Ein Hut voller Sterne von Terry Pratchett
Hörbuch
Rezension von Oliver Kotowski
Tiffany Weh ist eine Hexe. Allerdings fehlt ihr die Ausbildung und in ihrer Heimat, dem Kreideland, gibt es keine anderen Hexen. Fräulein Tick bringt sie als Schülerin bei Fräulein Grad unter. Fräulein Grad freut sich – obschon sie alleine lebt – über ein drittes Paar Hände. Sie ist etwas seltsam. Doch Tiffany kommt recht gut mit ihr zurecht. Das Mädchen wird jedoch von einem uralten Wesen verfolgt – einem Schwärmer. Er nistet sich im Kopf von mächtigen Kreaturen ein und übernimmt sie um immer mehr Macht anzuhäufen – echte Magie lockt ihn ganz besonders. Annagramma, die Schülerin von Fräulein Ohrwurm, organisiert Vorbereitungstreffen für den Hexenwettstreit. Tiffanys Vorstellung fällt für sie nicht vorteilhaft aus: Genau genommen wird Tiffany wegen eines unsichtbaren Hexenhutes, den sie von Oma Wetterwachs erhielt, ausgelacht. Zurück bei Fräulein Grad wendet sie Magie an um den Hut zu suchen – der Schwärmer ist nicht weit. Auch wenn Tiffany nur mit einer Bratpfanne bewaffnet die Feenkönigin besiegte, die "Wir-sind-die-Größten!" ihr gerne helfen wollen und Fräulein Grad eine kompetente Forschungshexe ist – ein Schwärmer hat noch jedes seiner Opfer zugrunde gerichtet…
Tiffany verlässt ihre Heimat, das Kreideland, und zieht in die Spitzhornberge zu Fräulein Grad, die nur wenige Meilen von Oma Wetterwachs entfernt lebt. Zum Arbeitsbereich von Fräulein Grad zählen einige Dörfer mit der für die Scheibenwelt typischen Bevölkerung. Doch das Landleben ist keine Pastorale: Im Mittelpunkt der Betrachtung stehen die Gebrechen, die Wünsche und Charaktere der Dörfer, die z. T. über Gebühr negativ gezeichnet werden. Das Milieu wird damit zur atmosphärischen Untermalung genutzt. Insgesamt kommt dem Setting keine große Bedeutung zu.
Die zentrale Figur ist selbstverständlich Tiffany Weh. Sie ist ein elfjähriges Mädchen und hatte bisher nur das Kreideland kennen gelernt; sie ist daher bisweilen ein wenig naiv. Doch sie hat auch die Feenkönigin besiegt – sie ist ausgesprochen willensstark. Nun wird sie eine echte Hexe werden! Die Hexerei entpuppt sich jedoch weitgehend als alltäglicher Pflege- und Putzdienst. Langweiligerweise wird Magie gemieden. Tiffany ist einigermaßen enttäuscht. Als sie dann auch noch an die hochfahrende Annagramma gerät, beginnt ihr Selbstbild zu wanken. Annagramma ist eine zielstrebige Junghexe. Sie wird von Fräulein Ohrwurm ausgebildet – entsprechend hält sie nichts von Oma Wetterwachs und ihren pschikologischen Tricks, ist sie behangen mit okkultem Schmuck (Kinkerlitzchen, wie Oma sagt) und gibt mit ihrem magischen Wissen an. Sie ist sehr darum bemüht das Image der Hexerei zu verbessern und Kontakte zu pflegen. Fräulein Grad ist eine besonders selbstlose Person: Mit viel Kraft geht sie den alltäglichen Aufgaben nach: Sie bringt ihren Dörflern viel Verständnis entgegen und erledigt mit großer Selbstverständlichkeit auch niedrige Arbeiten. Mit Fräulein Grad hat Terry Pratchett etwas ganz einmaliges geschaffen, denn sie ist das Gegenstück zu einem Menschen mit Persönlichkeitsspaltung: Sie ist eine Person mit zwei Körpern. Sie gibt sich für gewöhnlich als Zwillinge aus. Die kleinen blauen Männer spielen natürlich auch wieder eine gewisse Rolle. Da Rob Irgendwer Größter der große Mann vom "Wir-sind-die-Größten!" Klan des Kreidelands ist, wird er zum Sprecher der rauf- und sauflustigen Kobolde. Sie wollen Tiffany gegen den Schwärmer beistehen, denn sie war nicht nur für kurze Zeit die Kelda des Klans, sie ist auch die Hexe des Kreidelands: Sie sagt dem Land, was es ist. Allerdings will die neue Kelda Jeannie Mac Feegle, dass Rob Tiffany ziehen und sich bewähren lässt – wer wird sich durchsetzen?
