Roter Mond
Autor: Dirk Wonhöfer
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Leseprobe:
Stechender Schmerz fuhr durch Dynes Beine, als sich ein Scharnier seiner Rüstung genau in seine Wade bohrte. Fluchend wollte er sich bücken, doch die starre Rüstung ließ keine derartige Bewegung zu. Mit einem unter seinem silbernen Helm verborgenen Zähnefletschen rief er nach Paves, seinem Knappen.
Als der Junge endlich angetrabt kam, meinte Dynes schon, sein Bein nicht mehr spüren zu können. Der rotschöpfige Kerl - vielleicht gerade der Pubertät entwachsen - war anscheinend nicht so dumm, wie er aussah, denn sofort erkannte er das verbogene Scharnier und begann, es mit einer Zange aus Dynes Wade zu ziehen. Arathas musterte den Jungen, der sich alle Mühe gab, trotz verpickeltem Gesicht erwachsen auszusehen. Nun, vom Verhalten her bewies er auf alle Fälle ein höheres Alter als Graf Fegget...
"Schon draußen" murmelte Paves mit fragendem Blick.
"Danke" antwortete der Ritter und deutete auf die Tür des Stalles, in dem sein Roß wartete. Ohne zu zögern sprintete der Knabe los, um nach dem Pferd zu sehen. Helles Köpfchen, dachte Dynes, während er vorsichtig ein paar Schritte in der ungewohnten Rüstung tat. Er selbst war natürlich ohne Knappen angereist - woher hätte er auch einen nehmen sollen? - doch der Hochkönig hatte ihm freundlicherweise diesen Jungen zugewiesen. Arathas hatte die Vorstellung, einen Bediensteten zu haben, nie zugesagt, doch in diesem Falle mußte er wohl eine Ausnahme machen, denn die Etikette verlangte es.
Als Dynes bei seinen Gehversuchen zu fest auftrat, rutschte sein Visier herunter und nahm ihm im ersten Augenblick vollends die Sicht. Erst nach ein paar Sekunden hatte er sich an die kleinen Sehschlitze gewöhnt, die seinen Blick auf die Außenwelt auf das Nötigste reduzierten. Zu den Seiten hin konnte er nun überhaupt nichts mehr erkennen, nur sein direktes Gegenüber würde sichtbar sein, wenn es zum Kampfe kam. Erneut quoll ein Fluch über seine Lippen und er versuchte, das Visier zurechtzurücken. Er dachte an seine Kontrahenten. Wie konnten die Bastarde sich in diesen verdammten Rüstungen nur wohl fühlen? Der Schrotthaufen schränkte jede nur erdenkliche Bewegungsfreiheit ein, oder besser gesagt, ließ sie sich gar nicht erst entfalten. Wenn es tatsächlich jemanden geben sollte, der in einer solchen Rüstung in den Kampf zog... er hatte Dynes vollstes Mitgefühl.
Er beobachtete, wie Paves seinen Hengst Sturmauge aus den Ställen führte und zum Kran brachte. Das Pferd scheute nicht und zeigte auch keine Furcht, obwohl es über und über mit klimpernden und funkelnden Gegenständen behängt worden war, die ihm das Aussehen eines zum Julfest geschmückten Tannenbaums gaben. Arathas richtete seine Aufmerksamkeit auf die gegenüberliegende Seite des Hofes, wo der letzte Kampf sich seinem Ende näherte. Es war ein Wettbewerb im Bogenschießen, und nach dieser Übung sollten die Ritter im Turnier gegeneinander antreten. Nun, die Zeit schien gekommen. Unter ächzendem Stöhnen stakste Dynes über den kopfsteingepflasterten Teil des Hofes zu seinem Pferd, das ihn mit aufmerksamem Blick erwartete.
Er unterließ es, dem Tier über die Schnauze zu fahren, aus Angst, es mit der Rüstung zu verletzten. "Du hast es gut" murmelte er leise zu seinem Hengst, der ihn wissend musterte. "Du bist nur an den Füßen beschlagen... ich bin es am ganzen Körper. Sieh mich an! Diese Mistkerle haben mich in eine Büchse gesteckt wie ein Angler einen Regenwurm!"
