Gute alte Zeit (Autor: Robert Kirkman; The Walking Dead 1)
 
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Gute alte Zeit

Reihe: The Walking Dead Band 1

 

Rezension von Christian Endres

 

Deutschland, Januar 2006. Schnee und Eis, wohin man nur blickt. Die Frisur auf dem Zombieschädel sitzt kein bisschen. Auch das beste Vitamin-Shampoo hilft da nicht mehr. Trotzdem gilt: Live the Revival-Zombie-Hype! Denn gleich zu Beginn des Comicjahres 2006 erscheint mit dem ersten Sammelband von Robert Kirkmans The Walking Dead ein Comic, der unglaublich viele Vorschusslorbeeren mit sich bringt und der, zumindest wenn man den begeisterten, ja nahezu euphorisierten US-Lesern und –Kritikern glauben schenken mag, das Highlight dieses Jahres werden könnte ...

 

Gute alte Zeit – so der Titel des ersten Sammelbandes von Robert Kirkams viel gerühmter Serie, der die ersten sechs US-Ausgaben der bei Image erschienenen Heftserie in sich vereint – beginnt mit Kleinstadtpolizist Rick Grimes, der nach mehreren im Koma zugebrachten Wochen im Krankenhaus erwacht, wo er zunächst mutterseelenallein durch die mehr oder minder sterilen Flure streift. Wem das merkwürdig vorkommt, der hat sicherlich Recht: Eigentlich sollte es in einem Krankenhaus vor Ärzten, Schwestern und Pflegern und natürlich auch Patienten, Angehörigen und diversen anderen Personen nur so wimmeln, und erst recht sollte kein Patient, der eben erst aus dem Koma erwacht ist, nachdem man ihn wenige Wochen zuvor im Dienst niedergeschossen hat, einfach so durch die Gänge wandern. Auch Robert Kirkman erinnert sich schnell daran, dass hier etwas nicht mir rechten Dingen zugehen kann, und so sorgt er dafür, dass Rick nicht länger alleine ist. Ich für meinen Teil wage jedoch zu bezweifeln, dass die verfaulten Hände eines stinkenden Zombies, die sich Rick um den Hals legen wollen, ein vergleichbarer Ersatz für die heilenden Hände einer schnuckeligen Nachtschwester mit kurzem Röckchen sind – Hauptprotagonist Rick sieht das genauso und verduftet schleunigst aus dem Krankenhaus. Doch damit beginnt der Albtraum erst, denn schnell muss Rick erkennen, dass nicht nur das Krankenhaus von wandelnden Toten besetzt wird ...

 

Nach einem kurzen Zwischenstop in seiner nunmehr beinahe verlassenen Heimat rüstet sich Rick im Polizeipräsidium mit Waffen aus, schnappt sich einen Streifenwagen und macht sich auf in Richtung Atlanta, wo er seine Frau Lori und seinen Sohn Carl sicher bei Verwandten untergebracht zu finden hofft. In Atlanta jedoch sieht die Sache noch schlimmer aus als in seiner Heimatstadt, denn auch hier hat sich alles Leben grässlich gewandelt: Überall schlurfen entstellte Zombies durch die Straßen und Gassen und werfen sich mit stoischer Hartnäckigkeit auf alles Leben, um es mit einem Biss zu ihres Gleichen zu machen ...

 

Ricks Erleichterung ist dementsprechend groß, als ihm ein junger Unbekannter aus dem todbringenden Tumult aus einstigen Großstädtern hilft und Rick zu einem kleinen Camp Überlebender im Wald außerhalb Atlantas führt, wo Rick schließlich wieder glücklich mit Frau und Sohn vereint wird und auch seinen alten Freund Shane wieder trifft. Ende gut, alles gut also? Bei weitem nicht! Denn hier beginnt die eigentliche Geschichte von The Walking Dead #1: Gute alte Zeit ...