Die Figuren sind weitgehend rund und zentrisch, wenngleich sie häufig bis ins exzentrische parodierte Eigenarten haben: Abgesehen davon, dass Fräulein Grad zwei Körper hat, ist sie eine recht normale Person.
Der Plot umfasst drei Themen. Etwa gleich viel Raum nehmen Tiffanys Entwicklung und die Bedrohung durch den Schwärmer ein; etwas weniger die besonders für den Scheibenweltenthusiasten interessanten Erläuterungen zum Wesen der Hexerei, die eng mit Tiffanys Entwicklung verknüpft sind. Während die Bedrohung wesentlich augenfälliger ist, tritt die Entwicklungsgeschichte etwas in den Hintergrund; spannend wird sie vor allem dann, wenn man die Geschichten um Tiffany als Reihe hört.
Vom Plot her ist dieses meiner Ansicht nach die schwächste Tiffany Weh Geschichte: Die Höhepunkte der einzelnen Stränge liegen zu weit auseinander, Tiffanys Entwicklung lässt sich als Hörbuch nur schwer einfangen und gibt in diesem Kontext als Kontrast zum Schwärmer nur begrenzt viel her; schließlich spürt man leider die Kürzungen. Das macht die Geschichte nicht zu einem Reinfall, denn es gibt immer noch einige sehr spannende und komische Stellen, aber gut ist es leider auch nicht mehr.
Als Zielgruppe kommen in erster Linie ältere Kinder und jüngere Jugendliche in Frage – und natürlich Erwachsene, die an Kinder- und Jugendbüchern ihren Spaß haben.
Zwar gibt es nur wenige Anknüpfpunkte zu anderen Scheibenweltgeschichten – wer Fräulein Ohrwurm und den Hexenwettstreit aus Das Meer und kleine Fische nicht kennt wird dennoch Oma Wetterwachs kennen – aber verweist auf allerlei Details aus Freie kleine Männer. Die wichtigsten Punkte werden jedoch erläutert – sogar einige, die den Kürzungen des vorigen Hörbuchs zum Opfer gefallen waren.
Wie bei den anderen Tiffany Weh Hörbüchern trägt Boris Aljinowich die Geschichte fabelhaft vor: Seine Gabe den Figuren eigene Stimmen zu verleihen ist außergewöhnlich. Leider findet er hier keine Gelegenheit sie voll auszuschöpfen – es wirkt oftmals ein wenig routiniert. Es ist wieder eine inszenierte Lesung; die Geräuschkulisse wird im Großen und Ganzen gelungen eingesetzt. Es fragt sich allerdings manchmal, ob es wirklich sinnvoll ist, dass dieses oder jenes Geräusch ertönt vorzulesen und dazu im Hintergrund einzuspielen. Wie üblich ist der bearbeitete Hörbuchtext gekürzt – leider sind dieses mal 280 Minuten zu knapp.
Fazit:
Tiffany Weh verlässt das Kreideland um eine richtige Hexe zu werden – doch ein brandgefährlicher Schwärmer ist ihr auf der Spur. Die zweite Geschichte um Tiffany Weh ist trotz Boris Aljinowichs Talent zugleich die bisher schwächste, was vor allem an den Kürzungen für die Hörbuchfassung liegt. Dennoch ist es gute Unterhaltung, wenn auch nicht für den Neueinstieg geeignet; wer aber Freie kleine Männer gerne hörte, für den wird sich auch Ein Hut voller Sterne lohnen (besonders wenn man danach das exzellente Winterschmied hören will).