Flatliners: Heute ist ein schöner Tag zum Sterben
 
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Flatliners: Heute ist ein schöner Tag zum Sterben

Artikel von Karin Reddemann

 

Das war so ein Film, den mussten wir gucken. Wir, das sind die vor 1970 Geborenen. Und Flatliners, das war unsere Generation, unser Gewissen, das waren unsere Leute, die da vor der Kamera standen und mit dem Tod spielten. Studenten auf der Fahrt in ihre persönliche Hölle.

 

Rückfahrticket natürlich eingeplant, wir waren schlau. Verdammt schlau und irgendwie doch nie clever genug. Nie rationell genug. Wenn es ans Eingemachte ging, dann war sie wieder da, die Angst vor unseren Alpträumen, die wir glaubten, im Keller gelassen zu haben, weil wir endlich so richtig erwachsen waren. Wir haben geirrt. Die Dunkelheit ist immer noch da. Und im Kopf spukt es weiterhin.

Im Kopf spukt’s weiter

Schön, es gibt Schlimmeres als Flatliners (übersetzt: Patienten mit Herzstillstand), und so mancher vom düsteren Zeitgeist Verwöhnte mag müde lächeln, wenn wir sagen, dass wir das damals schon recht krass fanden. Wir waren aufgekratzt, wir wollten das wissen, das sehen: Eine Uni-Clique, Jung-Mediziner in spe, die sich in den Todesschlaf versetzt, um zu gucken, was passiert.

 

Gibt es Himmel, Hölle, irgend was dazwischen, sind da Geister, Engel, ist da alles oder gar nichts … spannende Frage, so alt wie die erste Vorstellung vom nächsten Sonnenaufgang.

 

Im Lexikon des Internationalen Films klingt das etwas hölzern, trifft aber denn doch, was man kurz und knapp darüber sagen könnte:

 

»Weitgehend stimmiger, stellenweise mit hohem Tempo effektvoll inszenierter Horrorfilm, in dem der subtile Schrecken vorherrscht. Eine interessante Gratwanderung zwischen Metaphysik, Medizin und Psychologie.«

 

Zeitlose Nervensache

Einige Worte mehr hat »Flatliners«, versehen mit dem markigen Zusatztitel »Heute ist ein schöner Tag zum Sterben«, aber zweifellos verdient. Stark gespielt ist das Ganze, und das Thema, wie auch immer es durchdacht, gemacht, verarbeitet wird, gilt zeitlos als schillernde oder eben auch tiefdüstere Nervensache.

 

Grundsätzlich ist »Flatliners« eine klasse Idee. Hätte, – natürlich –, derber, phantasievoller, effektheischender umgesetzt werden können. Hätte. Gut. Wir vergessen nicht, dass das Ganze ein Vierteljahrhundert her ist.

 

Wir vergessen auch nicht, dass es tatsächlich unsere (nicht eure!) Lieblinge waren, mit denen wir fühlten und den Schauer teilten, der am Rücken empor krabbelte: Julia Roberts (Rachel), Kiefer Sutherland (Nelson), Kevin Bacon (Dave), William Baldwin (Joe), Oliver Platt (Randy) …

Schauerbild vom eigenen Billy

Und wir vergessen Billy Mahoney nicht. Den in der Kindheit gemobbten kleinen Billy, der uns irgendwie plötzlich nach all den vielen Jahren wieder einfällt und bei dem wir uns verschämt entschuldigen würden. Dem wir unsere Hand, unser Versprechen geben würden. Wenn wir könnten, wenn das noch ginge.

 

So ein personifiziertes Schuldgefühl kennen wir alle. Meines heißt Marion, war dick, schüchtern und konnte in der zweiten Grundschulklasse noch nicht lesen. Gutes Mädchen, böses Mädchen … Lange her. Trotzdem.

 

Der Billy im Film gehört zu Nelsons Vergangenheit. Nelson ist im Film (Regie: Joel Schumacher, Kinostart 1990) Leitwolf der Fünf, die gemeinsam Medizin studieren und heimlich mit Hilfe modernster Technik bedenkliche Selbstversuche durchführen. Der ehrgeizige Nelson, überzeugt davon, dass seine Experimente mit Atemstillstand, Scheintod, Auferstehung und Nebulösem in der Zwischenwelt nobelpreisverdächtig sein könnten, lässt sich als Erster für eine kurze Zeitspanne in den Zustand des klinischen Todes versetzen und anschließend wiederbeleben. Es folgen Joe, Dave, Rachel, die Abstände zwischen Sterben und Erwachen werden länger, die Erfahrungen im Todesschlaf sind durchweg subjektiv, beklemmend, verstörend und wirken nach.

Im Todesschlaf auf Reise

Die jungen Leute kämpfen nach ihren Trips ins eigene Irgendwo mit durchaus (zu-)packenden Tagträumen, Visionen und Erinnerungen, haben sichtlich Mühe, sich darüber untereinander auszutauschen und müssen, jeder für sich, erkennen, in welch unergründlich tiefe Dimension sie sich vorgewagt haben. Was tatsächlich geschieht, – oder auf rein psychischer Spur abläuft –, vermischt sich.

 

Zumindest die Blessuren von Nelson sind echt. Er wird verfolgt vom kleinen Billy, den er als Junge gemeinsam mit Freunden über ein Feld jagte, der dann aus Angst auf einen Baum kletterte, hinunterfiel und starb.

 

Am Ende darf er Frieden schließen, am Ende ist überhaupt alles besser, da befreiender als zuvor und trotzdem bleibt alles, wie es war. Mit dem Unterschied, dass sich aus den Nischen des (Unter-)Bewusstseins etwas, – und davon leider zu wenig (leise Kritik ist das jetzt!) –, nach vorn gebohrt hat und nicht wieder verschwindet.

 

Die Versöhnung mit dem Schicksal steht als Lebensprogramm, das selten beeinflusst, oft aber irgendwie grade gebogen werden kann. Was neben Nelson die anderen vier erfahren, – Rachel trifft ihren Vater wieder, Vietnamheimkehrer, von Drogen und Traumata zerstört, ein Selbstmörder, Agnostiker Dave trifft ein vergessenes Mädchen … –, ist sehenswert.

Kombiniere: Richtig mit falsch

Denkenswert im Ansatz auch. »Flatliners« ist kein Film, der auf Lösungssuche geht, Wahrheiten offerieren will oder Patentrezepte für das, was sein könnte, liefert. Er kombiniert aber auf gelungene Art Psycho-Horror mit Theorien, Realität mit Halluzinationen, Hirngespinste mit ethischen Fragen. Richtig mit Falsch. Das macht er wirklich gut.

 

 

Für uns, die vor 1970 Geborenen, braucht nicht mehr gesagt zu werden. Wir fühl(t)en unser Gewissen, unsere Unruhe, unsere Möglichkeiten verstanden.

 

Für die Jüngeren wird bald schon gesorgt sein: Eine Neuauflage von »Flatliners« (Regie: Niels Arden Opley) mit u. a. Diego Luna und Ellen Page in den Hauptrollen ging 2017 über die Leinwand.

 

Wir Verschworenen bleiben und blieben Altbewährtem treu. Und guckten, – so manche zumindest –, trotzdem. Muss(te) aber wirklich nicht sein. Und … schon wieder vergessen.

 

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Erstellt: 01.08.2021, zuletzt aktualisiert: 09.04.2024 19:17, 19954