 

Trotz des Titels muss man freilich bald schon erkennen, dass die gute alte Zeit vorbei ist. Autor Kirkman (vom ersten Panel an kongenial unterstützt von Zeichner Tony Moore) macht sich keine Mühe, seinen Leser von der fehlerhaften Annahme zu überzeugen, dass es irgendwo noch einen allzu großen Schimmer Hoffnung für die wenigen Überlebenden gibt, wenn sie stur in der zweifelhaften Sicherheit des Waldes ausharren. Wenngleich auch nicht alle im kleinen Camp das begriffen haben, so kapieren zumindest Rick und der Leser recht schnell, dass das ewige Warten auf Hilfe von außen, das ewige Bereitsein, Wachehalten und paranoid über die Schulter schauen kein Dauerzustand sein kann und gerade deshalb schnelle Hilfe so dringend notwendig wäre, jedoch auf keinen Fall in entsprechender Zeit zu kommen scheint, egal ob man hier an Ort und Stelle nun trotzig ausharrt oder nicht.

 

Wobei Kirkman sich hingegen große Mühe gibt, dass ist der Soap-Faktor seiner Geschichte, das Interagieren seiner Figuren und das durchaus stimmige Setting, in dem er die Gefühle, Handlungen und vor allem Reaktionen von Menschen in einer Extremsituation beschreibt, da hinter jedem Baum im Wald Gefahr in Form von umherstreifender Zombies lauern kann, aber auch die nächtliche Kälte oder einseitige Ernährung sowie mangelnde Schutzmöglichleiten oder falsche Hoffnung ein schrecklicher Gegner sein können.

 

Das alles ist dann letztlich auch der Reiz an diesem Comic, der sich nicht genau ans Drehbuch des Zombie-Klischees hält und eher auf andere Genre-Vertreter baut und sich dort stimmige Anleihen nimmt: Auch hier geht es in erster Linie nicht darum, alle paar Seiten eine möglichst blutige Splatterorgie mit halbnackten, axtbewehrten Schönheiten und stöhnenden Zombies mit zu Klauen gekrümmten Händen zu präsentieren, sondern darum, scheinbar direkt aus dem Leben Menschen gegriffene Menschen an die Grenze ihrer Belastbarkeit zu führen – körperlich wie seelisch – und ihr Verhalten in kleinen und großen Gefahren oder außergewöhnlichen Momenten zu studieren. Die Auftritte der Zombies sind dabei nur ein hübsches Zierwerk, das deutlich hinter den Charakteren und deren Zusammenspiel zurückstecken muss. Es scheint, als habe Kirkman eben etwas gebraucht, um sich in unserer »Realität« ein apokalyptisches Szenario aufzubauen, und ist hierbei aufgrund seiner eigenen Vorliebe einfach bei den Zombies hängen geblieben, die er clevererweise aber nicht zu den Hauptfiguren oder einem allzu wichtigen Bestandteil gemacht hat. So sind es dann auch weniger die Zombies, die diesen Band bestimmen, sondern viel mehr deren allgegenwärtige Präsenz, die man ebenso wie die Helden von The Walking Dead fortwährend im Hinterkopf hat.

 

Dabei stört es nur geringfügig, dass die Handlung streckenweise arg vorhersehbar ist, zumal es einem mit Fortschritt der Lektüre ohnehin so vorkommt, als wäre genau dies über weite Strecken von Kirkman so beabsichtigt. Wie gesagt: Es geht vor allem ums Studieren, und wie ebenfalls schon in seinem Vorwort angekündigt, legt der Autor es wahrlich nicht darauf an, uns durch einen Zombie hinter jeder Ecke zu erschrecken, und verlegt sich statt dessen auf angenehme Art und Weise auf seine kleine Gruppe resistenter Personen, die sowohl gegen die Bedrohungen von außen, als auch die von innen zu bestehen haben ...