Die Augen des Pferdes leuchteten, erinnerten Dynes daran, was ihn dazu veranlaßt hatte, ihm seinen Namen zu geben: Sturmauge. Er hatte ihn eines Tages einer Bauersfrau abgekauft, deren Mann verstorben war und die das Geld dringender gebrauchen konnte als das Pferd. Natürlich hatte er ihr weit mehr gegeben, als selbst der beste Gaul der Welt wert gewesen wäre... doch der Hengst hatte Dynes mehr als einmal verblüfft. In seinen Augen loderte ein Feuer, ein brennender Sturm, der niemals zu versiegen schien, und wenn Sturmauge erst einmal galoppierte, dann hielt kein anderes lebendes Wesen mit ihm mit.
Jetzt sah ihn Sturmauge mit eben diesem Feuer an, das den Ritter einst so verwundert hatte. Der strahlende, glänzende Blick forderte, und Arathas atmete tief ein unter der Rüstung und streckte seinen Körper. Nun gut. Sie sollten ihren Kampf bekommen. Auch wenn er diesen Schwachsinn niemals übte und für die Turniere trainierte...
Ein Schrei ertönte von irgendwo über seinem Kopf, Seile wurden herabgelassen und eine Schlaufe um Dynes Körper gebunden. Die ledernen Riemen des Flaschenzugs strafften sich, als der Ritter nach oben gehievt wurde, immer höher, bis er weit über Sturmauge baumelte. Der Knappe Paves kam herbei und hielt den Hengst am Zaumzeug, während ein paar andere Männer ruckartig Seil gaben und Arathas herunterließen. Langsam senkte er sich auf das Roß herab, das ruhig und gelassen stand. Mit einem Knarren wie bei einer quietschenden Tür schob sich Dynes' Rüstung in den Sattel, und als er fest saß, wurden die Stricke um seinen Körper wieder gelöst.
Stoisch verharrte Sturmauge noch immer reglos an seinem Platz, und Dynes brach fast das Herz, als er an das unglaubliche Gewicht dachte, das der Hengst nun zu tragen hatte. Verdammt, es war eine Schande, ein unschuldiges Tier so zu quälen! Wahrscheinlich ruhten jetzt hunderte von Pfund auf dem armen Pferderücken, doch das Roß ließ sich nichts von etwaigen Schmerzen anmerken.
"Ich... ich glaube, ich sollte Euch zum Turnierplatz führen" stotterte der Knabe Paves mit hochrotem Kopf, für den es das erstemal war, daß er vor so viele Leute trat. Arathas brachte ein Nicken zustande, und geschwind machte der Junge sich auf den Weg, gefolgt von Sturmauge.
Als Dynes die Tribünen passierte, die zu beiden Seiten aufgestellt worden waren, erfüllte der ohrenbetäubende Lärm von mehreren Tausend klatschenden Händen die Luft. Dynes atmete auf. Sturmauge schien mit der Situation besser umgehen zu können als der junge Paves, der vor Konzentration beinahe das Atmen vergaß.
Fahnen wurden in die Luft gestreckt, das königliche Wappen war auf einer jeden von ihnen zu sehen, und Fanfaren erklangen, als Dynes samt Gefolge vor den König geführt wurde. Auf Handzeichen Westfalds hin verstummten die Trompeten, und auch die übrigen Geräusche rückten in den Hintergrund. Westfald, auf einer erhöhten Bank sitzend, mit seinem Sohn an der Seite, beugte sich lächelnd vor.
"Und nun..." intonierte er, und erwartungsvolles Schweigen füllte die Luft, "ist es Zeit für das Turnierreiten!"
Donnernder Applaus begleitete die letzten Silben des Satzes, und zufrieden lehnte der König sich zurück. Nun war es an seinem Sohn, vorzutreten und ein kleines Podest als Podium zu benutzen. Die Jubelschreie verebbten, und gebannte Ohren klebten an den Worten des Thronfolgers.
