Ghost in the Shell – Stand Alone Complex
Rezension von Christel Scheja
Masamune Shirow gehört zu den Ausnahmetalenten unter den japanischen Manga-Zeichner, ist einer der wenigen, der sich nicht lange den Bedürfnissen und dem Tempo eines Verlages unterordnen musste, sondern sehr schnell auch nach eigenem Tempo arbeiten und Ideen nach seinem Gusto umsetzen konnte, ohne sich dreinreden lassen zu müssen.
Neben „Appleseed“ schuf er mit „Ghost in the Shell“ einen auch international geschätzten Sci-Fi-Klassiker, der dem Cyberpunk ein ganz besonderes Gesicht verlieh. Der entsprechende Kinofilm wurde zu einem weltweiten Erfolg bei Kritikern und Publikum.
2002 entstand dann eine 26-teilige Animeserie unter dem Titel „Ghost in the Shell – Stand Alone Complex“, die sich zwar weiterhin des Hintergrunds und der wichtigen Inhalte des Originals bediente, aber auch viele eigene Geschichten erzählte, um so dem Universum neue Facetten hinzuzufügen. Die Serie lief im deutschen Fernsehen bereits 2006 auf MTV und wurde kurze Zeit später auf acht DVD's veröffentlicht. Nipponart hat die Saga nun komplett als „Collectors Edition“ neu aufgelegt.
Im Mittelpunkt steht die Spezialeinheit „Sektion 9“. Sie gehören der Polizei in der fiktiven Hafenstadt Niihama-shi (Port City) an und beschäftigen sich mit ganz besonderen Fällen aus den Bereichen Cyber-Kriminalität, Terrorismus und Spionage, wenn die normalen Abteilungen nicht mehr weiter kommen.
Sie haben bei ihren Ermittlungen eine ungewöhnlich hohe Erfolgsquote. Das liegt nicht nur an dem Team, in dem sich die besten Spezialisten versammelt haben, sondern auch an Major Makoto Kusanagis pragmatischer Hartnäckigkeit. Sie selbst weiß nur zu genau, wie leicht man die Errungenschaften der Technik fehlinterpretieren oder missbrauchen kann, ist sie doch selbst ein Cyborg, wenn auch niemand ihrer Kollegen weiß, bis zu welchem Grad.
Nur an dem „Fall des lachenden Mannes“ beißt Sektion 9 sich schon seit Jahren die Zähne aus, denn wann immer die Ermittler glauben, dass sie endlich genug Beweise haben, um jemanden festzunageln, tauchen neue, leider entlastende Indizien auf, die alles über den Haufen werfen. Und es scheint, als hätte der wahre Täter immer wieder Spaß daran, sie an der Nase herumzuführen oder vor den Kopf zu stoßen. Denn mehr als einmal ist ein Fall mit dem Unbekannten enger verbunden als dem Team von Sektion 9 lieb ist.
Doch das ist nicht das Einzige, was sie beschäftigt. Gerade die Vernetzung der Menschen durch die sogenannten Cyberbrains, hat neue, vielfältige Arten von Verbrechen geschaffen, einige davon sind gezielt in die Wege geleitet worden, andere wieder eine Verkettung unglücklicher Zufälle. Allerdings sind die Grenzen fließend. Schon das Attentat auf den japanischen Außenminister, bei dem eine Sekretärin ums Leben kommt, macht die Ermittler stutzig, entdecken sie am Tatort doch nach oder nach immer mehr Hinweise auf Machenschaften, die einen internationalen Zwischenfall provozieren könnten, den niemand will.
Dann wieder läuft ein kybernetischer Tank Amok gesteuert durch einen persönlichen Autorisierungscode? Ist das das letzte Vermächtis seines Erfinders, der nur eine Woche vorher verstorben ist?
Genauso müssen sie heraus finden, warum sich eine ganze Reihe von Androiden ohne ersichtlichen Grund umgebracht haben, wer sich in das Ministerium für Wohlfahrt, Gesundheit und Arbeit gehackt und wichtige Daten gestohlen hat, oder wie sie die vor sechzehn Jahren entführte Tochter des Firmenchefs einer innovativen Kybernetik-Firma retten können.
Und auch die Tachikomas, die experimentellen Roboter der Einheit, die die Menschen bei der Arbeit unterstützen entwickeln mit der Zeit eigenwillige Charakterzüge, die eigentlich nicht zu ihrer Programmierung gehören.
Alles in allem wartet so jeder Tag mit mindestens einer neuen und manchmal sehr unangenehmen Überraschung auf, die nicht wenige der Mitarbeiter bis zu ihren Grenzen treibt. Nur Major Kusanagi scheint seltsam unberührt von allem zu bleiben … oder?
