Rezension von Christel Scheja
In der britischen Krimiserie “Ripper Street” entführen die Macher den Zuschauer in das ausgehende 19. Jahrhundert. Zwar ist der Serienkiller in den Jahren nach 1888 bereits Geschichte, aber die „H-Division“ im Londoner Stadtteil Whitechapel hat immer noch genug zu tun. Arbeiteraufstände, Gewalt zwischen ethnischen Gruppen oder Banden sorgen zusätzlich zu den üblichen Verbrechen für Ärger. Nun ist endlich auch die zweite Staffel der Serie auf DVD und Blu-Ray bei Polyband erschienen.
Inspektor Oliver Reid tut alles Menschenmögliche, um die Verbrechensrate in Whitechapel auf einem überschaubaren Niveau zu halten. Er stürzt sich mehr denn je in die Arbeit, denn nachdem die Hoffnung, die ertrunkene Tochter doch lebend wieder zu finden, sich als falsch herausgestellt hat, hat ihn seine Frau verlassen. Seine rechte Hand Sergeant Bennet Drake steht ihm hilfreich zur Seite. Er hat Bella, eines der Mädchen aus Susans Bordell geheiratet und bekommt nun zu spüren, wie ernst eine Ehe sein kann. Sein Herz hängt trotzdem immer noch an Rose, die nun in der Music-Hall arbeitet und hofft, so ein normales Leben zu führen.
Auch das Leben von Homer Jackson, dem ehemaligen Pinkerton-Agent aus Amerika, ist nicht immer einfach, legt er sich doch immer wieder mit seiner Lebensgefährtin Susan an, die aus ihm unbekannten Gründen London nicht verlassen will. Auch wenn er immer unzufriedener wird, unterstützt er Reid und Bennet mit seinem forensischen Wissen, über das viele andere Inspektoren immer noch lächeln.
Die drei müssen sich nun mit einer viel größeren Gefahr herumschlagen. Inspektor Shine von der „K-Division“ hat zwar durch zehn Jahre in Honkong größere Erfahrung mit den chinesischen Einwanderern, aber auch die entsprechenden Verbindungen, um sich in die dunklen Machenschaften der Unterwelt hinein ziehen zu lassen. Ausgerechnet Reid muss entdecken, dass die Korruption in der Polizei immer weitere Kreise zieht und aufrechte Männer einen immer schwereren Stand haben werden, wenn sie nicht untergehen wollen. Erpressung und Bestechung sind an der Tagesordnung, darunter leiden müssen die einfachen Menschen. Oder diejenigen, die sich auf windige Geschäfte eingelassen haben, um ein neues Leben zu beginnen, so wie Susan.
Dazu kommen allerlei Probleme mit den chinesischen Einwanderern, die eine Stadt in der Stadt aufbauen, Streiks und Skandale und nicht zuletzt auch die Machenschaften einer obskuren Vereinigung, des „Hermetischen Ordens der goldenen Dämmerung“.
Ein wenig Hoffnung erhält Reid durch Joseph Merrick, den „Elefantenmenschen“, der ihm zu einem guten Freund geworden ist und noch so etwas wie wahre Dankbarkeit kennt, aber auch dort zeichnen sich erste bedrohliche Schatten am Horizont ab.
Schon in der ersten Staffel zeichnete sich „Ripper Street“ dadurch aus, dass die Serie moderne Themen mit dem klassischen, viktorianischen Ambiente verband. Auch das ist in der zweiten Staffel noch zu finden, wenngleich das Privatleben der Hauptfiguren etwas deutlicher in den Vordergrund rückt.
Das ist aber auch kein Wunder, wenn man bedenkt, dass der rote Faden, der sich durch die Serie zieht, mit den Problemen in der Polizei zu tun hat. Zwar braucht Reid jede Hand, die er brauchen kann und sollte sich eigentlich über Daniel Judge, den Bruder von Homer Jackson und Detective Constable Albert Flight freuen. Aber kann er den beiden wirklich so einfach vertrauen und sich auch schon einmal auf sie verlassen?
