Ewige Nächte (Autor: Neil Gaiman; Sandman)
 
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Sandman: Ewige Nächte

Rezension von Christian Endres

 

Als fest stand, dass nach Speed nun Panini hierzulande mit den Vertigo-Lizenzen hantieren würde, war klar, dass zumindest eine Serie definitv auf dem Veröffentlichungskalender der Paninis fest eingeplant war: Die Rede ist natürlich von Neil Gaimans bahnbrechender Reihe Sandman, deren lange geplante Neuauflage hierzulande nun endlich ab Februar 2007 im einheitlichen Design erscheinen wird. Pünktlich zur Comic Action in Essen Mitte Oktober lieferte Panini unter dem neuen Reihentitel Vertigo Select allerdings schon den ersten kleinen Vorgeschmack auf Gaimans Epos über die Reiche und Belange der Ewigen und brachte die Kurzgeschichtensammlung »Ewige Nächte« aus dem Jahre 2003 heraus, in der diverse Künstler sich sieben von Gaimans Kurzgeschichten aus dem Sandman-Universum annahmen und damit die Rückkehr des Meisters zu seiner phantastischen Graphic Novel-Reihe illustrierten ...

 

Nach einer Einleitung vom Kultautor und Meister höchstpersönlich – teils Information zu den folgenden Stories, teils Erinnerungssequenz an ein Leben mit [und mit der Arbeit an] dem Sandman – stürzen wir uns auch sogleich auf die erste Geschichte aus Gaimans Feder über die Ewigen: In Death: Tod in Venedig, illustriert von P. Craig Russel, helfen wir und ein Soldat auf Freigang der schnuckeligen Death, eine durch und durch dekadente Seifen(zeit)blase zum Platzen zu bringen, ehe im sehr schön gezeichneten, aber auch ziemlich freizügigen, ja wollüstigen Desire: Der Geschmack der Begierde der Name der Geschichte Programm ist und wir von einem/einer Ewigen mit goldenen Augen – und durch die Augen einer schönen, starken jungen Frau – gezeigt bekommen, was echte Begierde, aber auch, was echtes Leben ist. Dream: Das Herz eines Sterns ist eine wunderbare, phantastische, traumhafte und auch optisch sehr schön und gefühlvoll zu Papier gebrachte Story inmitten des Universums und der Ewigen/Ewigkeit, in deren Verlauf wir nicht nur Dream, den Herrn allen Träumens, sondern auch einige seiner zeitlosen Brüder und Schwestern sehen. Das Ende der Geschichte besitzt einen zärtlichen Hauch von Melanchonie, der sich auch allenthalben in Träume zu schleichen scheint, und demonstriert recht eindrucksvoll Gaimans außergewöhnliches Feeling für kluge, schön-traurige Geschichten. Despair: 15 Portraits ist das vielleicht künstlerischste und am schwersten verdauliche Element dieser Sammlung, für das man Lust und Muße haben und auf das man sich einlassen muss – und selbst dann weiß es keinesfalls auf ganzer Linie zu überzeugen, da es einfach zu unkonventionell ist (gerade nach den ersten drei sehr schönen, aber summa summarum eben doch auch sehr bodenständigen und halbwegs linearen Geschichten über Death, Desire und Dream). Das Artwork der anschließenden Geschichte, Delirium: Von Innen, hat Bill Sienkiewicz besorgt – die übliche Mischung zwischen Comic, Kunst und Collage. Das gefällt, wie schon die Illustration zur Story mit Despair, abermals nicht jedem, steht aber bestens für den teilweise sehr experimentellen Charakter, die experimentelle Tradition der Sandman-Comics. Doch keine Panik: Mit Destruction: Auf der Halbinsel wird es wieder ein bisschen mondäner – zumindest was die Optik anbelangt. Destiny: Ewige Nächte ist dann das abschließende Meisterwerk, in dem uns Gaiman und Ausnahmekünstler Frank Quitely in den labyrinthartigen, verzweigten Garten des Schicksals führen. Die Geschichte eines Buches, die Erklärung und Definition von Schicksal, die Aussicht auf die letzte Seite besagten Buches – und unterm Strich ein toller, würdiger, grafisch beeindruckender Schlussakkord dieses Bandes.

 

Neil Gaiman ist als Autor mittlerweile unangefochten und in der unantastbaren First Class der zeitgenössischen (und keinesfalls nur phantastischen!) Literatur angekommen. Das ist oftmals sehr gut und der Nährboden seiner in vielerlei Hinsicht zauberhaften Werke – aber manchmal eben auch der Nährboden von zu vielen »gefährlichen« Extravaganzen, Spielereien und Phantastereien. Gaiman genießt Narrenfreiheit und ähnelt von diesem Standpunkt aus betrachtet manchmal durchaus Alan Moore. Im Moment sind die »Spinnereien« von Gaiman größtenteils sicherlich noch vertretbar und bieten gute bis sehr gute Unterhaltung – wie lange das aber noch gut geht, werden künftige Werke zeigen (wobei Gaimans letzte Romane ja schon nachgelassen haben; ob die Verfilmung von »Sternwanderer« der Narrenfreiheit die Zähne zieht, wage ich jedenfalls zu bezweifeln ...). Zumindest der ein oder anderen Story von »Ewige Nächte« merkt man schon an, dass Gaiman sich keine Gedanken mehr um Konventionen macht. Andererseits: Gäbe es Sandman in diese epischen Form, diesem märchenhaften Glanz und mit diesem pompösen Hauch von Revolution, wenn Gaiman sich in den letzten beiden Jahrzehnten jemals allzu sehr um Konventionen geschert hätte?

