bronson, vor »C’era una volta il West« eher als (guter) Nebencharakter bekannt, ein markanter, schön verwitterter Kerl, den der große Italiener unbedingt haben wollte.

 

»Mit Bronsons Gesicht könnte man eine Lokomotive stoppen.«

(Leone)

Dieser und kein anderer

Allerdings war es genau dieses Ideal-Gesicht, das United Artists für Leones erste US-Produktion nicht passte. Der Film-Mogul wünschte einen prominenten amerikanischen Publikumsliebling als Harmonica, der Regisseur blieb beharrlich und fand in Paramount einen begeisterten und vor allem auch großzügigen Geldgeber: Drei Millionen US-Dollar standen für »Spiel mir das Lied vom Tod«, primär in Spanien/Andalusien gedreht, zur Verfügung, das war mehr als doppelt soviel Geld, wie Leone für Zwei glorreiche Halunken ausgeben durfte.

 

Henry Fonda, der für die Rolle des boshaften Killers Frank sein Hollywood-Saubermann-Image abgestreift hatte, – wohl nicht ungern, der krasse Klimawechsel reizte durchaus –, erschien zu den Dreharbeiten mit braunen Kontaktlinsen und unrasiert, um stilechter zu wirken, aber Leone hatten längst die eigenen so göttlich blauen Augen überzeugt. Zu schön für einen Bad Boy? Geht eh’ nicht.

Halunken am Bahnhof

Spannend und durchaus kurios am Rande: Es hätte Leone tatsächlich gefallen, die drei Männer am Bahnhof, Franks Leute, die Harmonica beseitigen sollten, von Lee van Cleef, Eli Wallach und Clint Eastwood spielen zu lassen.

Die Hauptdarsteller aus »Zwei glorreiche Halunken« als unsympathische (und unfähige!) Auftragskiller, denen der Tod bereits in den Augen steht? Schon absolut okay, dass Eastwood nicht konnte, weil er bereits anderweitig drehte (Hängt ihn höher). Van Cleef und Wallach wären dabei gewesen.

 

Klappte nicht.

Besser auch nicht.

Besser so.

 

(Halunken-)Ehre, wem Ehre … gut, das hatten wir schon.

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Erstellt: 07.09.2020, zuletzt aktualisiert: 25.11.2023 10:13, 18975