 

Tony Moores Artwork ist dabei zweifellos ein großer Pluspunkt des ersten Bandes. Ohne viel Schnicknack bringt er solide Gefühle und Emotionen zu Papier, hat aber auch mit den dennoch vorhandenen Actionszenen keine Probleme, und auch die apokalyptisch anmutenden Szenen in der von Zombies gefüllten Großstadt gehen ihm leicht von der Hand und vermitteln ein tolles, beklemmendes und auswegloses Gefühl der Übermacht eines Schreckens. Wer außerdem wirklich wissen will, wie man Zombies, denen die Gedärme aus dem Bauch hängen oder denen sich die Haut in Fetzen vom Gesicht schält, glaubhaft in Szene setzt, der sollte sich Moores Artwork auf keinen Fall entgehen lassen. Was an diesen Zeichnungen obendrein immer wieder auffällt: Gerade die Perspektiven (um nicht direkt von Einstellungen zu sprechen) haben durchaus etwas cineastisches, und auch wenn Kirkman beteuert, dass seine Zombie-Serie von vorne herein für das Medium Comics bestimmt war, so blitzt bei manch einem Bild doch gerne einmal etwas durch, das den Schritt zur Leinwand nur als minimal erscheinen lässt.

 

In den The Walking Dead-Bänden herrschen edle Grautöne vor, was ebenfalls definitiv als Pluspunkt zu sehen ist, da sie sehr gut zu Moores sauberen, klaren Zeichnungen passen und diese angenehm unterstreichen, ohne sich in den Vordergrund zu drängen. Auch wird der Lesegenuss somit nicht durch unnötig erzeugten Ekel aufgrund von allzu viel rot getrübt. Ein weiterer großer Vorteil von The Walking Dead #1: Gute alte Zeit ist die Erscheinungsweise im Sammelband. Kirkman spricht dies in den Interviews im Anschluss an die Story auch an: Er bemüht sich, Cliffhanger und Übergänge zwischen den Einzelheften so zu konstruieren, dass sie auch später im Sammelband noch gut funktionieren. Im ersten Band verlieren zwar diese Cliffhanger ein bisschen an ihrer Brisanz, da man schon auf den nächsten Seiten die Auflösung geboten bekommt und nicht bis zum Folgemonat warten muss, doch hat man dafür natürlich auch einen immens langen, ununterbrochenen Lesegenuss, der nicht einmal durch irgendwelche Kapitel oder Vakatseiten unterbrochen wird. Dies führt zu gut einhundertzwanzig Seiten Lesespaß am Stück und macht den Band zu einer ausfüllenden Abendlektüre.

 

Ansonsten weiß der Band aus dem Hause Cross Cult wie üblich durch eine tolle Aufmachung zu gefallen: Angenehm dickes Papier, ein sauberes Druckbild, eine solide Bindung und natürlich ein schmuckes Hardcover im typischen A5-Format runden das deutschsprachige Debüt von Kirkmans The Walking Dead (das man glücklicherweise nicht eingedeutscht hat) schön ab. Auch das Vorwort vom Autor, das ausführliche Interview mit selbigem am Ende des Bandes, dem ein weiteres Frage-Antwort-Spiel mit Zeichner Moore folgt, und schließlich der erste Teil eines Zombie-Guides, der sich in diesem Band vorerst mit den Filmauftritten der wankenden, untoten Gesellen befasst, wissen zu gefallen und sollten nicht unerwähnt bleiben. Hier wurde bei Leibe nicht mit Extras gespart, so dass der Leser für seine sechszehn Euro nicht nur über einen guten Comic freuen kann, sondern eben auch über ein hochwertiges, gebundenes Buch, das mit vielen Gimmicks gespickt und einmal mehr von hinten bis vorn sorgfältig durchgestylt und produziert worden ist, was mit dem Cover und dem plakativen Typo-Buchrücken beginnt und sprichwörtlich auf der letzten Seite mit der schlicht-stimmungsvollen Vorschau auf Band zwei im August dieses Jahres endet. Einzig einer vollständigen Cover-Galerie trauere ich etwas nach, doch wird hier ein wirtschaftlicher Faktor eine Rolle gespielt haben, da man sicherlich abwägen musste, ob man für ein paar Cover nun den redaktionellen Teil kürzt (was schade und nicht sehr sinnig gewesen wäre) oder noch einen Druckbogen einmogelt, dafür dann aber den Kaufpreis weiter herauf setzt. Somit verflüchtigt sich auch dieser Kritikpunkt schnell wieder, und es bleibt ein tadelloser Eindruck, zumal ein paar Cover ja auch als Illustration der Interviews Verwendung gefunden haben.