Denn Jedidiah Shine, ein neuer Kollege im Präsidium erweist sich als alles andere als erlässlich, ist er doch in erster Linie auf das eigene Wohl aus und lässt sich gerne schon einmal bestechen, wirft so den Ermittlern immer wieder Steine in den Weg.
Die Gesellschaft ist ebenfalls im Wandel. Ausländer, die sich vom Rest der Bevölkerung abschotten, um ihre eigene Kultur zu bewahren, kommen nach London und verärgern die Alteingesessenen.
So schnell die Technik auch fortschreitet und Segnungen für die breite Masse bringt, so sehr sorgt sie auch dafür, das Arbeitsplätze wegfallen und immer mehr Leute auf Almosen angewiesen sind. So findet auch der Antisemitismus fruchtbaren Boden.
Die bessere Gesellschaft sucht ihr Heil in obskuren esoterischen Vereinigungen, die ausgerechnet in und um Whitechapel ihre seltsamen Riten auslebt und auch die Frauen wollen sich nicht länger auf Haus und Kinder reduzieren lassen.
In dieser turbulenten Zeit müssen die Helden ihre persönlichen Gefühle und Beziehungen oft zurückstellen, was üble Folgen hat, auch für ihre eigene Seele.
Man merkt, die Serie ist politischer geworden – beschäftigt sich mehr denn je mit den Auswirkungen großer Umwälzungen auf diesen kleinen Teil von London. Dem ein oder anderen mag dadurch der Flair von „Jack the Ripper“ fehlen – die Serie bleibt aber trotzdem sehr spannend, weil die Macher auch weiterhin sehr darauf achten, dass der Ort- und Zeitkolorit stimmt.
Das London im ausgehenden 19. Jahrhundert ist schmutzig und dunkel – nicht nur auf den Straßen, auch im Umgang der Menschen miteinander. Kaltschnäuzig scheut sich auch die Polizei nicht Gewalt gegenüber Verdächtigen anzuwenden und auszuüben. Der Umgang miteinander ist rau, und das Leben Niedriggestellter zählt oft wenig. Die Serie blickt wie so oft hinter die Kulisse der feinen Gesellschaft, die nach Außen hin Sitte und Anstand wahrt, aber nicht minder verworfen ist wie die Verbrecherwelt.
Zwar passt wieder alles zusammen und die Folgen sind in sich geschlossen, dennoch wird man das Gefühl nicht los, das diesmal etwas Entscheidendes fehlt: Die Hoffnung auf eine bessere Welt, zumindest im Kleinen. Den Eindruck hinterlässt vor allem die letzte Folge, die mit einem bösen Cliffhanger endet.
Auch die Entwicklung der Figuren schreitet nicht so voran, wie man es sich wünscht. Die Konflikte und Sorgen verlieren sich zu sehr im Geplänkel untereinander ohne das wirklich etwas dabei heraus kommt. Dazu kommen auch noch sich auf den ersten Blick viel zu sehr wiederholende Inhalte, gerade was den Umgang mit den streikenden Massen angeht.
Bild und Ton sind natürlich auf der Höhe der Zeit, diesmal fehlen allerdings jegliche Extras, was daran liegen mag, dass die Serie von der BBC überraschend eingestellt wurde, und man deshalb die Ausgaben auf das Notwendigste reduzierte.
Fazit:
Die zweite Staffel von „Ripper Street“ kann inhaltlich zwar nicht mehr ganz so überzeugen wie die erste, punktet aber dennoch weiterhin mit einer spannenden und halbwegs abwechslungsreichen Handlung vor einer atmosphärischen Kulisse, in der die Welt des ausgehenden 19. Jahrhunderts stilecht zum Leben erweckt wird.
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