Rezension von Cronn
Geduckt schleiche ich mich durch das Unterholz. Aufgrund meiner Tarnkleidung sehe ich aus wie ein Busch. Aber das ist in dieser Umgebung nicht lächerlich, sondern im Gegenteil sehr praktisch. Dadurch kann ich kaum gesehen werden.
Das Sonnenlicht bricht sich in vielerlei Flecken im Kronendach der Dschungelbäume, die hier so dicht stehen wie kaum sonst außer im Regenwald. Aber ich bin nicht im Regenwald, und meine Aufgabe ist es auch nicht, nach Schmetterlingen oder anderen Getier zu suchen – mein Auftrag lautet: Eliminiere den Diktator!
Schon lichtet sich vor mir das Gehölz. Ich gehe nieder auf alle Viere, schließlich robbe ich die letzten Meter. Und das alles nur aus dem einen Grund, damit ich nicht am Waldrand von den Feinden ausgemacht werden kann. Die Chance auf einen ruhigen Schuss vergrößert sich dadurch ungemein.
Ich schiebe den Lauf meines Scharfschützengewehrs nach vorn und linse durch das Okular. Vor mir befindet sich eine Raffinerie-Anlage am Rand der Küste dieser Insel. Auf den großen Tanks stehen überall Wachmänner mit Ak-47-Gewehren und beobachten das Areal.
„Die Zielperson befindet sich in dem Gebäude auf zwölf Uhr!“, wispert mein Kontaktmann durch das Headset mir zu. Ich nehme direkt vor mir ein Container-Haus wahr, darin zwei Personen, die sich unterhalten. Einer davon ist meine Zielperson, die ich von Fotos kenne.
„Warte noch auf den perfekten Zeitpunkt zum Schuss!“
Atemlos liege ich am Waldrand und beobachte das Gebäude. Mein Puls liegt bei 80. Das ist ok. Tief ein- und ausatmen, nicht vergessen, ermahne ich mich.
Ich muss die Zielperson durch ein Glasfenster hindurch erwischen. Ich hoffe inständig, dass mein Geschoss nicht allzu sehr durch das splitternde Glas abgelenkt werden wird. Vielleicht sollte ich das in den Schusswinkel einberechnen?
„Jetzt! Feuerfreigabe!“, höre ich aus dem Headset.
Tief atme ich ein, blicke durch das Zielfernrohr und halte den Atem an. Ich berechne den Wind und seine Auswirkung auf die Flugbahn des Geschosses mit ein, muss demnach etwas weiter links und nach oben das Zielkreuz ausrichten. Dann krümme ich den Finger, drücke den Hebel bis zum Druckpunkt – und ziehe den Abzug dann vollends durch.
Das Geschoss löst sich aus dem Lauf und in Sekundenbruchteilen ist es vorbei. Das Glas splittert und ich sehe, dass die Zielperson sich nach rechts wirft.
Mein Schuss ging daneben! Ich habe versagt!
Jetzt heißt es schnell sein, denn die Wachen haben meine Position bald gefunden! Ich muss also fliehen – und zwar schnell!
Heute habe ich den Typen nicht erwischt, aber irgendwann wird es soweit sein...das schwöre ich!
SNIPER: GHOST WARRIOR heißt das neue Actionspiel aus dem Hause City Interactive. Das Entwicklerstudio und Publisher aus Polen hat in den letzten Jahren sich mit den „Terrorist Takedown“ in der Budget-Action-Ecke einen Namen gemacht. Diese Titel waren aber weniger aufpoliert und überzeugten eingefleischte Hardcore-Gamer kaum. Nun haben die Polen sich mit dem Spiel SNIPER: GHOST WARRIOR aufgemacht, ein Vollpreis-Game zu entwickeln, das auch Hardcore-Gamer gefallen soll.
Ob das gelungen ist?
