Sigmars Erben (Quellenbuch)
 
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Sigmars Erben (Quellenbuch)

Reihe: Warhammer Fantasy Rollenspiel

Rezension von Jörg Pacher

 

Nachdem es zwei Jahrzehnte gedauert hat, bis die zweite Auflage zum Warhammer-Fantasy-Rollenspiel erscheinen konnte, ist die Kriegsmaschinerie endgültig angefahren. Und wir werden selbst mit deutschsprachigen Neuerscheinungen geradezu überrollt. Die Stimmung der Spielwelt wurde mit der zweiten Auflage deutlich in Richtung Dreißigjähriger Krieg gelenkt, und so blieb fürs erste die Frage offen, ob ein solcher Hintergrund noch vielseitig genug ist, um langfristig zu fesseln. Doch lassen wir die Erben selbst sprechen…

„Sigmars Erben“, das sind die Bewohner des Imperiums, und sie kommen – wie es sich für Warhammer gehört – nicht gerade gut weg. „Die Bewohner des Imperiums sind selbstsüchtige, arrogante, besoffene Narren, die sich am Krieg und der Religion berauschen.“, weiß etwa ein angewiderter Bretonier zu berichten. „Die engstirnigen Priester lehren das tumbe Volk jeden Tag aufs neue, auf das Wohl des Imperiums und ihres menschlichen Gottes Sigmar anzustoßen. Wenn die Feldwebel kommen, um neue Truppen für ihre Arme zu rekrutieren, dann streiten sich die jungen Männer förmlich in ihrem besoffenen Stolz, wer sich als erstes durch die Schillinge des Imperators bestechen lassen darf. Ihre Armeen werden nicht durch Ehre und Pflicht erhalten, sondern durch Rum und Rhetorik.“, setzt er fort und ermöglicht damit auch schon einen Einblick, warum es ein Vergnügen ist, dieses Quellenbuch zu lesen.

Die liegen zwar nicht an der – in diesem Zitat über repräsentierten Bierseligkeit – die wohl nur ‚Ausländern’ auffällt, sondern in der Darstellung eines ebenso widersprüchlichen wie stimmungsvollen Hintergrunds. Wer genau hinsieht wird sogar feststellen, dass die Widersprüchlichkeit viel von der Stimmhaftigkeit ausmacht.

 

Die acht Kapitel setzen sich mit verschiedensten Aspekten des Imperiums auseinander.

Zu Beginn steht neben einem Überblick eine Erzählung, die besonders zwei Sachen richtig macht: sie fesselt bereits zu Beginn und vor allem ist sie nicht zu lange. So ist man bereit sich trotz negativer Erfahrungen mit derlei Schreibwerk sich auf die eineinhalb Seiten einzulassen.

Nach einem eher kürzerem Überblick über die Landschaften und die vier wichtigsten Rassen – Menschen, Zwerge, Halblinge und Elfen – im ersten Kapitel, folgt dann auch bereits das trockenste Teil des Buches: eine 14seitige Geschichte des Imperiums, die 4000 Jahre umfasst. Seltsamerweise enthalten die vier Seiten Zeittafel dabei viele Details, die der Fließtext ausspart.

 

Dass dem Imperator und den Kurfürsten nur relativ wenig Platz gewidmet wird, weißt sich spätestens dann als kluge Entscheidung, wenn man das großartige Kapitel zu Recht und Gesetz erreicht. Hier werden weniger die oberen Stufen der Hierarchie beschreiben, sondern jene Mühlen, mit den Halunken und Taugenichtse – Spielercharakter eben – jeden Tag in Berührung kommen. Beinahe jeder Absatz in diesem Kapitel liefert eine großartige Abenteueridee, egal ob es um Femerichter oder die hirnrissigsten Gesetze im Imperium geht. Selbst die Regeln für Gerichtsverfahren wirken so spannend, dass man sich beinahe eine „Altdorf Law“-Kampagne vorstellen kann. Nur der Ausdruck „Rechtsanwalt“ klingt ein wenig zu neuzeitlich. An dieser Stelle hätten die Übersetzer eine archaischere Form finden können.

 

Das Religionskapitel leidet im Gegensatz dazu dann ein wenig darunter, dass man als Rollenspieler höchstwahrscheinlich schon hunderte Götterbeschreibungen gelesen hat. Es liegt einzig an der Widersprüchlichkeit diverser Unterkulte derselben Gottheit, dass man hier nicht weiterblättert – zum Kernstück des Bandes:

 

Auf beinahe 70 Seiten werden in der Folge die einzelnen Kurpfalzen beschrieben. Neben einem Überblick, Zitaten und Redewendungen, wird auch jeweils ein typischer Vertreter jeder der 11 Provinzen, inklusive Charakterwerten, vorgestellt. Zusätzlich gibt es jeweils zwei kurze Abenteuerideen. Diese sind, genauso wie die einzelnen Stadtbeschreibungen ein wenig vage gehalten und erwecken den Eindruck der im Rollenspiel selten nützlichen Vogelperspektive. Vom Gestank, der dem Imperium sein eigenartiges Flair gibt, kriegt man so kaum etwas mit, und doch ist ein solcher Überblick notwendig. Denn Beispiele allein könnten die Aufgabe, der sich ein solches Buch nun mal stellt, nicht erfüllen. Eine Quellenband ist eben nicht nur als spannende Lektüre gedacht, sondern auch als Nachschlagewerk, und „Sigmars Erben“ gelingt es im Grunde gut beide Funktionen zu verbinden.