 

Und nicht nur inhaltlich scherten sich die an Gaimans Epos über die Ewigen beteiligten Künstler nur selten um Konventionen. Künstler wie Bill Sienkiewicz haben sich noch nie um Konventionen gesorgt und fangen, wenn sie einmal mehr mit Neil Gaiman (oder Frank Miller oder sonst wem aus dieser Kategorie) zusammenarbeiten, auch sicher nicht ausgerechnet jetzt damit an. Trotzdem muss ich gestehen, dass mir die (im Vergleich zu Sienkiewicz) etwas »biedereren« Zeichnungen von P. Craig Russel oder Milo Mandara besser gefallen haben als die Spielereien einiger anderer Artists. Der Mittelweg war allerdings oftmals der beste, und so räumen Frank Quitely und Miguelanxo Prado von all den sieben Zeichnern die Preise für das in meinen Augen schönste Artwork ab.

 

Um dieser Rezension noch eine eher persönliche Note zu geben: Die drei Geschichten, die mir sowohl vom Inhalt, als auch von ihrem optischen Gewand her am besten Gefallen haben, sind die Stories um die Ewigen Destiny, Desire, Dream und Death. Die Geschichte von Destruction dient als wenigstens optisch recht ansprechendes Bindeglied im Mittelfeld, wohingegen ich mit der Story um Delirium sowie den Portraits von Despair nicht wirklich etwas anfangen konnte und höchstens die künstlerischen Innovationen dahinter sehe (und auch das, wie ich zugegeben muss, nur bedingt).

 

Man könnte das Design und die Aufmachung dieses Comicbandes auf einen aussagekräftigen Satz reduzieren: Dave McKean ist ein Gott, wenn um die Gestaltung von Comics oder Büchern oder Artbooks geht. Manchmal ist die Lesbarkeit zwar an den Rand der Tollkühnheit gedrängt (siehe das Vorwort von Gaiman), doch alles in allem ist das ganz, ganz großes Kino, ja große Kunst, wie McKean Printprodukte zu illustrieren und zu layouten pflegt. Ab und zu schießt er dabei zwar übers Ziel hinaus und übertreibt es ein wenig oder wird zu mikrotypographisch, da die Eyecatcher zu viel Platz für sich beanspruchen, doch damit steht er ja in bester Tradition der Sandman-Comics. Im Großen und Ganzen ist es einfach nur eine faszinierende Tour de Graphics, auf die McKean uns mitnimmt, die darüber hinaus natürlich auch ein fester Teil der Sandman-Erfolgsgeschichte ist und nicht unterschätzt werden sollte – nicht nur, aber spätestens seit der einheitlichen, überarbeiteten Gesamtausgabe des Fantasy-Epos im Trade. Dazu kommt ein sehr schönes, stimmungsvolles Cover, gutes Papier, ein sauberes Druckbild, eine schmucke Klappenbroschur und am Ende noch ein paar Infos und Portraits von Neil Gaiman und den einzelnen Zeichnern, die ihm zur Seite gestanden haben – das ist schon eine feine Sache und ein ziemlich rundes Ding, das uns Panini da mit dem ersten Panini-Sandman-Band bzw. dem ersten Comic unter der neuen Reihe Vertigo Select vorlegt.

Fazit

Ob dieser Band jedem Comicleser gefallen wird oder der optimale Einstieg ins Sandman-Universum ist, sei einmal dahingestellt. Fakt ist jedenfalls, dass »Ewige Nächte« eine inhaltlich wie optisch abwechslungsreiche Fahrt, ja genauer gesagt Neil Gaimans herbei gesehnte Rückkehr ins Reich der Ewigen ist, wo Gaiman und die Künstler an seiner Seite die volle Bandbreite des Mediums nutzen und uns in eine märchen- und traumhafte Welt mit epischen Grundzügen entführen.

 

Dass dabei – je nach Geschmack – immer ein paar Geschichten dabei sind, die einem besonders gut gefallen, aber eben auch Geschichten, die einem von der Story oder dem Artwork her überhaupt nicht schmecken wollen, ist für eine vielseitige Sammlung wie die vorliegende eigentlich ganz normal und weder ein euphorisiertes Bekenntnis, noch ein negatives Statement, sondern schlicht eine nüchterne Aussage zum üblichen Prozedere bei Anthologien und Kurzgeschichtensammlungen – selbst wenn sie mit Neil Gaiman zu tun haben.

 

Sandman-Comics waren noch nie ganz so leichte Kost, weder vor fünfzehn Jahren, noch heute – aber sie gehörten schon immer mit zum Besten und Modernsten, was das Medium in den letzten zwanzig Jahren hervor gebracht hat. »Ewige Nächte« ist hierbei keine Ausnahme. Ein leuchtender Fixstern, der aus der ewigen Finsternis des Mainstreams erstrahlt – und die perfekte Einstimmung auf die kommende Gesamtausgabe bei Panini.

 

Superbe und märchenhafte, wenn im Fall dieser Rückkehr auch nicht immer ganz überzeugende Unterhaltung von einem der rennomiertesten, aber eben auch talentiertesten und außergewöhnlichsten Erzählern der Gegenwartsliteratur und einigen der gefragtesten Zeichnern abseits des Mainstreams.

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Comic:

Sandman: Ewige Nächte

Original: The Sandman: Endless Nights

Autor: Neil Gaiman

Zeichnungen: Glenn Fabry, Milo Manara, Frank Quitely, P. Craig Russel und Bill Sienkewicz

Taschenbuch, 164 Seiten

Panini, November 2006

 

ISBN-10: 3866072708

ISBN-13: 978-3866072701

 

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Erstellt: 30.12.2006, zuletzt aktualisiert: 24.03.2024 11:01, 3285