Essay: Der Mann, der nicht mehr raucht
 
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Der Mann, der nicht mehr raucht

Ein Essay von Karin Reddemann

 

Richard Morrison ist komplett weg vom Nikotin. Klingt vernünftig. Seine letzte Zigarette war ein besonderer Moment. Als er sie rauchte, packte ihn die Panik. Klingt merkwürdig.

 

Wenn Morrison wieder angefangen hätte, wären seine Frau und sein Sohn mit Stromschlägen getötet worden. Klingt furchtbar.

 

Klingt (wissen wir) nach Stephen King. Der hat die Erzählung von dem Mann, der dem Nikotin abschwören wollte, in den 1970ern geschrieben, ergo zu einer Zeit, in der Raucher noch nicht ganz offiziell die Pest am Hals hatten. Veröffentlicht wurde Quitters erstmalig in Nachtschicht (Night Shift, 1978), Kings erster Kurzgeschichtensammlung, erschien danach auch in Trucks und Katzenauge (beide 1986) und wurde 1985 mit James Woods als Morrison für die Horror-Episoden-Produktion Cat’s Eye (Regie: Lewis Teague) verfilmt.

Fein ganz fies gedacht

Grundidee: Wer einem Laster frönt, von dem er sich verabschieden will, und diesen Entschluss an bestimmter Stelle recht überzeugt verkündet, sollte das auch ernst meinen. Sonst könnte Unangenehmes passieren. Vorausgesetzt, die bestimmte Stelle ist der Kopf eines fein-fiesen Denkers wie King, der sich grob Nettes hat einfallen lassen für das Seelenheil seines Süchtigen.

 

Hätte freilich noch bissiger sein dürfen. Es wird ein wenig gefoltert, aber es kommt niemand böse um. Am Ende sind alle glücklich, gesund und zufrieden, nur einer Frau wurde wegen der unentschuldbaren Disziplinlosigkeit ihres Mannes ein Finger abgeschnitten (s. u.). Irgendwie harmlos.

 

Wäre da nicht der Leidensweg des armen Morrison. Der Mann geht durch die Hölle. Man bedenke: Ein starker Raucher will aufhören und darf von nun an nie wieder. Definitiv. Unabänderlich. Kein Ich-hab’s-mir-anders überlegt. Kein Mogeln in dunkler Ecke, kein Ach-nur-einmal-ziehen in, vor, hinter der Kneipe, kein Heimlichtun unter der Dusche, kein Betthupferl um Mitternacht auf dem Balkon. Nichts geht mehr. Weil man auf Schritt und Tritt beobachtet wird. Weil man bestraft wird, wenn man nicht brav bleibt.

Bloß brav bleiben!

Die finstere Vorstellung quält. Sollte sich aber für uns, lassen wir »Quitters« mal Revue im Hirn passieren, nicht lediglich auf das Rauchen reduzieren. Das wäre zu simpel, da sollte bloß niemand schadenfroh unken. Salat und Gemüse statt Schnitzel und Torte, Wasser und Obst statt Bier und Schnaps, Fremdsprache und Zeitung statt PC-Ballergame und Trash-TV, das wären gute Deals für anderweitig bedauernswert Geschädigte. Ergo denn: Wer weiter qualmt, sich vollstopft, säuft, dabei noch verblödet und sich nicht an die (notwendige!) Abmachung hält, kriegt die Quittung. Eine ähnliche wie Morrison. Eine krassere natürlich. Die Zeiten sind härter geworden.

 

Darauf zielt der indische Regisseur Anuray Kashyap in No smoking aus dem Jahr 2007. Sein Film basiert auf Kings Short-Story und ist ein irres, düsteres Schauer-Panik-Fantasy-Szenario mit verspäteter Würdigung. Heißt: Die leicht durchgeknallte, aber sehr wohl auf ihre »freakige« Art stimmige Geschichte des Kettenrauchers Karan Anand (John Abraham), der mit einem geheimnisvollen Heiler einen faustischen Anti-Sucht-Deal eingeht und die Psycho-Hölle durchlebt, war zwar ein Kinokassen-Flop und wurde mit ausgesprochen gemischten Kritiken betrachtet. »No smoking« gilt aber mittlerweile als kultig angehauchter Extrem-Tip. Ultimativer Hinweis hier (und sonstwo): Nerven behalten!