Die allgemeiner gehaltenen Stellen werden durch Zitate und Beispielscharakter geerdet, und doch kann man die notwendigen, allgemeinen Informationen während des Spiels schnell nachschlagen.

 

Auf den nächsten 22 Seiten wird „Sigmars Erben“ ohnehin verdammt konkret, handelt es sich hierbei doch um das Abenteuer „Missetat in Bögenhafen“. In guter alter Warhammer-Rollenspiel-Tradition nimmt dabei die Stadtbeschreibung einen bedeutenden Teil ein, und so sind die Seiten zu einem guten Teil auch nach einmaligen Durchspielen noch sinnvoll zu verwenden. Das Abenteuer lässt die Helden im Schatten der bedeutendsten Kaufmannsfamilien der Stadt herumturnen und verwickelt sie in eher weltliche Intrigen.

 

Im Anhang des Bandes wird auch noch eine Handvoll neuer Karrieren vorgestellt. Namentlich sind das der Apotheker, Geschichtenerzähler, Spieler, Astrologe, Exorzist, der Fälscher, Ritter des Sonnenordens und der Verenaische Ermittler. Zusätzlich werden die Eigenschaften der Menschen nach einer optionalen Regel nun regionsabhängig vergeben. Das heißt, ein Averländer besitzt andere Fertigkeiten als etwa ein Bewohner der Ostmark.

 

Obwohl die Produktion der zweiten Auflage von Briten an einen amerikanischen Verlag abgegeben wurde, ist das Flair doch eindeutig europäisch geblieben. Hier verbirgt sich unter einer Kruste Blut und Dreck die gesunde Prise Galgenhumor und wenn man nicht Angst hätte, den einen oder anderen bierernsten Rollenspieler damit zu verschrecken, würde man beinahe „Monty Pyton“ flüstern. Verschrecken will man die bierernsten Spieler deshalb nicht, weil die Prise wohldosiert ist und sich nie in den Vordergrund drängt. Weil sie nicht von den Autoren dem Leser aufgezwungen wird, sondern scheinbar direkt aus der Alten Welt zu uns flüstert und weil „Sigmars Erben“ einfach eines der am spannendst aufgebauten Quellenbücher der letzten Zeit ist.

Eigentlich ist dies Herangehensweise wahrlich nichts neues für ein Warhammer-Produkt, und doch fällt es in einem Buch, das das Charakterwerte und Regeln in die hintersten Winkel verscheucht, besonders stark auf. Auch die deutsche Übersetzung verdient ein Lob.

Nur wer viele Stadtkarten erwartet, ist hier nicht ganz richtig. Derlei Details passen einfach nicht in ein 174seiten Hardcover, besonders, weil ja noch das Abenteuer (inklusive Bögenhafen-Karte) darin Platz haben will.

Auch ein paar kleinere Fehler haben sich eingeschlichen. So wird einmal behauptet, dass Bögenhafen am Reik liegt, während es sich ganz offensichtlich um den Bögen handelt. Und in der Liste der fünf Gildenmeister, die einen dauernden Sitz im Bögenhafener Stadtrat haben, stehen tatsächlich derer sechs. Aber solche kleinen Ungereimtheiten passen dann ja doch in die Widersprüchlichkeit, die „Sigmars Erben“ zu einem so interessanten Volk macht. Die Verfasser schaffen es das Imperium auch – und gerade – abseits der großen Bedrohungen und Schlachten interessant zu machen. Auch Grafik und Layout entsprechen allen Erwartungen, auch wenn die zahlreichen farbigen Illustrationen zumeist nicht direkten, sondern eher thematischen, Bezug zum Texte nehmen.

 

Fazit:

Aber lassen wir zum Abschluss nochmals die Verfasser selbst zu Wort kommen: „Wie ein Großteil der restlichen Bewohner der Alten Welt sind die Bürger des Imperiums prinzipiell sehr religiös. Sie werden praktisch beständig von Krieg, Krankheit und Katastrophen bedroht, was soll man denn da bitte anderes tun, als die Götter um Hilfe anzuflehen?“ Das Beten, das Saufen und der Galgenhumor: wer diese Troika irgendwie nachvollziehen und mit einer mittelalterlichen Welt in Verbindung bringen kann, der erwirbt mit „Sigmars Erben“ nicht nur einen nützlichen Hintergrundband, sondern auch einen unterhaltsam geschriebenen.

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Oje, das hat nicht geklappt, Elfenwerk! 20240328151726d2968759
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Sigmars Erben (Quellenbuch)

System: Warhammer Fantasy Rollenspiel

Autoren: Anthony Ragan, Daniel Schumacher

Gebundene Ausgabe

174 Seiten

Verlag: Feder & Schwert

Erschienen: April 2006

ISBN: 3937255753

Erhältlich bei: Amazon

 


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Erstellt: 25.06.2006, zuletzt aktualisiert: 23.01.2015 13:25, 2455