Scarlett O’Hara – Traumfrau, Emanze, Edelluder
 
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Scarlett O’Hara – Traumfrau, Emanze, Edelluder

Artikel von Karin Reddemann

 

Unbemüht gedacht könnte man sagen, Scarlett O’Hara sei das wohl berühmteste Luder des vergangenen Jahrhunderts. Mitnichten eine ordinäre Schlampe, sondern ein Exemplar der absolut faszinierenden und damit zweifellos seltenen Spezies. Zum Niederknien schön, beneidenswert willensstark und zur Verzweiflung der Edelmütigen, zum Entsetzen der Warmherzigen ganz besonders egoistisch, berechnend und kühl. Eben ein Luder. Wohlgemerkt: Unangestrengt gesagt.

 

Deutlich bemühter gedacht sollte man behaupten dürfen, die Scarlett aus Vom Winde verweht sei eine der ersten großen Hollywood-Emanzen und als solche eine Art Wegbereiterin für die selbstbewussten, zielgesteuerten Frauen der »Schwarzen Serie«, die in den 1940ern mit Coolness, Klugheit und Eigensinn ihr Verständnis von weiblicher Power demonstrierten. Optisch wie jene legendäre Scarlett O’Hara kaum zu toppende Ideal-Erscheinungen, die den Atem rauben. Elfengleiche Amazonen, die mit dem Ur-Arsenal der Frau ihr Recht auf Selbstverständnis verteidigen und im Ernstfall auch Hand an echte Waffen legen. Scarlett erschießt couragiert und recht unberührt von ihrer Aktion einen plündernden Soldaten, um Haus, Hof (Heimatplantage Tara) und natürlich die eigene ihr kostbare Haut zu schützen, freilich auch die ihrer Schwestern und die der herzensguten Melanie Hamilton.

 

Diesen einen, sonst keinen

Melanie (im Film: Olivia de Havilland), eine Seele von Mensch und immun gegen Misstrauen und Boshaftigkeit, ist die Frau ausgerechnet jenes Mannes, den Scarlett liebt. Ehrlicher wohl: Den zu lieben sie sich stur und kompromisslos einbildet, weil sie, die von der Männerwelt Angebetete, diesen einen partout haben will, den sie nicht besitzen kann. Wie ein verwöhntes Mädchen eben, das neidisch auf das eine schöne Kleid der Nachbarstochter ist, obgleich der eigene Schrank vollgestopft mit Pariser Haute Couture ist.

 

Dieser Mann namens Ashley Wilkes (Leslie Howard), den Scarlett O’Hara (Vivien Leigh) so wild entschlossen für sich gewinnen will, macht einen beachtlichen Teil der weiblichen Weltbevölkerung seit fast achtzig Jahren eine Spur fassungslos. Was immer Scarlett an ihm bloß finden mag, ungeachtet der Tatsache, dass sie ihn aus reinem Trotz völlig idealisiert, veranlasst weniger zu vernünftigen Spekulationen und Charakterstudien denn zum spöttischen Abwinken und konsequentem Kopfschütteln. Ashley ist ein durchaus feiner Kerl mit einem unmöglichen Namen. Für den kann er nichts. Ansonsten ist er schlichtweg zu schwach und farblos, gleichsam etwas gelackt und bürschchenhaft, viel zu anständig, viel zu grüblerisch und vernünftig, um irgendwie sonderlich interessant oder auf diese gewisse Art attraktiv zu sein.

 

Großer Seufzer bleibt

Von solch einem Nett-Normalo schwärmt und schmachtet und träumt man nicht, wenn man Chancen wie Scarlett hat. Wenn man die nicht hat, kann man immer noch rein hypothetisch argumentieren. Oder schweigend mit den Füßen stampfen. Allemal bleibt der große Seufzer angesichts dieser fast peinlichen Jagd einer hinreißenden Frau auf einen Typ Mann, der den echten Kerlen wie diesem galanten, wilden Rhett Butler (Clark Gable) nie das Wasser reichen könnte. Dürfte. Wohl auch gesenkten Blickes nicht würde.

 

Und Scarlett, dieses göttliche Wesen, dem wir all seine Unartigkeiten, seine Launen und Allüren verzeihen, weil sie nun mal Scarlett ist, irrt sich und sieht das vor aller Welt Augen, aber leider arg zu spät, auch irgendwie ein. Will nur noch Rhett, der sie immer wollte und letztendlich doch zurückweist, will ihn jetzt erst recht entgegen aller Widerstände, allen Stolzes und macht sich kampfbereit.

 

»Aber nicht heute. Verschieben wir es auf morgen.«

 

Denn morgen ist auch noch ein Tag. Sagt sie. Meint sie. Und wird … mit trotzigem Blick bei offenem Ende zur Legende. Vivien Leigh war Scarlett. Wird immer Scarlett sein. Wir haben sie wieder erkannt in Cäsar und Cleopatra (1954) , anders entdeckt in Endstation Sehnsucht (1951) als Blanche Dubois. Aber für uns bleibt sie Scarlett. Dieses einmalige Jahrhundertfrau, die so viele so gern verkörpert hätten in einem Leinwand-Epos, das zur Zeit des Sezessionskrieges (1861 – 1865) spielt und zu den größten und kommerziell erfolgreichsten Werken der Filmgeschichte zählt: Vom Winde verweht, geschrieben von Margret Mitchell, 1936 als Roman erschienen und zum Sensations-Bestseller avanciert, drei Jahre später als Monumental-Film produziert von David O. Selznick für MGM, Regie: Victor Fleming, Musik: Max Steiner, ausgestattet mit bombastischer Kulisse, Dekoration und Kostümen, die haargenau im Stil der Zeit entworfen wurden.