„Ghost in the Shell – Stand Alone Complex“ mag zwar immer wieder atemberaubend animierte Action in Form von Zweikämpfen und Verfolgungsjagden in der realen und virtuellen Welt bieten, stellt diese aber definitiv nicht in den Vordergrund.
Die Macher legen sehr viel Wert auf eine ausgefeilte Handlung vor einem Hintergrund, der sich dem Zuschauer mit jeder Folge mehr erschließt, entwickeln die Figuren oder deren Beziehung zueinander durchaus weiter und stellen sich auch ernsthafteren Themen.
Was ist, wenn Menschen in der virtuellen Welt mehr Glück und Zufriedenheit finden als in der realen? Kann ein kybernetisches Bewusstsein die Gefühle eines Kindes verstehen lernen und dadurch menschlicher werden? Wo soll man überhaupt die Grenze zwischen Mensch und Maschine ziehen, wenn es denn eine gibt, da es mittlerweile die entsprechenden Hybriden gibt? Welche Gefahren tragen die Cyberimplantate in sich, die es erleichtern, Daten zu übermitteln oder auszutauschen? Wie nah liegen Nutzen und Missbrauch beieinander, wenn es um politische oder wirtschaftliche Interessen geht?
Auch wenn die Kriminalfälle im Vordergrund stehen, fängt man doch immer wieder an, darüber nachzudenken und Partei zu ergreifen. Denn in den einzelnen Geschichten geht es immer wieder um die Menschen, die aufgrund dieser hoch entwickelten Technik zu Opfern werden, sei es nun, weil andere nicht genug Kontrolle, Macht oder Aufmerksamkeit bekommen oder die kybernetische Technik Fehlfunktionen hat. Oder um das Zusammenspiel von künstlicher Intelligenz und menschlichen Gefühlen.
Sind die ersten Episoden nur locker miteinander verknüpft, so zieht der rote Faden im Verlauf der Geschichte doch deutlich an und gerade die letzten Folgen hängen deutlich zusammen, wird es doch ernst, was den „Fall des lachenden Mannes“ betrifft. Nach und nach fügen sich die Hinweise zusammen und sorgen dafür, dass das Team nicht nur bei der aktuellen Arbeit voran kommt. Aber wie so oft ist auch jetzt nicht vorausplanbar.
Das Ermittlerteam wächst einem nach und nach ans Herz. Es mag zwar sein, dass man nicht ganz so viel über ihre Vergangenheit erfährt, da man sie fast nur bei ihrer Arbeit und selten Zuhause oder in der Freizeit sieht, hin und wieder vertiefen aber dennoch kleine Hinweise und Andeutungen auf gewisse Schlüsselmomente in ihrer Vergangenheit die Persönlichkeit, sorgen aber auch dafür, dass der Zuschauer neugierig bleibt und ihr Schicksal weiter verfolgt. Die einzige, die wirklich rätselhaft bleibt ist Makoto Kusanagi, die wohl mehr Geheimnisse als alle anderen hat. Doch auch hier bietet der rein computeranimierte Vorspann nette Hinweise.
Die Tachikoma – eigentlich reine Roboter und künstliche Intelligenzen bringen erstaunlicherweise eine leichte Note in die Serie. Gerade ihre Bemühungen, menschliche Verhaltensweisen und Gedankengänge zu verstehen machen erstaunlich viel Spaß und sorgen für humorvolle Momente in der ansonsten eher ernsten Handlung. Auf Albernheiten und überdrehte Effekte verzichtet die Serie komplett. Aus diesem Grund besitzt schon die erste Folge eine intensive Atmosphäre, die die Saga bis zum Ende nicht mehr verliert. Die Elemente des Cyberpunk sind gelungen herausgearbeitet und bilden mit den alltäglichen Momenten eine abwechslungsreiche Mischung, die vor allem eines nicht aus den Augen verliert – die Persönlichkeiten, die im Mittelpunkt stehen – seien sie nun menschlich, kybernetisch oder irgendetwas dazwischen.
Bild und Ton sind auf der Höhe der Zeit, auch an Extras wurde nicht gespart, denn neben vielen Interviews gibt es auch noch ein informatives Booklet, das interessante Informationen über den Künstler der Vorlage, die Entwicklung des Franchises und die Serie selbst enthält
Fazit:
„Ghost in the Shell – Stand Alone Complex“ gehört zu den Animes, die weit aus der Masse herausragen. Das liegt vor allem an gelungenen Mischung aus Cyberpunk und Sci-Fi-Krimi, in der nicht die Action oder Effekte die Hauptrolle spielen, sondern die komplexe, gut durchdachte und stimmige Handlung – getragen von den facettenreichen Figuren, die nicht nur rein menschlicher Natur sind. Wie schon der Film darf auch die 26-teilige Serie bereits zu den Klassikern zählen, die man nicht verpassen sollte.
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