 

Fazit: Die Frage, die jedermann nun natürlich brennend interessieren dürfte, lautet sicherlich: Haben Kirkman und sein The Walking Dead all das Lob, all die positiven Kritiken und all die Vorfreude verdient? War es gerechtfertigt, dass schon ein halbes Jahr vor Ankündigung des ersten deutschen Sammelbandes alle Welt Kopf gestanden und sich ein Loch in den Bauch gefreut hat? Und erfüllt The Walking Dead: Gute alte Zeit letzten Endes die Erwartungen?

 

Nun, die Antwort hierauf ist nicht ganz einfach: Kirkman erfindet das Genre nicht neu, und er tut sich auch nicht durch übermäßig innovative Ideen oder Ansätze hervor. Man hat alles irgendwo schon einmal – zumindest in ähnlicher Form – gesehen, und zumeist ahnt man auch schon zwei, drei Seiten vorher, was einem im nächsten Abschnitt der Story erwartet. Das ist nun aber nicht zwingend etwas negatives. Oder braucht es immer die monumentale Neuheit, um einen guten Comic zu schreiben? Eine gute, stimmige Geschichte zu erzählen?

 

Hierauf wiederum lautet die Antwort ganz klar: Nein. Insofern macht Kirkman also alles richtig, indem er sich einer durchaus schon etablierten Idee bedient, sie aber gekonnt voran treibt und in erster Linie perfekt inszeniert, sich dabei zudem ausreichend Zeit für zwischenmenschliche Beziehungen und die Charakterisierung seiner Figuren lässt und einer konsequenten Linie in Sachen Tempo und Storytelling treu bleibt. Dass sich die Auftritte der in Titel und auf dem Cover versprochenen Zombies dabei in Grenzen halten, tut der Serie zweifelsohne sehr gut.

 

Es bleibt somit festzuhalten, dass die ersten sechs Ausgaben von The Walking Dead, die man unter dem Titel Gute alte Zeit zusammengefasst hat, eine inhaltlich durchaus ansprechende, optisch hervorragende und aufmachungstechnisch sorgfältig produzierte Neuerscheinung sind, die definitiv Lust auf mehr machen und dem zweiten Band im August mit so gespannten Nerven entgegenfiebern lassen, dass einem besagte Nerven und Sehnen mitsamt dem dazugehörigen Arm oder Bein abfallen täten, wäre man denn nur einer von Kirkmans Zombie-Spießgesellen ...

 

The Zombie Walking next to me: Gute alte Zeit hat ohne Zweifel eine Empfehlung verdient und wird den im Vorfeld allerorts angestimmten Lobeshymnen durchaus gerecht. Hinzu kommt die Freude darüber, dass sich durch eben solche sehr guten Titel und trotz deren auf den ersten Blick etwas trashige Thematik (wieder) ein Trend hin zu Serien entwickelt, die vor einigen Jahren noch im Indy-Bereich untergegangen und lediglich einem kleinen Publikum zugänglich gemacht worden wären, nun aber verdientermaßen im Rampenlicht stehen (eine Startauflage von 3.000 Exemplaren sowie ein Werbedeal mit der Zeitschrift FHM sind nicht gerade das, was man sonst von einem Zombie-Comic erwartet, oder?) und auch gebührend gefeiert werden.

 

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Comic:

Gute alte Zeit

Reihe: The Walking Dead Band 1

Autor: Robert Kirkman

Zeichner: Tony Moore

Cross Cult

Hardcover, 144 Seiten

 

ISBN-Code: 3936480311

 

Erhältlich bei Amazon


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Erstellt: 28.01.2006, zuletzt aktualisiert: 11.04.2024 08:09, 1812