"Zu meiner Linken" rief Leonart, und für eine Sekunde trafen sich die Blicke des Prinzen und des Ritters, "Sir Arathas Dynes aus dem Äußeren Reich. Sein Lehnsort und sein Gut sind leider so klein, daß ich mich gerade nicht an ihren Namen erinnern kann..."
Leises Gelächter erklang zu beiden Seiten, und ein selbstgefälliges Lächeln erschien auf Leonarts Antlitz.
"Und zu meiner Rechten..." Er verharrte, während ein schlaksiger Knappe ein Pferd samt Ritter auf den Platz führte und vor Dynes stehenblieb, "Graf Fegget von Middenstrey. Daß er hier ist, hat er nur seiner Schwester beziehungsweise meiner Gemahlin zu verdanken, die mir im Falle seiner Nichtteilnahme mit... verschiedenen Maßnahmen drohte..."
Verhaltene "Aaahs" und "Ooohs", dann erneutes Lachen. Leonart, dessen Ansprache noch nicht vorbei war, wandte sich den beiden Rittern zu.
"Für die Ehre König Westfalds" rief er, und Dynes sowie Fegget taten es ihm gleich. "Auf daß es ein faires Turnier werde" fügte Leonart hinzu und begab sich unter Applaus an seinen Platz zurück, wo sein Vater ihn mit stolzem Gesicht empfing.
Die beiden Knappen, die tagelang für eben diese Situation trainiert hatten, führten die Pferde der Ritter an die entgegengesetzten Enden des Turnierplatzes und besorgten den Kontrahenten ihre Waffen. Dynes nahm seine hölzerne Lanze entgegen, auf der sein violettes Wappen - ein von Flammen umgebenes Auge - eingebrannt war, und bedankte sich bei Paves, der sofort errötete und zur Seite trat.
Arathas blinzelte. Gleich würde es soweit sein. Der Fanfarenstoß würde erklingen, und er und Fegget würden aufeinander zureiten und versuchen, den Gegner mit der Lanze aus dem Sattel zu stoßen. Verflucht sollte der Prinz sein! Hatte er es doch tatsächlich geschafft, diesen Bastard von Fegget gegen ihn aufzustellen. Aber egal, es ließ sich nichts mehr daran ändern. Er würde den Kampf hinter sich bringen, und anschließend würde er vom gesamten restlichen Tumult befreit sein...
Drei kurze Trompetenstöße kündigten den Beginn des Wettkampfes an. Die eine Hand an den Zügeln, in der anderen die Lanze, deren Spitze gen Himmel ragte, forderte Dynes Sturmauge zum Laufen auf. Mit einem Wiehern trabte das Pferd los, die vorgefertigte Bahn entlang, in deren Mitte sich die Ritter begegnen würden. Auch Fegget, ebenfalls in einer blitzenden Rüstung, hatte seinem Pferd die Sporen gegeben und stürmte nun auf ihn zu. Doch im Gegensatz zu Dynes, der noch lange keinen Galopp von Sturmauge verlangte, ritt der Graf mit zunehmend höherer Geschwindigkeit.
Arathas spürte seine Knochen überall, spürte, wie der metallene Käfig um ihn herum ihn zwar schützen sollte, andererseits aber auch eine Todesfalle darstellen konnte, stürzte er falsch vom Pferd. Und wie es aussah, wollte Fegget genau dies erreichen, denn er war mit seinem Hengst bereits in einen so schnellen Galopp verfallen, daß sie sich weit hinter der Mitte treffen würden.
Jetzt spornte auch Dynes seinen Hengst an, gab Sturmauge zu verstehen, daß es nun auf ihn ankam.
"Zeigen wir es dem verdammten Mistkerl" flüsterte er dem Roß zu, und als würde das Tier ihn verstehen, wieherte es erregt und ließ die Hufe wuchtig in die staubige Erde einfahren. Schlag auf Schlag rollte durch Sir Arathas' Körper, während er sich Fegget näherte, der schon längst seine Lanze nach vorn gerichtet hatte. Dynes Waffe, die noch immer in der Vertikalen lagerte, senkte sich ebenfalls herab, denn die Entfernung minderte sich zusehends. Fegget war jetzt nah, sehr nah, und er streckte seinen Waffenarm mit der Lanze von sich weg, auf daß sie Dynes so früh wie möglich berührte und aus dem Sattel stieß.
