Rezension von Chrissie Schlicht
Aufmachung
Die ganze Aufmachung macht den Eindruck, dass da jemand mit sehr viel Liebe zum Detail hinter seinem Produkt steht. Das ist man von Pegasus mittlerweile gewohnt. „Kohle“ ist jedoch eine Übersetzung, bzw. eine deutsche Überarbeitung von „Brass“, das von Warfrog 2007 in der gleichen Aufmachung auf der Messe in Essen vorgestellt wurde.
Peter Dennis hat die Illustrationen der englischen Ausgabe hergestellt, die für das ganze deutsche Spielmaterial übernommen wurden. Lediglich der Kasten der deutschen Ausgabe wurde von Eckhard Freytag (Behind) neu gestaltet. Beide Grafiker arbeiten mit sehr viel Liebe zum Detail, wobei die Kastenillustration der englischen Ausgabe realistischer, weil düsterer erscheint. Denn man kann sich durchaus vorstellen, dass selbst in den Häusern der Reichen nicht alles so sauber war, wie Freytag seine industrialisierte Welt darstellt, sondern der Staub der Kohle überall die Wände schwärzte.
Alle Spielbestandteile sind stabil ausgefertigt, ein kleines Detail stört leider (vermutlich eine Kostenfrage). Man muss so viel sortieren, daher hat man dem Paket eine Handvoll Plastiktütchen beigelegt, um wenigstens alle Bestandteile einer Spielfarbe beisammen zu haben – Stoffbeutel wären stilvoller gewesen.
Worum geht es in dem Spiel?
England, Ende des 18 Jahrhunderts. Die Welt steht am Beginn eines neuen Zeitalters. Gerade noch mittelalterliche Verhältnisse, nun die Industrielle Revolution. Fabriken entstehen, Waren werden produziert, Kanäle zur Verschiffung von Gütern gegraben, Eisenbahnverbindungen gebaut und alles ist von Rohstoffen abhängig: Kohle und Eisen besonders, aber auch von Baumwolle.
Die Industrielle Revolution nahm ihren Anfang in England, und dort besonders in der Grafschaft Lancashire, in der auch dieses Spiel angesiedelt ist. Hier waren einst das Zentrum der Baumwollindustrie. An den Spielern ist es nun, eine Strategie zu entwickeln, mit der sie zum Sieg. Errichten sie Baumwollspinnereien oder entwickeln sie neue Technologien? Graben sie Kanäle und errichten Eisenbahntrassen? Oder produzieren sie Kohle oder Stahl? Benötigen sie Kredite für zukünftige Investitionen?
Welche Strategie führt in dieser vielschichtigen Wirtschaftssimulation zum Sieg?
Spielregeln
Herrschaftszeiten – 16 Seiten. In DIN A 4, und die vollgestopft mit Informationen, Regeln und Spielabläufen. Schon die kleinen Kärtchen der Industriemarker enthalten einen Haufen Informationen, die man erst einmal koordinieren muss. Das ist nichts für Leute, die einen Spielplan auf den Tisch werfen und sofort loslegen wollen, das ist ein halbes Rollenspiel.
Und genau so sollte es vielleicht im Idealfall auch laufen – einer, möglichst mit viel Geduld ausgestattet, fungiert als Spielleiter, liest sich in die Regeln ein und gibt alles im Spielverlauf an die Mitspieler weiter. Learning by doing wird nämlich immer durch Nachlesen unterbrochen und das kann auf die Dauer eventuell nervig werden. Besonders bei weniger geduldigen Spielern. Deshalb ist das Spiel auch erst ab 12 Jahren empfohlen – wobei das sehr optimistisch scheint.
Schon die Vorbereitung erfordert Zeit. Die Industriemarker müssen sortiert werden, alle Karten, Märkchen Plättchen und Gelder an seinen Platz gebracht. Das Spiel ist sehr komplex und es hilft nur bedingt, dass man versucht hat, mit Übersichtskärtchen, die jeder Spieler bekommt, wenigstens die Handlungsabläufe eines Spielzuges noch einmal in Kurzfassung darzustellen und die Details der Industriemarker am Ende der Regeln in einer Tabelle zusammen zu fassen. Das Spiel kommt beim ersten Mal nicht richtig in Schwung, erst, wenn man alles Regeln innehat. Das beweist schon die Notwendigkeit einer Kurzübersicht aller Regeln, die man leicht während des Spiels vergisst - Sie umfasst immerhin 16 Punkte.