 

Es gibt da diese einprägsame Szene in Ghost (1990, Regie: Jerry Zucker), in der Sam (Patrick Swayze) den schlechtgelaunten Geist aus der U-Bahn trifft, der mit geballter Konzentration Gegenstände bewegen kann. Dieser Geist zerstört in seiner Wut einen Zigarettenautomaten, die Schachteln fliegen heraus, er erstarrt, guckt, windet sich, greint, jammert, was er für nur einen Zug geben würde, nur noch einmal einen Zug …

Nur ein letzter Zug!

Darüber mag ein Nichtraucher grinsen. Tatsächlich ist es wenig witzig, eher tragisch. So tragisch, wie ein Fress-, Sex-, Spiel-, Alkoholsüchtiger es empfinden würde, wäre er denn tot und kompromisslos ein Geist und müsste nur noch zuschauen. So was wäre wohl persönlicher Horror für die Ewigkeit.

 

Andere dürfen und können, man selbst spukt nur noch unbefriedigt und zornig in seinen alten Beerdigungsfetzen herum. Für eitle Menschen müsste das auch brutal sein. Nie wieder schön machen. Nur noch Voyeur spielen. Grauer Nebel sein und bleiben. Neidvoll starren. So verbittert. So finster irgendwann. Denn wenn man sowieso tot ist … egal jetzt.

 

Kurz skizziert die Story: Richard Morrison, überarbeitet, abgenervt und auf Zigaretten fixiert, trifft einen alten Bekannten, ehemals starker Raucher, der blendend aussieht, sich großartig fühlt und auf die Abgewöhnungsmethode der Nonfumo-Gesellschaft mit 98-prozentiger Erfolgsgarantie schwört. Er erhält eine Visitenkarte, aber keine Infos, da der Bekannte Schweigepflicht unterzeichnet hat. Morrison, mehr halbherzig, aber neugierig, geht Wochen später hin, ist skeptisch, wird aber geschickt überrumpelt. Heißt: Unverhofft befindet er sich in einer Situation, die keine Entscheidungsfreiheit mehr erlaubt. Man kontrolliert ihn, schüchtert ihn mit vorgehaltener Pistole ein, droht ihm, warnt ihn, alles über seinen Sohn zu wissen, setzt seine Frau Stromschlägen aus, als er ein einziges Mal schwach wird und klammheimlich (denkt er) einige Züge nimmt.

 

Tatsächlich schafft Morrison es, nicht mehr zu rauchen, wird aber darauf hingewiesen, dass die Ersatzbefriedigung Essen auch nicht geduldet würde. Bei erster unzulässiger Gewichtszunahme wäre der erste von den zehn Fingern seiner Frau fällig. – Als Morrison seinen alten Bekannten im Beisein von dessen Ehefrau wiedertrifft, geht es ihm prächtig. Sein Blick fällt auf die rechte Hand der Frau. Ein Finger fehlt.

Hände weg, sonst …

Gut. Das geht ja noch. Irgendwie. Wäre vielleicht interessant, zu erfahren, was den zwei Prozent, die es nicht gepackt haben, abhandengekommen ist. Hände. Arme. Köpfe. Vermutlich. Alles von unschuldigen Familienangehörigen. Verstümmelt, ausgelöscht, weil jemand das Rauchen und später dann das Schlemmen nicht lassen kann. Schlimm. Gehört aber nicht hierher.

 

In »Quitters« durchlebt Morrison nicht nur das übliche Entzugsprocedere, er hat es neben psychischer und physischer Plage noch mit zwei weiteren, stärkeren und gemeineren Teufeln zu tun: Da ist die Angst um die Menschen, die er liebt, da ist der Terror, permanenter Bespitzelung, ob im Park, im Auto, im Bett oder auf der Toilette, ausgesetzt zu sein.

 

Beides furchtbar, natürlich. Wäre ein Grund …

 

Ist aber nicht echt. Ist King. Eben. Oder doch nicht so falsch?

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Erstellt: 27.09.2020, zuletzt aktualisiert: 31.05.2022 08:09, 19027