Hintergrund:
Das Game SNIPER: GHOST WARRIOR besitzt eine Story, die aber kaum mehr als schmückendes Beiwerk ist. Es dreht sich alles um ein Team von Sniper und Begleitmann, die den skrupellosen Diktator General Manuel Vasquez ausschalten sollen. Dieser herrscht über das Eiland Isla Trueno und ist auch in Drogenschmuggel involviert. Im Laufe der Kampagne stellt der Spieler ihm nach und erlebt dabei so einige unangenehme Überraschungen.
Gameplay:
Um es vorweg zu sagen: SNIPER: GHOST WARRIOR ist ein gelungenes Spiel. Dennoch gibt es Schattenseiten, die man nicht verschweigen darf. Aber gehen wir der Reihe nach vor und besprechen erstmal das Gameplay prinzipiell.
Der Spieler taucht in beide Charaktere ein, spielt mal den Sniper, mal den Begleitmann. Dabei sind die Missionen, bei denen man auf volle Feuerpower zurückgreifen kann, eher enttäuschend. Hier bemüht sich City Interactive dem großen Vorbild MODERN WARFARE gerecht zu werden und kann aber dabei nicht mithalten. Die KI der Gegner ist kaum vorhanden, sie bilden keine Gruppen, suchen kaum nach Deckung, agieren wie Moorhühner und lassen sich abschießen. Gottlob sind das aber nur wenige Missionen, die nach dem Muster: „Augen zu und durch!“ gestrickt sind.
Die anderen Missionen können vollauf gefallen. Es sind dies die Sniper-Missionen und auch die Markier-Missionen des Begleitmanns. Nicht entdeckt werden zu dürfen, macht einen großen Reiz dabei aus. So kriecht man durch die Botanik, immer auf der Hut vor den Feinden, horcht nach den Spanisch sprechenden Männern und achtet auf die Gefahren-Anzeige in Bildschirmmitte. Füllt sich diese zum Anschlag wird man entdeckt. Die Folge ist unterschiedlich – entweder wird man beschossen, kann sich aber noch wehren – oder die Mission wird abgebrochen. Das ist dann besonders hart, hier kann man sich keine Schnitzer erlauben. Zum Glück gibt es viele Elemente der Spielwelt, hinter denen man sich verstecken und hinter denen man entlang kriechen kann.
Leider gibt es aber auch hier Schattenseiten: So ist es nicht ersichtlich, warum die Spielwelt mit ihrer großen Weitsicht die Illusion von Freiheit vermittelt, wenn dann willkürlich in der Welt unsichtbare Grenzen gezogen werden. Einfach so, mitten im Fluss, mitten im Dschungel. Das hindert den Spieltrieb, die Entdeckerlust, die ansonsten so gut mit dem Auffinden von versteckten Laptops (Geheimnisse) gefüttert wird. Schade.
Dennoch bleibt unterm Strich genug Tolles übrig, dass die Missionen dennoch motivieren. Dazu gehört das Gefühl der Spannung, wenn man durch die Levels schleicht, immer drauf und dran entdeckt zu werden. Das fühlt sich nach THIEF an, jedoch im Gewand eines modernen Shooters.
Die Abschüsse werden mittels Zielfernrohr am besten durchgeführt. Dabei kann man im einfachen Schwierigkeitsgrad einen roten Punkt angezeigt bekommen. Dieser weist darauf hin, wo die Kugel einschlagen wird. Denn die Kugel wird vom Wind beeinflusst. Im höchsten Schwierigkeitsgrad gibt es das nicht. Auch der Puls hat Einfluss auf das Spiel. Rennt man, so erhöht sich der Puls und das Okular wackelt dann stärker.
Per Taste kann man noch einen Zeitlupen-Modus dazuschalten, um nochmals genauer zielen zu können. Das ist zwar unrealistisch, aber dafür spieltechnisch sauber umgesetzt. Die Feinde erkennt man übrigens im Dschungel dadurch, dass das Spiel sie mit einer roten Korona einfärbt.
