Die Zuflucht (Autor: Robert Kirkman; The Walking Dead 3)
 
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Die Zuflucht

Reihe: The Walking Dead Band 3

 

Rezension von Christian Endres

 

Fast ein halbes Jahr mussten sich die Fans von Robert Kirkmans The Walking Dead in Geduld üben, doch nun hat das Warten ein Ende: Kurz vor Weihnachten lässt Szenepublisher Cross Cult noch einmal die wenig idyllischen wandelnden Toten auf die adventszeitgebeutelte Leserschaft los und zeigt uns, was das Schicksal in einer von Zombies bevölkerten Welt für Rick Grimes und Co. noch an (Rück-)Schlägen, Tritten und Zombiebissen bereit hält ...

 

Rick und seine vom ewigen Dasein als Flüchtende gebeutelten und ausgelaugten Gefährten schöpfen neue Hoffnung, als sie eine Gefängnisanlage erspähen, die endlich annähernd Schutz vor den unzähligen Zombies und darüber hinaus auch noch die Möglichkeit zu bieten scheint, hinter sicheren Zäunen so etwas wie ein Leben zu führen. Doch auch im Gefängnis wandeln wieder die lebenden Toten umher und müssen erst einmal bekämpft und beseitigt werden – und was noch schlimmer ist: Auch hier setzt sich das fort, was sich schon in den ersten beiden Bänden angedeutet und mitunter auch in aller Härte und Brutalität gezeigt hat – nämlich, dass der Mensch in Extremsituationen und unter permanenter Belastung irgendwann zerbricht. Der eine früher, der andere später ...

 

Auch dass in dem Gefängnis noch einige Häftlinge zu finden sind – Mörder, Junkies, Betrüger – macht die Situation für Rick und seine Freunde nicht leichter und sorgt wieder einmal für Zündstoff innerhalb der Gruppe, die nach den Ereignissen mit beispielsweise Shane im ersten Band oder auf der Farm in Band zwei ohnehin ein Problem hat, weiterhin Menschen – Leidensgenossen – zu vertrauen. Als dann auch noch ein irrer Mörder sein Unwesen treibt und Rick und die anderen einen Zombie als Täter ausschließen können, reißen die Nerven der meisten Beteiligten – und das Unglück nimmt seinen Lauf ...

 

Der Cliffhanger am Ende des Bandes ist dann lediglich die Konsequenz des Ganzen und zeigt, dass Rick und die anderen wieder keine Zuflucht, kein gut zu verteidigendes und erhaltenswertes Refugium gefunden haben und wohl oder übel bald wieder auf der Straße unterwegs sein werden, um nach einer anderen Möglichkeit oder einem anderen Ort zu suchen, wo sie all das Chaos und all den Tod um sich herum für eine gewisse Zeit aussperren und vielleicht sogar überstehen können ...

 

Ich war mit dem zweiten Band der Reihe nicht mehr gar so zufrieden wie mit dem Einstiegsband. Band drei nun fängt sich nach etwas mehr als der Hälfte der Story wieder, was vor allem am Setting liegt. Natürlich ist es keine große innovative Herausforderung, die Kirkman bewältigt, wenn er seine Helden in einer Gefängnisanlage stranden lässt, doch gelingt es ihm einmal mehr, geschickt diese bekannten Elemente zu mixen und vor dieser angestaubten Kulisse seinen altbewährten Soap-Faktor auszuspielen.

 

Glücklicherweise belässt es Kirkman diesmal aber nicht dabei und vertraut nicht nur auf diesen Soap-Faktor, der schon in Band zwei leichte bis mittelschwere Abnutzungserscheinungen zu reklamieren gehabt hatte. Gerade zum Ende des dritten Bandes hin verlässt der Autor diese Pfade und verlegt sich auf die Provokation, ja das indirekte Streitgespräch mit seinem Leser, indem er einige essentielle Fragen der Gesellschaft aufwirft: Wer darf in einer Welt, der alle Gewalten fehlen, über Recht und Unrecht entscheiden? Darf der Einzelne für die Gruppe bestimmen, wenn er so etwas wie einen Anführer-Posten inne hat? Und wie sinnvoll ist es, über eine neue Art von Judikative, Exekutive und Legislative nachzudenken und diese auch durchzusetzen, wenn um einen herum ohnehin das Chaos tobt?

