von Karin Reddemann
Fernsehabend auf braunem Cord, es ist später Herbst, Rebecca läuft. Ich bin noch nicht wirklich groß, trinke Kakao, und der Wind heult dem alten Baum vor dem Fenster die Hoffnung weg: Rebecca taucht gar nicht auf, meine Eltern sitzen neben mir. Und ich fürchte mich vor Mrs. Danvers.
Fernsehabend auf grüner Baumwolle, wieder ist es Spätherbst, »Rebecca« kommt. Ich bin größer, trinke Cola, und der Regen klatscht vor dunkler Bühne: Rebecca wird nicht mehr auftauchen, meine Schwester sitzt neben mir, und wir meinen, dass die verhuschte Gesellschafterin mehr Rückgrat zeigen sollte. Meine Schwester findet Mrs. Danvers gruselig. Ich nenne sie böse. Mrs. Danvers ist eine Angstmacherin. Mit schrecklich übler Laune.
Fernsehabend auf rotem Kunstleder, immer ist es Herbst, »Rebecca« wartet. Ich werde nicht mehr größer, trinke irgendwas Erwachsenes, und der junge Baum vor dem Fenster sucht seine Blätter: Rebecca taucht als leicht vergilbter Alptraum auf, mein Hund sitzt neben mir, und ich denke, dass Alfred Hitchcock nur halb richtig lag:
»Es ist eine ziemlich vorgestrige, altmodische Geschichte.«
Ihm gefiel sein Film, – 1940 immerhin für elf Oscars nominiert (es gab »nur« zwei in den Kategorien Bester Film, Beste Kamera) –, bedingt, er vermisste jegliche Art von Humor in Daphne du Mauriers Romanvorlage, an die er als Regisseur sich laut oberster Order von Produzent David O. Selznick zu halten hatte.
Mir gefällt er grundsätzlich, wie er ist: Eine hübsch düstere Schauer-Liebes-Krimi-Mär. Sieht man von Wahrheit und Lüge zwischen Totschlag, Unglück und einer merkwürdigen Selbstmordtheorie am Ende einmal ab. Das gewaltige finale Feuer, von einer fanatisch Verklärten und auf das bitterste Desillusionierten Mrs. Danvers gelegt, macht das etwas Absurde irgendwie wieder gut. Der Engel Rebecca war kein Engel, und seine verklärte, gebrochene Huldigerin geht in Flammen auf. Alles verbrennt, das Böse sowieso. Schlussakkord, Manderley und die so dunkel Starrende zu Asche, Happyend für die Liebenden.
Judith Anderson hat Mrs. Danvers gespielt. Teuflisch genial. Meine drei Sofas stehen für knapp vier Jahrzehnte. Soviel Zeit ist verstrichen. Und es ist großartig, wie fürchterlich Mrs. Danvers immer noch ist. Allein dieser Blick …
So steif. So kalt. Kein verräterisches Zucken. Kein noch so geringfügiges emotionales Zwinkern. Hitchcock erwartete von Judith Anderson, sich genau daran zu halten, während der Dreharbeiten, vor allem natürlich bei den Großaufnahmen nicht zu blinzeln. Die Augen der Mrs. Danvers sollten Gänsehaut-kalt sein. So wollte es der Meister, so machte es die die phantastisch mysteriöse Anderson, die zuvor vor allem in Shakespeare-Stücken am Broadway geglänzt hatte und die nach »Rebecca«, – Oscar-Nominierung als beste Nebendarstellerin –, in der Filmbranche für die Rolle der geheimnisvollen, finsteren Frau gepachtet zu sein schien.
Die Geschichte von Rebecca, Hitchcocks erste Hollywood-Arbeit, ist »eine Art Märchen«, meinte er, »und sie gehört ins ausgehende neunzehnte Jahrhundert.« Nun gut. Das würde (auch) passen. Natürlich. Der schüchternen, unsicheren, an Abneigung und Vorurteilen verzweifelnden Namenlosen, aus deren Perspektive primär erzählt wird, fehlt halt so gänzlich das moderne Selbstverständnis einer emanzipierten jungen Frau, wie man sie aus in etwa zeitgleich gedrehten Filmen mit Marlene Dietrich oder Katherine Hepburn kennt, die sehr wohl auch der Identifikation mit starken, charmanten und auf sympathische Art gerissenen Charakteren nützlich waren. Aber Joan Fontaine spielt das hübsche, scheue, unschuldige Reh derart überzeugend, dass man nur seufzen kann: Das arme kleine süße Mädchen! Ohne gleich dabei zu denken, warum die Schöne nicht mit dem Fuß aufstampft und sich wehrt … so als Frau in den 1940er Jahren.
Hitchcocks »Märchen« (wer es tatsächlich nicht kennt und noch gucken will, sollte jetzt nicht weiterlesen, verpasst aber was) beginnt in Monte Carlo: Die junge Gesellschafterin einer wohlhabenden, reiselustigen Lady lernt in Monte Carlo den gutaussehenden Witwer Maxim de Winter (Laurence Olivier) kennen und lieben. Der Engländer macht der Überglücklichen einen Heiratsantrag und nimmt sie nach den Flitterwochen mit nach Cornwell auf sein imposantes Anwesen Manderley, wo ein faszinierend prachtvolles und zugleich bedrohliches Zuhause auf die neue Mrs. de Winter wartet.