Besonders gelungene Schüsse werden mittels einer durchaus fragwürdigen Kameraperspektive eingefangen. Die Kamera folgt hier der Kugel bis zum Auftreffen. An diesem Punkt scheiden sich die Gemüter – während die einen es gelungen finden, halten es die anderen für geschmacklos.
Grafik und Sound:
Die Grafik von SNIPER: GHOST WARRIOR spielt in der Oberliga mit und kann durchaus sich sehen lassen. Das Grafikgerüst ist die Chrome-Engine 4, welche bereits in „Call of Juarez: Bound in Blood“ zum Einsatz kam und überzeugte.
Auch in SNIPER: GHOST WARRIOR leistet die Engine hervorragende Arbeit und zaubert detailverliebte tropische Inselparadiese auf den Monitor. Palmen und andere Baumgewächse wiegen sich im Wind, Blätter rascheln, fallen zu Boden, auf dem bereits kleineres Buchwerk wächst und die Sicht behindert. Muscheln liegen im sanft dahinfließenden Fluss, der am Ende zu einem rauschenden Wasserfall wird, der sich in eine Bucht ergießt, direkt hin zum Meer.
Das Licht fällt durch das Blattwerk der Bäume und zaubert eine irritierende Anzahl von Lichtinseln auf den Waldboden. Regen und Wind machen sich auch in der Spielwelt bemerkbar. Gerade die Weitsicht ist absolut überzeugend und löst so manchen Hingucker aus.
Der Detailgrad der Grafik ist hoch, die Texturen sind bis auf die extreme Nahaufnahme knackig aufgelöst und topscharf. Damit spiel SNIPER: GHOST WARRIOR in der Oberliga mit und kann sogar gegen Grafik-Gerüste wie die Cry-Engine bestehen, ohne aber völlig zu ihr aufzuschließen. Unter dem Strich bleibt also eine absolut überzeugende Grafikpracht.
Im Soundbereich ist auch alles in Ordnung. Die Waffeneffekte klingen zwar nicht vollauf satt, aber bei einem Snipergewehr darf ja auch der Schuss-Sound nicht allzu stark ertönen, somit ist das in sich stimmig. Die Umgebungsgeräusche sind ebenfalls vorhanden und wirken authentisch für ein Dschungel-Panorama. Die Musik kommt stimmungsgeladen rüber, schwenkt in Action-Szenen ins Hektische. Dabei bleibt es aber auch dann, wenn auf dem Bildschirm schon längst wieder Ruhe eingekehrt ist.
Multiplayer:
SNIPER: GHOST WARRIOR bietet einen Multiplayer-Part, bei dem es darum geht, möglichst unentdeckt zu bleiben und die anderen Mitspieler eher zu entdecken. Das hört sich ungemein spannend an, ist es auch.
Kopierschutz:
SNIPER: GHOST WARRIOR ist mittels STEAM freizuschalten. Eine andere DRM-Maßnahme kommt nicht zum Einsatz. Ein Online-Zwang ist nicht vorhanden. Die DVD kann nach dem Registrieren aus dem Laufwerk genommen werden.
Fazit:
SNIPER: GHOST WARRIOR ist ein Spiel, das eine Action-Seite in den Mittelpunkt rückt, die zumeist bei anderen Spielen außer Acht gelassen oder von Multiplayer-Spielern geächtet wird: die Sniper.
Dies Gefühl des Schleichens wurde von SNIPER: GHOST WARRIOR sehr gut umgesetzt. Es macht großen Spaß, sich im Dschungel von hinten an die Gegner anzuschleichen, sie zu flankieren und dann auszuschalten. Ein paar Mängel fallen beim Spielen von SNIPER: GHOST WARRIOR dennoch ins Gewicht, u.a. die sehr ungeschickt platzierten unsichtbaren Levelgrenzen, welche das Freiheitsgefühl stören.
Zusammenfassend lässt sich aber sagen, dass City Interactive mit SNIPER: GHOST WARRIOR ein großer Wurf gelungen ist. Das Spiel überzeugt trotz der Mängel und kann jedem Fan von taktischen Action-Games empfohlen werden.