 

Diese Fragen – und die Situationen, die zu diesen Fragen führen – stehen dem Comic äußerst gut zu Gesicht und bereichern vor allem Main-Hauptcharakter Rick um einige interessante, nicht zwingend sympathische oder moralische Facetten, die uns aber bestimmt auch in den Folgebänden noch die ein oder andere gute Szene liefern dürften. Eine sehr gute Entwicklung, die dem Band zum Ende hin einiges an Drive und Schub und der Lektüre obendrein verdammt viel Biss gegeben hat. Was ich nun nur noch vermisse, das wäre endlich einmal ein Ausblick darauf, ob Rick und die anderen wirklich so abgeschnitten sind von, sagen wir, der Regierung oder der Staatsgewalt, wie es bisher den Anschein hat ...

 

Charlie Adlards Artwork war für viele ja der Kritikpunkt an Band zwei. Ich hatte mich jedoch damals schon an seinen Stil gewöhnt, und so sage ich es auch jetzt wieder: Sicherlich ist er kein Tony Moore und sein Strich gröber und weniger »realistisch« – aber deshalb zeichnet er noch lange nicht schlecht. Sein Stil passt nach wie vor gut zur Serie, zumal er stellenweise angenehm in den Hintergrund tritt und es der Story und den Dialogen überlässt, den Leser zu führen, was bei Kirkmans Erzählweise nicht das Schlechteste ist.

 

Es gibt im Moment nur ganz wenige Verlage, auf deren Publikationen ich mich so sehr freue wie auf die neusten Produkte aus dem Hause Cross Cult. Auch der dritte Teil der Endlossage über die wandelnden Toten lässt wieder keine Wünsche offen und besticht (bis auf zwei kleinere Satzfehler, die wir nun einfach mal verschmerzen wollen) einmal mehr durch eine gelungene Verarbeitung und Gestaltung, die sich darüber hinaus auch noch perfekt neben die beiden bisher erschienenen Bände der Reihe einordnet und dank der plakativen Rückentitel-Gestaltung im Regal zwischen Sin City und Hellboy einiges her macht. Dabei weiß vor allem der markante, aber eben doch sehr klare Schriftschnitt zu gefallen – und dass das passende »Endlos-Covermotiv« von Tony Moore, das sich ergibt, wenn man die Frontcover der Bände nebeneinander legt, toll ist, muss ich wohl nicht mehr eigens erwähnen. Was für ein Gimmick! Im redaktionellen Teil gibt es dann noch ein paar Infos zum Zombie in der Literatur – für mich als Bücherfreak der bisher interessanteste Part des Zombie-Guides, der ein paar Buchtitel auf meine To-Buy-Liste gebracht hat.

 

Fazit: Wenn Menschen zu Monstern werden und »Moral« nur noch ein Wort mit fünf Buchstaben ist. »The Walking Dead: Die Zuflucht« ist eine Studie in Sachen Mensch und Bestie – und eine manchmal ziemlich derbe Studie in Sachen Skrupellosigkeit und Gewalt. Einmal mehr sind es nicht die Zombies, die wir nach der Lektüre dieses Comics fürchten, sondern die Monster, die tief in unserem Innern verborgen schlummern und nur auf den Moment warten, da der Wahnsinn nach uns greift und sie mit Leichtigkeit die Barrieren niederreißen können, um unser Ich, unser Selbst zu überrennen.

 

Nach wie vor leider nicht mehr ganz so atmosphärisch dicht oder vom Tempo her so perfekt getimed wie der erste Band von Kirkmans Zombie-Saga – aber trotzdem noch eine gelungene, im Vergleich zum Vorgänger wieder deutlich gesteigerte Fortsetzung, die allen Fans der Serie richtig gut schmecken wird.

 

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Comic:

Die Zuflucht

Reihe: The Walking Dead Band 3

Autor: Robert Kirkman

Zeichner: Charlie Adlard

Cross Cult

Hardcover, 144 Seiten

Sprache: Deutsch

ISBN: 3936480338

 

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Erstellt: 28.11.2006, zuletzt aktualisiert: 11.04.2024 08:09, 3132