Spielverlauf
Die Masse an Handlungen kurz darzustellen ist eigentlich ein Ding der Unmöglichkeit und die Spielregeln abzuschreiben verbietet der Sinn einer Rezension. Daher hier der Versuch eines kurzen Abrisses.
Das gesamte Spiel (es sind als Dauer 2 bis 3 Stunden angegeben, was auch eine sehr optimistische Schätzung ist und wohl nur für Spieler gilt, die die Regeln schon aus dem FF beherrschen) ist in zwei Perioden unterteilt, die Kanal- und die Eisenbahnperiode. Begonnen wird mit der Kanalperiode.
Zunächst werden 8 Orts- und Industriekarten an die Spieler ausgegeben (je nach Spieleranzahl werden auch Karten aus dem Satz ganz entfernt). Eine Periode ist beendet, wenn die Handkarten ausgespielt sind und der Zugkartenstapel leer ist. Das bedeutet je nach Anzahl der Spieler 8-10 Runden pro Periode.
Jede Runde besteht aus vier Schritten für den Spieler.
1. Er kassiert Einkommen (sofern er schon etwas besitzt, aus dem er Einkommen schöpfen kann, in der ersten Runde natürlich nicht, da hat er Startkapital).
2. In der festgelegten Spielerreihenfolge werden zwei Karten ausgespielt, also eine Industriemarker aufgebaut oder eine Transportverbindung gebaut (in der ersten Periode Kanäle, in der Zweiten Schienenwege). Man kann auch Baumwolle aus den eigenen Spinnereien verkaufen, sofern es einen Hafen gibt oder auf einem fernen Markt Nachfrage besteht. Wenn das Geld nicht reicht, kann man auch noch Kredit aufnehmen.
3. Die Spielerreihenfolge für den nächsten Zug wird festgelegt, derjenige, der am wenigsten Geld ausgegeben hat, ist der Erste, der im neuen Zug handeln muss. Da alle Ausgaben erst einmal auf die farbigen Ausgabefelder gelegt werden, bevor sie in die Bank gehen, kann das leicht bestimmt werden.
4. Die Handkarten werden wieder aufgefüllt.
Am Ende der Periode werden die Siegpunkte ermittelt. Für jeden Siegpunkt gibt es Bargeld und auf der Leiste für Siegpunkte werden die entsprechenden Marker ausgelegt. Dann werden alle Kanalmarker vom Plan entfernt und auch alle Industriemarker mit der Technologiestufe 1. Die Plättchen für den Fernen Markt werden neu gemischt.
Dann beginnt die Eisenbahnperiode und die Runden von vorne.
Spielspaß
Spaß dürfte sich bei der Komplexität des Spieles nur für diejenigen entwickeln, die viel Geduld mitbringen und denen komplexe Transaktionen im Blut liegen. Leute mit dem großen Überblick also. Spieler, die erst so richtig aufleben, wenn ihre Fähigkeit zum Multi-Tasking und Drei-Runden- im-Voraus- denken so richtig angesprochen werden, aber nicht alleine vor dem Computer bei einer Wirtschaftsimulation versauern wollen, finden mit „Kohle“ genau die richtige Unterhaltung für sich und 2-3 Freunde. Für solche Leute könnten 2-3 Stunden Spieldauer sogar eher zu kurz sein, aber man kann dann ja wieder von vorn anfangen – es wird ganz sicher alles wieder anders ablaufen.
Alle anderen Spielertypen dürften schnell die Waffen strecken.
Wie schon oben erwähnt, empfiehlt sich hier möglicherweise ein Spielleiter, der das Spiel schon ein bisschen besser kennt. Für Rollenspieler bietet sich hier vielleicht noch eine Erweiterungsmöglichkeit an – Das Setting für ein Abenteuer zu nutzen und beides zu verbinden? Wäre eine Möglichkeit.
Fazit
Hat man endlich alle Spielregeln halbwegs im Kopf und abrufbereit, dann geht auch der Spielspaß richtig los. Zumindest für Freunde komplexer Wirtschaftssimulationen. Wer nur auf schnelle Ergebnisse a la Monopoly hofft, der wird vermutlich schnell aufgeben, dafür ist das Spiel einfach zu komplex und kompliziert.