Mythen und Legenden der Scheibenwelt
 
Zurück zur Startseite


  Platzhalter

Mythen und Legenden der Scheibenwelt

Rezension von Ingo Gatzer

 

Als Terry Pratchett im November 1997 anlässlich seiner Recherchen zu "Ruhig Blut" bei einer Signierstunde Jacqueline Simpson - wie Dutzende von anderen Fans - fragte, was sie über Elstern wisse, hätte wohl keiner der Beiden geglaubt, dass sie ein gutes Jahrzehnt später zusammen ein Buch schreiben würden. Dr. Jaqueline Simpson ist Mitglied der renommierten britischen "Folklore Society" und hat diverse Werke über Mythen, Legenden und Märchen geschrieben. Seit einigen Jahren ist sie zudem eine gute Freundin von Terry Pratchett und berät ihn gelegentlich bei volkskundlichen Fragen.

 

Fantasy-Fans etwas über Terry Pratchett und seine Scheibenwelt zu erklären, dürfte genauso überflüssig sein, wie Rincewind über die Vorteile der schnellen Flucht oder Oma Wetterwachs über Hexerei aufklären zu wollen. Wer aber wirklich noch nicht mit den Werken eines der "interessantesten und am meisten unterschätztesten Romanciers" ("The Times") vertraut ist, dem sei wenigstens gesagt, dass Terry Pratchett zweifellos der unangefochtene König der komischen Fantasy ist. Und dass seine Scheibenwelt eine typische Fantasy-Welt ist, die auf dem Rücken von vier Elefanten ruht, welche wiederum auf einer riesigen Schildkröte stehen, die durch das Weltall schwimmt.

 

Jaqueline Simspon betrachtet in ihrem Buch Mythen und Legenden auf der Scheibenwelt und analysiert sie im Hinblick auf Parallelen und Unterschiede zu denen auf der Erde. Das ist zweifellos ein fruchtbares Untersuchungsfeld, da Pratchett häufig Elemente aus bekannten Mythen, Sagen und Märchen benutzt - beispielsweise unter Rückgriff auf sein "Brewer´s Dictionary of Phrase and Fable" - um diese dann humoristisch zu verfremden. Die Autorin bedient sich bei ihrer Studie eines unterhaltsamen und ironischen Schreibstils, der zuweilen dem von Pratchett ähnelt. Bei ihren Ausführungen beweist sie, dass sie sich nicht nur im Bereich der Volkskunde, sondern auch auf der Scheibenwelt gut auskennt.

 

Viele Leser werden vermutlich schon gehört haben, dass die seltsame Kosmologie der Scheibenwelt, mit den großen Elefanten und der gigantischen Schildkröte auf hinduistischen und chinesischen Mythen basiert. Aber wohl jeder Pratchett-Fan wird in den vielen Kapitel, die von Themenbereichen wie Kosmos, Götter, Dämonen, Zwerge, Elfen, Trolle, Hexen, Helden und natürlich last but not least Tod handeln, etwas für ihn Neues finden. So ist etwa die Steinsemmel der zwergischen Niederen Könige (im Englischen: "Scone of Stone") eine ironische Verballhornung des "Stone of Scone", dem berühmtesten Amtseinführungsstein der schottischen Könige. Dieses Beispiel zeigt auch, dass ein Teil des Pratchett´schen Humors erst dann verständlich wird, wenn das entsprechende Vorbild bekannt ist.

 

Man muss aber sicherlich nicht mit allen von Jaqueline Simpsons Ausführungen übereinstimmen. So ist es überaus fraglich, die "Wir-sind-die-Größten" als Elfen zu betrachten. Dem Charakter, ihrem Verhalten und zumindest der deutschen Übersetzung nach, handelt es sich hierbei um Kobolde. Diese Rasse kommt überhaupt in Simpsons Ausführungen eindeutig zu kurz. Bei der Darstellung der Golemgesetze, wäre zudem ein Hinweis auf das Vorbild, nämlich Isaac Asimovs berühmte Robotergesetze wünschenswert gewesen.

 

Ein Pluspunkt von "Mythen und Legenden der Scheibenwelt" ist nicht nur eine Liste der verwendeten Bibliographie, nebst Leseempfehlungen, sondern auch das umfangreiche Sachregister am Ende des Buches, mit dessen Hilfe man schnell bestimmte Aspekte nachschlagen kann.

 

Fans von Paul Kidby wird es freuen, dass jedes der sechzehn Kapitel mit einer seiner Illustrationen - leider nicht in Farbe - eingeleitet wird. Eine gute Leistung kann man zudem dem Übersetzer Gerald Jung bescheinigen, der an einigen Stellen zeigt, wie und warum manche Pratchett´sche Anspielungen nur im Englischen Original funktionieren, bzw. der Übertragung ins Deutsche zum Opfer gefallen sind. Hier sei nur exemplarisch auf den Sator-Square verwiesen, der in den deutschen Scheibenweltromanen nur lieblos "Hiergibt´salles-Platz" heißt. Dadurch geht die Verbindung zum berühmtesten aller Wortquadrate und damit die Wortspielerei des Autors verloren.

 

Jaqueline Simpson ist ein kenntnisreiches und spannendes Buch gelungen, dass als weitgehend überzeugende Sekundärliteratur zur Scheibenwelt ihre Mythen und Legenden mit ihren irdischen Pendants vergleicht. Ein Pflichtkauf für alle Anhänger der Scheibenweltromane ist die Studie aber wohl nicht, weil sicher nicht jeder Fantasy-Fan ein volkskundliches und literaturwissenschaftliches Interesse mitbringt. Allerdings enthält dieser Blick hinter die Kulissen eine Vielzahl von interessanten Hinweisen für Leser, durch die sich teilweise erst einige Facetten des Pratchett´schen Humors erschließen.

 

Nach oben

Oje, das hat nicht geklappt, Elfenwerk! 2024041913142438c69e41
Platzhalter

Mythen und Legenden der Scheibenwelt

Originaltitel: The Folklore of Discworld

Autoren: Terry Pratchett und Jaqueline Simpson

Illustrationen: Paul Kidby

Übersetzer: Gerald Jung

Art: gebundene Ausgabe, 475 Seiten

Erscheinungsdatum: September 2009

Verlag: Manhattan

ISBN-10: 3442546621

ISBN-13: 978-3442546626

Erhältlich bei: Amazon


Platzhalter
Platzhalter
Erstellt: 17.11.2009, zuletzt aktualisiert: 07.02.2024 17:32, 9549