Mrs. Danvers, die Haushälterin, eine hochgewachsene, ganz in Schwarz gekleidete und niemals lächelnde Frau, zeigt ihr von Anfang an, dass sie sie geringschätzt und als absolut minderwertig im Vergleich mit ihrer verstorbenen Herrin boshaft bemitleidet. Mrs. Danvers vergöttert die tote Rebecca de Winter, die (angeblich) bei einem Bootsunglück ums Leben kam und deren Leiche ihr Ehemann identifiziert hatte.
Fast schafft es die Haushälterin nach einer unergiebigen Aussprache, die zweite Mrs. de Winter dazu zu bringen, sich aus dem Fenster zu stürzen, aber als sie eine Leuchtrakete aufsteigen sieht als Zeichen für ein Schiffsunglück, läuft sie zurück zu ihrem Mann. Bei der Bergung wird ein Bootswrack mit einer Frauenleiche gefunden: Es ist Rebecca. Und jetzt endlich bekennt Maxim Farbe, erklärt, er habe Rebecca, eine eitle, selbstgefällige, habgierige Frau, nie geliebt und die Ehe nur aus gesellschaftlichen Gründen aufrecht gehalten. Sie habe ihn betrogen, gedemütigt, ausgenutzt und ihm im Bootshaus mitgeteilt, von einem anderen Mann schwanger zu sein. Es sei zu einem handfesten Streit gekommen, in dessen Verlauf sie so unglücklich stürzte, dass sie starb. Er habe die tote Rebecca dann in ihr Segelboot getragen und es versenkt. Die später gefundene Wasserleiche einer Fremden habe er, – gezielt gelogen! –, als Rebeccas identifiziert.
Ein Untersuchungsverfahren folgt, der Richter geht von Selbstmord aus, Maxim wird von Rebeccas letztem Liebhaber (erfolglos) erpresst, Mrs. Danvers will das alles nicht wahrhaben … ihr Idol, eine vulgäre Böse! Es stellt sich heraus, dass Rebecca unheilbar krank war und Maxim provozieren wollte, damit er sie tötet, um wegen Mordes verurteilt zu werden … soweit der Hass, soweit nicht im Sinne der Verfasserin des Weltbestsellers aus dem Jahr 1938. Daphne de Maurier lässt Maxim seine ungeliebte, bösartige Frau im Zorn und im Affekt erschießen. Kein Mord, nur tödliche Wut. Eine nachvollziehbare. Die wäre logischer gewesen, und das fand auch Hitchcock. Hollywoods Moralprediger unter den vorherrschenden Produzenten, – so eben Selznick –, sahen das aber anders. Einer, der tötet und dann so davon kommt … das ging gar nicht.
Hitchcock beugte sich zähneknirschend, wobei dieser Punkt nicht der einzige war, an dem sich die Profi-Gemüter von Selznick und Hitchcock stießen. Hitchcock war es von England her gewohnt, sich nicht allzu sehr an die Buchvorlage zu halten, wollte charakterliche und inhaltliche Änderungen und auf jeden Fall auch etwas Witz hineinbringen. Für Selznick, der sich schon an Hitchcocks Arbeitsweise, – nur drehen, was auch wirklich gebraucht wird –, empfindlich störte, war das ein Ding, das gar nicht ging:
»Wir wollen nicht die verzerrte und vulgarisierte Version eines Werks, das sich doch bereits als erfolgreich erwiesen hat.«
Und Punkt. Nichtsdestotrotz: Als »Rebecca« 1940 auf die Leinwand kam, – die Deutschlandpremiere war erst elf Jahre später in Berlin –, waren Presseleute und Zuschauer gleichsam völlig begeistert. »Rebecca«, von Hitchcock in düster-atmosphärischem Schwarz-Weiß gedreht nach der letzten großen Farbproduktion von Selznick, – Vom Winde verweht –, war zwar mit einem Kostenaufwand von einer Million Dollar der bis dahin teuerste Film des Regisseurs. Aber er erwies sich dann auch als bombastischer Erfolg.
Joan Fontaine freute sich darüber leicht gequält. Für Rebecca hat Hitchcock »seiner« Gesellschafterin gemütsmäßig ganz schön zugesetzt. Nicht wirklich dramatisch, aber es ging an ihre Substanz. Ausgerechnet ihre Schwester, Olivia de Havilland, hätte Selznick liebend gern in ihrer Rolle gehabt. Die Rivalin in Blut und Ehrgeiz konnte aus terminlichen Gründen nicht. Dann wollte Laurence Olivier partout seine Lebensgefährtin Vivien Leigh dabei haben, setzte sich stark dafür ein und war enttäuscht, wohl auch deutlich missgestimmt, als Hitchcock sich letztendlich für die Fontaine entschied. Immerhin eine ihm britisch Verbundene mit entsprechenden Wurzeln. So teilte er ihr mehrmals mit, nur er könne sie wirklich leiden, der große »Rest« der Crew am Set würde sie nicht mögen.
Joan Fontaine genoss die Dreharbeiten ergo nur arg bedingt, zeigte sich gekränkt, verunsichert und wohl auch niedergeschlagen. Der Rolle der instabilen, zarten Frau kam das als gewünschter Zustand gelegen. Hitchcock auch. Er wollte sie so, ärgerte sie und bekam sie so. Unfair? Nein. Perfekte Film-Mache.
»Ich muss Ihnen gestehen, die Liebe zum Kino ist mir wichtiger als jede Moral.«
Das ist ehrlich. Das ist Hitchcock. Und so soll(-te) es sein.
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