Searching for Scarlett

Die aufwendige Suche nach der geeigneten Besetzung für die weibliche Hauptrolle, – eine grandiose Publicity-Show im Vorfeld der Dreharbeiten –, war das Partygespräch schlechthin und brachte sagenhafte rund 1.400 Frauen dazu, auf den einen ganz großen Auftritt zu hoffen.

 

Dass die Scarlett O’Hara zu einer Ikone werden würde, gleich einer Statue für eine (Film-)Ewigkeit geschaffen, einmalig und nicht mehr kopierbar, stand 1938 zwar noch in den Sternen, aber die absolute Besonderheit der Sache lag in der Luft. Man wollte zumindest träumen dürfen von dieser Magie, die so schwer definierbar zu sein schien und doch so sehr an der Sehnsucht rüttelte.

Tatsächlich kamen neunzig Schauspielerinnen in die engere Auswahl, darunter Hollywood-Diven wie Joan Crawford, Norma Shearer, Bette Davis, Tallulah Bankhead und Paulette Goddard. Katherine Hepburn, für die Rollen selbstbewusster, cleverer und unabhängiger Frauen grundsätzlich wie geschaffen, – was sich in den Folgejahren auch mehrfach Oscar-reif bestätigte –, hatte sich wohl stark auf die Scarlett fixiert, war Produzent Selznick aber, – zu Hepburns Enttäuschung, gleichsam Empörung –, »viel zu spröde«. Sein Bruder machte ihn schließlich bekannt mit der noch recht unbekannten Engländerin Vivien Leigh, Lebensgefährtin und spätere Ehefrau von Laurence Olivier, die als Zuschauerin am Set war. Und Selznick augenblicklich in ihren Bann zog. In ihr sah er die Ideal-Scarlett, die Romanfigur in Leibhaftigkeit, die Frau mit den grünen Augen, in denen es …

 

»… blitzte und und trotzte und nach Leben hungerte.«

 

Vivien Leigh, zum Zeitpunkt der Castings fünfundzwanzig, ehrgeizig und hinreißend, hatte den Roman während der Dreharbeiten zu Twenty-One Days gelesen und war begeistert von Mitchells spezieller Südstaatenschönheit:

 

»Von dem Moment an, als ich ›Vom Winde verweht‹ las, war ich von der schönen, launischen, stürmischen Scarlett fasziniert. Ich fühlte, dass ich sie liebte und verstand, fast so, als hätte ich sie tatsächlich gekannt. Als ich hörte, dass das Buch Anfang 1939 in Hollywood verfilmt werden sollte, sehnte ich mich danach, die Rolle zu spielen.«

 

Um den Südstaatenakzent authentisch herüber zu bringen nahm Vivien Leigh Sprechunterricht, zudem standen Ballett- und Gesangsstunden zur Verbesserung von Stimme und Haltung dem Programm. Derart perfektioniert, derart echt und stur und traumhaft schön, wurde sie zu der Frau, der diese Worte gelten. Nur ihr. Nur von ihm. Rhett Butler.

 

»Ich liebe dich, wie ich noch keine Andere geliebt habe. Und ich habe länger auf dich gewartet als auf jede andere Frau.«

 

Clark Gable, zur damaligen Zeit maskulinster Galan Hollywoods, galt von Anfang an als Favorit für die Rolle des Charmeurs und Abenteurers Rhett Butler, unangepasst und selbstgefällig, ein Mann, dessen Lippen und Arme das »Alles und Jetzt« zu versprechen scheinen. Für Vivien Leigh als Scarlett, lebenslustig, temperamentvoll, widerborstig, gleichwohl ebenso wenig uneitel und angepasst wie Rhett, kann man sich kaum einen Geeigneteren vorstellen, der ihr ungeschönt sagen darf, wie es ist. Wie sie ist.

 

»Du liebst mich nicht mehr, als ich dich liebe. Gott gnade dem Mann, der dich wirklich liebt.«

 

Selznick hatte mit »Vom Winde verweht« ein wahres Juwel verfilmt. Der Roman von Margret Mitchell, die sich konsequent weigerte, sich für das Script mit einzubringen, hatte sich schon bei Beginn der Dreharbeiten mit über einer Million verkauften Exemplaren als den richtigen Nerv treffender Stoff erwiesen. Und das, obgleich man anfangs befürchtet hatte, dass die Bürgerkriegsthematik die Leute nicht unbedingt scharenweise interessieren würde.

I can! We can!

Es war keine Schar, es war die Welt, die das gewaltige Melodram vom Niedergang des Südens, einer Familienchronik und einer Liebe erzählt, die einmalig, fast verrückt und doch so phantastisch ist. Großartig in Großaufnahme. Alles. Auch, wenn sie sich am Schluss nicht kriegen. Zumindest nicht bis morgen oder übermorgen.

 

Was Scarlett als Symbol-Figur auszeichnet, ist neben ihrer Selbständigkeit ihre Erdverbundenheit, ihre Heimattreue (Tara!).

Ihr Optimismus.

 

I can! We can!

 

Eben Ur-Amerikanisches, das sie verbindet mit all denen, die verloren haben und trotzdem nicht aufgeben, sondern die Ärmel hochkrempeln, sich den Schweiß von der Stirn wischen und neu anfangen. Und neben all ihrem Patriotismus ist sie einfach nur übergöttlich anzuschauen.

Das ändert sich nie. Das ist Film. Das gilt immer.

 

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Erstellt: 17.01.2020, zuletzt aktualisiert: 28.02.2024 16:07, 18190