"Na warte, Bürschchen" keuchte der alte Lehnsherr aufgebracht und zog an den Zügeln. "Kannst es wohl nicht erwarten, du Bastard!" Sturmauge wurde langsamer, und Dynes fletschte die Zähne, als genau das eintraf, worauf er spekuliert hatte: Das Gewicht der Lanze zog an Feggets Armen, der die Waffe nicht lange in der ausgestreckten Position halten konnte. Bevor er etwas dagegen unternehmen konnte, kippte die Spitze abwärts, knallte auf den Boden und wurde von der Wucht zur Seite geschleudert. Nur durch Glück riß es den Grafen nicht aus dem Sattel, als er übertölpelt auf den langsam trabenden Sturmauge zuritt.
Dynes richtete gemächlich seine Lanze aus, und unfähig, sein Roß noch zu verlangsamen oder gar in eine andere Richtung zu lenken, hielt Fegget genau auf die Spitze der Holzleiste zu. Sir Arathas Miene wurde zu einem verbissenen Grinsen, während er versuchte, unter den Helm seines Gegners zu schauen. Was mußte Feggets Antlitz für ein wunderbarer Anblick sein, so verblüfft, wie er jetzt war!
"Guten Flug" schnaubte Dynes, doch noch im selben Moment riß er entsetzt die Augen auf. Erst jetzt, wo Fegget so nah heran war, sah er, daß mehrere lange Gurte den Grafen mit Sattel und Geschirr seines Pferdes verbanden! Der verdammte Narr hatte sich tatsächlich an seinen Gaul binden lassen, wahrscheinlich in der Hoffnung, dadurch schwieriger aus dem Sattel zu stoßen zu sein! Dynes verfluchte Fegget, doch für ein Umlenken der Lanze war es jetzt viel zu spät. Mit stockendem Herzen beobachtete er, wie die Spitze auf des Grafen Brustplatte prallte und ihn nach hinten drückte. Doch anstatt durch den Aufprall vom Roß zu fliegen, rutschte er bloß, von den Gurten und Striemen gehalten, am Rücken des Pferdes herab.
Dynes schlimmste Befürchtungen wurden wahr, als die Gurte sich nicht lösten, sondern den Grafen am galoppierenden Hengst festzurrten. Die baumelnde Gestalt Feggets hing kopfüber von seinem Roß herab und schleifte mit dem Kopf auf dem staubigen Untergrund. Wieder und wieder schepperte es, als die Hinterläufe des Rosses gegen die Rüstung stießen und Fegget durchrüttelten, bis ein Huf des Tieres sich letztendlich an einem Arm des Grafen verfing und das Pferd die Kontrolle verlor.
In einem einzigen Gewirr aus Beinen und Metall brach das bemitleidenswerte Tier mitten im schnellsten Galopp zusammen. Schreie gingen durch das Publikum, als das ungleiche Paar zu Boden ging, und grauenerfülltes Entsetzen stand in des Prinzen Gesicht geschrieben. Scheppernd und krachend und in einer Wolke aus Staub rutschten Pferd und Reiter weiter, bis sie nach einer Zeit, die wie die Ewigkeit anmutete, endlich zum Liegen kamen.
Eine blutige Spur zog sich über den Turniersplatz und endete an einem Knäuel aus Metall und Fleisch, der nichts Tierisches oder Menschliches mehr an sich hatte. Die schreiende Menge war verstummt, Grabesstille herrschte auf dem sonnenbeschienenen Hof. Niemand wagte es, auch nur einen Ton von sich zu geben. Irgendwann wurden einzelne Stimmen laut, Schluchzer oder verhaltenes Stöhnen.
Dynes, der Sturmauge inzwischen gewendet hatte, blieb vom Anblick seines einstigen Gegners nicht verschont. Kopfschüttelnd schob er sein Visier zurück, während die ersten Helfer über den Platz strömten, um zu retten, was noch zu retten war.